Zur Sache: Tante Guri adé

Sprache ist ein besonderes Gut. Sie ist nicht nur ein zentraler Teil unserer kulturellen Identität, sondern auch ein wichtiges Konstituens unserer Persönlichkeit.

Nicht von ungefähr sprechen wir von Muttersprache: Sprache ist uns ganz nah, sehr emotional, zentral mit unserem Fühlen, Denken und Handeln verknüpft und durch sie geprägt. Kinder, die nicht nur in einer Mutter-, sondern auch in einer Vatersprache – also zweisprachig – aufwachsen, haben besonderes Glück. Denn sie sind in zwei Sprachwelten zu Hause, können sich auf zwei Weisen ausdrücken und verstehen so vielleicht einmal etwas mehr von der Welt und von den Menschen.

Wer zweisprachig aufwächst, differenziert aber auch sehr genau, wann er welche Sprache verwendet: Um Gefühle und Gedanken, Wut und Trauer auszudrücken, gebraucht er meist die Sprache, die am häufigsten in seiner Lebensumgebung gesprochen wird. Die «andere» Muttersprache spricht er, wenn er mit Sprechern dieser Sprache zu tun hat, wenn es um Sachverhalte geht – oder schlicht, wenn ihm die Worte in der ersten Sprache gerade fehlen. Müttern und Vätern wird empfohlen, mit ihren Kindern immer nur ihre eigene Muttersprache zu sprechen. Denn selbst wer eine Fremdsprache sehr gut beherrscht – es bleibt eine Fremdsprache, nicht ganz lebensecht, aufgepfropft. So gehen wohl Facetten und Feinheiten des Gesprochenen verloren, die für die kindliche (Sprach-)Entwicklung zentral sind. Mutter, Vater und Kind merken das nicht. Ein Verlust ist es dennoch.

Dem Drang des Polyglotten erliegt aber nicht nur so manches Elternpaar, sondern immer wieder auch Werber und Marketingfachleute. Ich befürworte sprachliche Vielfalt. Anglizismen und Einfärbungen durch andere Sprachen zeugen von der Lebendigkeit und Anpassungsfähigkeit unserer Sprache, von offenem Wahrnehmen und geöffnetem Denken. Doch bei Werbebotschaften und Slogans ist Vorsicht geboten, insbesondere, wenn sie von international agierenden Unternehmen eingesetzt werden. Denn diese müssen damit rechnen, dass sie draussen auch jemand versteht – besser: versucht, sie zu verstehen. Und dass sich aus einer gut gemeinten Absicht dann ein dummer Schuss ins eigene Knie löst.

Wenn unser Vierjähriger, von einem Geburtstagsfest heimgekehrt, «Tante Guri adé» singt (Tanti auguri a te – viele Glückwünsche für dich), ist das goldig und schöpferisch zugleich. Denn er hat nicht nur versucht, den Klang der fremden Worte in seiner Sprache zu fassen, er hat uns auch ein neues Familienmitglied beschert. Tante Guri ist ab sofort überall dabei. Auch wenn sie immer grad wieder weg muss.

Doch wenn ein international agierendes Schweizer Industrieunternehmen sein Image nach innen und aussen aufpolieren und einen neuen Geist wehen lassen möchte, sollte es umsichtiger mit Sprache arbeiten als unser Grosser. Voller Stolz verkündete der Rüstungskonzern, man wolle die Marke stärken und Schulter an Schulter in die Zukunft ziehen: ­«Together ahead», heisst der Claim zum Vorhaben. Wenigstens bei einigen Briten unter den Mitarbeitern wurde dieser Zusammenschweiss-Versuch zur Lachnummer. «To get her a head» lasen diese und sahen sich in ihrer Meinung, ihr Arbeitgeber agiere völlig kopflos, einmal mehr bestätigt.

«Unsere Mitarbeitenden sind es, die uns ein Gesicht geben. Ihr Verhalten entscheidet über Erfolg oder Misserfolg», betont der Konzern in seinen Leitlinien. Vielleicht wäre es sinnvoll gewesen, eben diesen Mitarbeitern im Vorfeld eine Stimme zu geben, ihre Reaktion auf den neuen Claim zu prüfen, oder gar: sie in die Kreation einzubinden. Wir erinnern uns: Sprache kann echte Emotionen transportieren oder aufgepfropft wirken. Und man merkt das sofort. Lerneffekt: Branding kann auch zu ernsthaften Verbrennungen führen.

Bekleidungshersteller machen ihr Geschäft mit der Idee, Schönheit und gutes Aussehen kaufen zu können. Ich bin wieder einmal darauf hereingefallen. Vor wenigen Tagen fand ich mich in einer Umkleidekabine wieder, gemeinsam mit hübschen Kleidungs­stücken, die ich innerlich bereits gekauft hatte, noch bevor sie anprobiert waren. Glückselig trug ich meine Beute zur Kasse, glückselig zahlte ich, glückselig nahm ich die Papiertüte mit meinem Kauf in Besitz. Vor dem geistigen Auge plante ich bereits, bei welcher Gelegenheit welcher Fummel zum Einsatz kommen könnte. Im Tram dann der Schock: Ich hatte den Sack auf meine Knie gestellt, fest mit meinen Händen umklammert. Und auf dem Beutel stand: «#ImPerfect». Waaaaaaas?! Ich gebe viel Geld für Kleidung aus, bin auch noch glücklich darüber, und dann steht da: «mangelhaft, defekt, unvollkommen»?? Was für eine frustrierende Botschaft! Daheim angekommen, zog ich gleich alle Teile noch einmal über – und fand, dass sie nicht mehr so gut sassen wie in der Umkleide. So ein ­blöder Laden!

Natürlich habe ich begriffen, dass «I’m perfect» gemeint war, das genaue Gegenteil von dem, was ich spontan verstanden hatte. Und dass man diesen Satz in den Sozialen Medien nicht korrekt schreiben kann. Dennoch: Für mich wiegt der Imageschaden dieses negativ doppeldeutigen Claims grösser als das Desaster bei VW. Doppelsinn ergibt also nur Sinn, wenn er doppelt Sinn ergibt. Tante Guri lässt grüssen.

Anne-Friederike Heinrich, Chefredaktorin
f.heinrich@werbewoche.ch

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