Was bedeutet eigentlich… «andenken»?

Benno Maggi erklärt in seiner Kolumne «Was bedeutet eigentlich...?» Begriffe aus dem Marketing- und Kommunikationsbereich. Dieses Mal erklärt er das Verb «andenken».

Seit wann wird in der Branche eigentlich nicht mehr gedacht, sondern lieber nur angedacht? Und warum? Das unregelmässige Verb wird regelmässig in Meetings, Workshops und Brainstormings eingesetzt und hat das legendäre «Ich denke …» abgelöst. Okay, das war auch nervig, wenn gewisse Leute jeden Satz mit «Ich denke …» begannen. Denn die brauchten das wohl, damit sie wenigstens von sich selbst hörten, dass sie denken, wenn es schon sonst niemand merkte. Aber das ist eine andere Geschichte.

Projekte andenken reicht allemal

Nun wird also überall nur noch angedacht. Aber wer nur beginnt, über etwas nachzudenken, statt sich hier und jetzt ernsthaft und nachhaltig Gedanken zu machen, der ist entweder schlecht vorbereitet oder entzieht sich seiner Verantwortung. Das Erste ist noch verzeihbar. So schnell, wie heute alles gehen muss, bleibt keine Zeit, um fundiert zu einem Thema zu recherchieren und sich zu dokumentieren. Die Zeiten, in denen man gut vorbereitet in Meetings erschien oder Aufgaben zu Ende dachte, sind vorbei. Die Ad-hoc-Mentalität grassiert überall und verbreitet unnötige Hektik und Mehraufwand. Derweil die wenigen, die trotzdem noch gut vorbereitet handfeste Vorschläge bringen, gar nicht mehr gehört werden im «Lass uns das erst mal andenken»-Chor ihrer Team-Mitglieder und Vorgesetzten.

Das Zweite – sich damit der Verantwortung zu entziehen – ist jedoch viel schlimmer. Wer nur andenkt statt denkt, die oder der kann vermeintlich nichts falsch machen. Es ist ja schliesslich nur angedacht und hat keinen Anspruch auf Haltbarkeit. Die Quelle dieser Andenk-Inflation ist das Projekt, lateinisch «proiectum», wörtlich übersetzt «das nach vorn Geworfene oder das Hingeworfene». Und ja, überall wimmelt es im Moment von Projekten. Kaum mehr wird in Marketingabteilungen und Agenturen etwas langfristig gedacht, geplant oder entwickelt. Kein Wunder in einer Branche, wo Live-Streams, Stories, Now-Players und Instant-Messages Hochkonjunktur haben. Wo der Lebenszyklus der Agenturen in der Regel keine fünf Jahre dauert und die Dienstjahre der Auftraggeber in den Marketingabteilungen nicht mal halb so lang. Da lohnt es nicht zu denken, andenken reicht allemal. Was dabei herauskommt, ist dann halt oft Fast-Food-Trash oder Sondermüll statt Andenken für die Zukunft.


Benno Maggi ist Mitgründer und CEO von Partner & Partner. Er lauscht seit über 30 Jahren in der Branche und entdeckt dabei für uns Worte und Begriffe, die entweder zum Smalltalken, Wichtigtun, Aufregen, Scrabble spielen oder einfach so verwendet werden können.

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