Zur Sache: Empörung allerorten – und keine Strategie

Jeder echauffiert sich über den Inserate-Boykott von SVP und UBS oder Hanspeter Lebruments Aussage, dass die Trennung von Werbung und Redaktion schwieriger geworden sei. Das Editorial von Chefredaktorin Anne-Friederike Heinrich aus der Werbewoche 10/16 vom 3. Juni 2016.

Millisekunde darüber nachzudenken, was der andere gesagt hat, ob er nicht vielleicht auch ein bisschen recht hat und welche Lösung es für das skizzierte Problem gäbe.

Ein Beispiel: Baz-Chefredaktor Markus Somm sagte im April im Montagstalk «Roger gegen Markus» über den Inserate-Boykott von SVP und UBS: «Ich kann nicht erwarten, dass ein Inserent ein Inserat schaltet, wenn ihm die ganze Zeit auf der Nase herumgetanzt wird. Das ist der Deal mit meinen Kunden. Es gibt ein Mass von Kritik, das richtig ist, und es gibt eine Art von Einseitigkeit, die nicht mehr geht. In diesem Fall kann ich einen Inserate-Boykott nur unterstützen.»

Hören wir genau hin: Markus Somm spricht von einem Deal mit seinen Kunden. Er meint nicht seine Leser, sondern die Werbeauftraggeber. Was Somm gut macht: Ganz Journalist macht er transparent, wie er denkt und entscheidet. Jetzt wissen Baz-Leser, woran sie sind. Unglücklich ist: Somm legt mit seiner Aussage nahe, dass er als Chefredaktor so schreiben lässt, dass es seinen grössten Werbeauftraggebern passt. Wir leben zum Glück in einem freien Land und jeder kann frei entscheiden, wo er wirbt und warum. Jeder kann aber auch frei entscheiden, was er liest. Und das hat Somm nicht mitgedacht. Denn ein Abonnent, der mit tendenziöser Berichterstattung rechnen muss, weil eine Bank oder Partei in der gleichen Zeitung Werbung schalten, wird das Blatt hoffentlich sofort abbestellen. Worauf liefe das hinaus: Dass die Baz über den Börsenkurs von UBS 100 nur berichtet, wenn die Performance stimmt?

Verlegerpräsident Hanspeter Lebrument sagte Mitte April in der «NZZ am Sonntag»: «Eine saubere Trennung zwischen dem Werbemarkt und dem redaktionellen Teil einer Zeitung ist viel schwieriger geworden als vor zwanzig Jahren, als es die finanzielle Lage erlaubte, die redaktionelle Unabhängigkeit über alles zu stellen.»

Hören wir genau hin: Der Verlegerpräsident formulierte, es sei heute «viel schwieriger als vor zwanzig Jahren», sauber zwischen Werbung und Redaktion zu trennen. Natürlich hat er recht – übrigens nicht nur, weil er auch die Werbewoche verlegt. Auf allen denkbaren Wegen wird heute versucht, Redaktionen werbliche Meldungen als redaktionelle Beiträge unterzujubeln, getarnt als hochwertiger und neutraler Content, seltsamerweise kostenlos. Spätestens dann muss man aufhorchen. Chefredaktoren müssen höllisch aufpassen, dass ihnen kein gezinkter Beitrag ins Heft oder auf die Website rutscht. Impliziert Hanspeter Lebrument mit seiner Aussage aber auch, dass die finanzielle Lage es heute nicht mehr erlaubt, die redaktionelle Unabhängigkeit zu wahren? Ich denke nicht. Lebrument hat vielleicht etwas unklar formuliert, eine Kausalität lese ich dennoch nicht. Früher konnte man als Medium redaktionelle Unabhängigkeit über alles stellen und das auch bezahlen, platte Werbung und Publireportagen einfach abweisen. Heute muss man sich in der Tat überlegen, ob man sich das leisten kann – doch die einfachste Möglichkeit, sich weder in eine journalistische noch in eine finanzielle Klemme zu bringen, ist so alt wie der Journalismus selbst: Draufschreiben, was drin ist, Redaktion oder Werbung. Und ja: Auch einseitig positive Beiträge und Publireportagen sind Werbung. Doch Achtung, die Welt war noch nie nur schwarz und weiss; Übergänge sind fliessend, Information kann auch werblich und Werbung Information sein, ohne dass gleich die Absicht dahintersteht, Leser zu täuschen und zu trügen. Man braucht ein feines Gespür für seine Leser, um abzuschätzen, was man ihnen zumuten kann und was unzumutbar ist.

In der ganzen Debatte verloren geht der Leser. Unsere Leser, liebe Kollegen Medienmacher, sind klug und mündig. Unterschätzt sie nicht! Sie begreifen sehr wohl, was ihnen geboten wird, und entscheiden autonom, was sie konsumieren möchten und was nicht. Ebenso wissen sie, dass uns auf dem hart umkämpften Medienmarkt nichts geschenkt wird. Und dass Qualität Geld kostet. Deshalb müssen wir uns eine klare Linie leisten. Das heisst weder, Werbeauftraggeber vor den Kopf zu stossen noch, Leser zu düpieren. Sondern einen Weg zu finden, der für alle stimmt.

Der Presserat urteilte nun Anfang der Woche, Aussagen wie die von Somm und Lebrument seien gefährlich und untergrüben die Glaubwürdigkeit der Medien. Im Journalisten- Kodex sei festgelegt, dass Journalisten «jede Form von kommerzieller Werbung» vermeiden und «keinerlei Bedingungen vonseiten der Inserenten» akzeptieren sollen.

Hören wir genau hin: Der Presserat ruft den Journalisten-Kodex in Erinnerung und mahnt die Medien, ihre Glaubwürdigkeit nicht zu gefährden. Das ist gut und richtig. Journalisten dürfen sich mit keiner Sache gemein machen, auch nicht mit einer guten. Wie Journalisten aber «jede Form von kommerzieller Werbung vermeiden» sollen, wenn einzig Werbung Medien finanziert, sagt der Presserat nicht. Recht hat der Presserat damit, dass Journalisten «keinerlei Bedingungen» akzeptieren sollten: weder von Inserenten, noch von Abonnenten, noch vom Chefredaktor.

Tacheles: Abonnements finanzieren die Produktion von schlagkräftigen Medien schon längst nicht mehr, ausserdem sind immer weniger Menschen bereit, Medien zu abonnieren, wenn sie die halbe Wahrheit kostenlos im Internet bekommen. Ein Jahresabonnement der NZZ am Sonntag kostet 252 Franken, das der Werbewoche 295 Franken. Davon können sie nicht einmal die Putzfrau bezahlen. Werbung ist immer noch die Haupt-Einnahmequelle von Medien, auch wenn immer weniger Werbung geschaltet wird. Hören wir also auf mit dem scheinheiligen Gerede und suchen gangbare Wege, unseren Lesern auch in Zukunft gut recherchierte, hintergründige Berichterstattung zu bieten. Und vergessen dabei die klare Trennlinie zwischen Berichterstattung und Werbung nicht. Dafür müssen wir Journalisten einfach wieder ihre Arbeit machen lassen: Ich garantiere Ihnen, dass kein Journi freiwillig in einen hart recherchierten Artikel einen Werbejingle einbaut.

Der eigentliche Skandal ist ohnehin die Haltung von UBS und SVP. Zwei, die sich Inserate lässig leisten könnten und durch einen guten Job Medienarbeit machen sollten, setzen Medien unter Druck, weil diese nicht nach ihrem Munde reden. Dazu braucht man eigentlich gar nichts mehr zu kommentieren, die Sache kommentiert sich selbst. Profil wird nicht durch Werbung gemacht – weder das von Medien, noch das von Unternehmen.

Nochmal: «In was für einer Zeit leben wir eigentlich?» 2016, liebe Grossmami. Und es gibt viel zu tun.

 

Anne-Friederike Heinrich, Chefredaktorin
f.heinrich@werbewoche.ch

 

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