«Gute Arbeiten waren nie gefährdet»

Filmjuror Martin Spillmann über den Jurierungsmarathon

Filmjuror Martin Spillmann über den Jurierungsmarathon«Gute Arbeiten waren nie gefährdet»
Über 6000 Spots hatte die diesjährige Filmjury zu begutachten. Trotz dieser Rekordzahl wurden lediglich 70 Löwen vergeben. Mit dem Spot für Médecins sans Frontières (MSF) von Advico Young & Rubicam (AY&R) gewann die Schweiz zum zweiten Mal einen Goldlöwen. Den letzten heimste 1994 ebenfalls die Gockhauser Agentur ein, und zwar mit ihrem Kuh-Spot für den ZVSM.
Gratulation zum Goldlöwen. Wie fühlen Sie sich nach dieser Woche?
Martin Spillmann: Wie wenn man eine Überdosis Werbefilme hinter sich hat: hundemüde. Ich habe während acht Tagen zehn Stunden juriert, das geht an die Substanz. Es ist ein schönes Gefühl, einen Goldlöwen gewonnen zu haben.
Zwei Filme auf der Shortlist und davon gewinnt einer Gold. Eine gute Ausbeute.
Spillmann: Zweifellos (lacht). Dafür sollten wir auch noch einen Effie bekommen. Im Ernst: Es war dieses Jahr sehr, sehr hart, auf die Shortlist zu kommen.
Mussten Sie in der Jury noch viel Überzeugungsarbeit leisten?
Spillmann: Nein, der Entscheid wurde einstimmig gefällt. Dies gab es insgesamt nur 10-mal. In der Regel brauchte es eine Zweidrittelmehrheit für einen Goldlöwen. Es gab bezüglich dieses Preises keine Diskussionen. Alle waren sich einig.
Immerhin wurde letztes Jahr eine ähnliche Idee in der Kategorie Press & Poster mit einem Goldlöwen ausgezeichnet.
Spillmann: Das gab zu reden. Wir konnten aber nachweisen, dass wir den Etat in der Schweiz in einer Konkurrenzpräsentation gewonnen hatten, als besagte Kampagne von McCann-Erickson, Madrid, noch gar nicht präsentiert worden war. Ein Fall von ausgleichender Gerechtigkeit.
Wurde der Preis der Spanier nachträglich aberkannt?
Spillmann: Nein, es kann sein, dass zwei Agenturen fast gleichzeitig dieselbe Idee gehabt haben. Daher finde ich es auch richtig, dass die andere Agentur den Preis behalten kann.
Warum gingen der Autostopper-Spot von McCann-Erickson, Zürich, und der Hakle-Spot leer aus?
Spillmann: Der Autostopper-Spot kam gerade noch auf die kleinere Shortlist – diese umfasst nur noch etwa 200 Spots – , bekam aber zu wenig Punkte, um weiter verfolgt zu werden. Ich habe immer wieder betont, dass der Hakle-Spot nicht mein Favorit war. Er polarisiert zu stark. Mit der Bezeichnung «zuerst trocken und dann feucht» rührt man bei den Amerikanern an eine Tabuzone. Implizit sagt der Spot, dass, wer nicht auch noch feucht putzt, ungenügend putzt. Das kam bei den Angelsachsen schlecht an, bei den Südländern war es gerade umgekehrt.
Wie war die Stimmung in der Jury?
Spillmann: Wir hatten ein sehr gutes Einvernehmen. Bob Isherwood machte einen hervorragenden Job. Zuerst hiess es, er habe Mühe, sich durchzusetzen; doch das Gegenteil war wahr: Er konnte sich gerade dann behaupten, wenn es darauf ankam; nicht laut, aber bestimmt und präzis. Es gibt nach wie vor den Gegensatz zwischen der Latino-Fraktion und den Angelsachsen, doch unsere Arbeit war dadurch nie blockiert. Gute Arbeiten waren nie gefährdet, weil die Jurymitglieder sich unkorrekt verhalten hätten. Die Suche nach guten Ideen liess die chauvinistischen Gefühle in den Hintergrund treten.
Haben Sie etwas Neues entdeckt?
Spillmann: Neue Trends habe ich keine gesehen. Es geht einfach darum, ausgetretene Pfade zu verlassen und zu versuchen, die Beziehung des Konsumenten zum Produkt neu zu erzählen. Als Juror ist man nicht Berufsidiot, sondern in erster Linie ein ganz normaler Konsument, der sich Werbung anschaut und dabei gerne unterhalten werden möchte. Langeweile ist Gift. So einfach ist das.
Was hat Sie dieses Jahr am meisten überrascht?
Spillmann: Die Autowerbung war dieses Jahr aussergewöhnlich stark, die stärkste Kategorie überhaupt. Das ist umso erfreulicher, weil die Autoindustrie gleichzeitig auch die werbeintensivste Branche ist. Früher war Autowerbung immer «gliddering horseshit». Das hat sich geändert. Auch Deutschland ist in dieser Hinsicht sehr positiv aufgefallen.
Welchen Rat geben Sie Schweizer Werbern auf den Heimweg?
Spillmann: Ideen suchen, die zusammen mit dem Produkt Relevanz haben und die Konsumentenperspektive einnehmen. Man sollte sich bei einer Kampagne immer wieder fragen: Wie verhält sich der Konsument mit dem Produkt im Alltag? Was für eine Beziehung hat er dazu, und wie kann ich dies als Werber neu und überraschend erzählen? Entscheidend ist, dass man sich in den Konsumenten hineindenkt.
Fällt Ihnen dazu ein Beispiel aus dem Wettbewerb ein?
Spillmann: Spontan fällt mir die Fleurop-Kampagne ein, die nach dem Motto funktioniert: «Schenke deiner Freundin oder Ehefrau Blumen, dann tut sie dir auch etwas zuliebe.» Der Spot zeigt nur die überraschende Reaktion der Frau. Das Ganze ist verblüffend umgesetzt. Die gängige und banale Aussage in der Blumenwerbung läuft dagegen meist nach folgendem Schema ab: «Wir haben schöne Blumen, mit denen Sie Ihre Ehefrau glücklich machen können.» So was funktioniert heute einfach nicht mehr.
Ihr Fazit von Cannes 2001?
Spillmann: Es war ein durchschnittlicher Jahrgang mit Highlights und Fortsetzungen bestehender Kampagnen wie etwa die «Whassup»-Kampagne von Budweiser.
Gerade diese Kampagne bekam aber nur noch Bronze.
Spillmann: Zu Recht. Papageien und Ausserirdische, die reden, haben wir doch schon oft gesehen. Nicht sonderlich originell. Es liegt auf der Hand, solche Kampagnen fortzusetzen, doch dafür kann man keine Goldlöwen mehr geben. Gut daran ist sicher, dass die Kampagne fortgeführt wird, weil das den Brand stärkt. Doch die Umsetzung war zu wenig verblüffend. Viel origineller fand ich dagegen den Fortsetzungsspot von Budweiser mit den Geschäftsleuten, die sich mit «What are you doing?» begrüssen und ein Heineken in der Hand halten. Interview: Samuel Helbling

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