Zur Sache: Müde Journis, müder Journalismus

Messwerte machen noch kein Radio. Aber wenn die Reichweiten nicht stimmen, werden Sender trotzdem einfach gekappt, egal, wie interessiert die (vielleicht wenigen) Hörer am Programm sind.

Das wird umso unheimlicher, wenn man weiss, wie viele Fehler bei der Reichweitenmessung passieren können – so wie jüngst mit den Mediawatches von Mediapulse.

Trauerspiele auch beim Fernsehen: Wirklich hochwertige, kluge und schöne Filme erzielen geringere Einschaltquoten als Bohlen, Blut, Büsi und Busen. Also wandern sie in Randzeiten ab oder werden ganz aus dem Programm gekippt. Die Zuschauerverdummung schreitet fort. Und nun soll Jeremy Clarkson, jüngst suspendierter Moderator der britischen Kult-Autoshow «Top Gear», auch noch einen Produzenten der Sendung geschlagen haben. Natürlich ist es keine Lösung, die Fäuste kreisen zu lassen. Aber ich kann Clarkson irgendwie verstehen.

Im Onlinejournalismus: Tempo geht vor Tiefe, Salbadern vor Sachkenntnis, Copy-Paste vor kreativer Denkleistung. Und alle Welt beklagt sich über oberflächliche Berichterstattung, die auf allen Kanälen gleich ist. Wie sollte es aber anders sein unter den Voraussetzungen, unter denen Online-Journalisten arbeiten? Sie stehen unter hohem Zeitdruck, verdienen meist weniger als Print-Journalisten und geniessen eine geringere Reputation. Dabei machen sie einen knochenharten Job. Immer dranbleiben braucht Köpfchen und zehrt Kräfte. Das sollten wir endlich honorieren. Auch die Leser im Übrigen.

In den Buchverlagen: Verleger versuchen, in einem Haufen Schrott Lesbares und Lesenswertes aufzustöbern, nachdem kluge Köpfe in der Enklave neue Welten zum Leben erweckt haben. Doch Bücher sind zum Billigartikel verkommen, mit dem sich kein Geld mehr verdienen lässt, schon gar nicht von der Schweiz aus im europäischen Ausland. Aber wollen wir wirklich nur noch die Schweizer Illustrierte und Micky Maus auf dem Nachttisch liegen haben? Der Bund fördert die Entstehung von Kultur. Das ist gut. Aber was ist mit ihrer Verbreitung?

Mein Traum: Es wäre so schön, wenn Medienpolitiker und Medienunternehmen endlich dafür sorgen könnten, dass die schreibende Zunft, die Berufsdenker, scharfzüngigen Beobachter und klugen Unterhalter den Rücken freihaben, um einen guten Job zu machen, um ihre Rolle als vierte Macht im Staate wirklich auszufüllen. Denn solange Journalisten sich um Ebitda und Empfangsgebühren, um Druckkosten und Posttarife kümmern müssen, bleibt die fundierte Recherche, bleiben Nachhaken und Nachbohren, bleiben Pfiff und Pointe auf der Strecke. Und damit rücken auch interessierte Leser, Hörer und Zuschauer in unerreichbare Ferne. Wenn Schriftsteller mit Quer- und Hochkant-Denken und Verlage mit einem Programm jenseits des Mainstreams keinen müden Rappen mehr verdienen, wird es bald nur noch marktkonform-öde Schreibe geben – im übelsten Fall gesponsert, i.e. infiltriert, von Wirtschaftsunternehmen, die die Druck- und Vertriebskosten aus der Portokasse zahlen. Wollen wir das?

Es braucht Mut, mutig zu sein.

Anne-Friederike Heinrich, Chefredaktorin
f.heinrich@werbewoche.ch
 

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