«Kreative Kommunikation funktioniert immer nach den gleichen Regeln»

ADC-Präsident Jean Etienne Aebi über den «Mehrwert durch überraschende Werbung»

ADC-Präsident Jean Etienne Aebi über den «Mehrwert durch überraschende Werbung»Kreative Werbung ist nicht «l’art pour l’art». Sie wirkt im Markt tatsächlich erfolgreicher als nicht-kreative. Eine Imagestudie zeigt auch, dass immer mehr verantwortliche Marketingleute an einen echten Mehrwert von Kampagnen glauben, die vom Art Directors Club (ADC) preisgekrönt worden sind (siehe auch Seite 12 und 18). Jean Etienne Aebi analysiert dazu die Hintergründe.Sind Sie zufrieden mit den Resultaten der Studie, die das Befragungsinstitut IHA.GfM bei 200 Top-Werbetreibenden sowie 50 Leitern von führenden Werbeagenturen durchgeführt hat?
Jean Etienne Aebi: Man könnte schon fast euphorisch sein. Der Vergleich mit einer ähnlichen Studie aus dem Jahr 1996 zeigt: Die Ausstrahlung des ADC nach aussen hat sich enorm positiv verändert. Wir können eine ganz
entscheidende Zunahme der Meinung feststellen, dass man dem ADC Kompetenz zuspricht. Man findet den ADC wichtig. Immer mehr verantwortliche Marketingleute sind sogar überzeugt, dass der ADC das Branchenimage massgeblich verbessert.
Sind also kreativ ausgezeichnete Kampagnen im Markt erfolgreicher?
Aebi: Die Studie zeigt eindeutig, dass nicht nur die CDs und ADs in den Werbeagenturen, sondern auch die überwiegende Mehrheit der zuständigen Marketingkader in der Schweiz eindeutig dieser Meinung sind.
Wie erleben Sie das in der Praxis? Finden Werbeauftraggeber und Kreative die gleichen Ideen auf Anhieb gut oder braucht es da immer noch viel Überzeugungskraft?
Aebi: Die überwiegende Mehrheit ist überzeugt, dass die kreativere Werbung die effizientere ist. Aber wenn ich heute Morgen die Zeitung angeschaut habe und heute Abend vielleicht fernsehe, dann kommt bei mir natürlich ein Fragezeichen: Was wird denn hier von einer Mehrheit als kreativ betrachtet? Über die Kriterien, was nun kreativ ist in einem Sinne, dass eine Kampagne auch im Markt ihre Wirkung erreicht, gibt es natürlich verschiedene Meinungen.
Beim Eiskunstlaufen unterscheidet man zwischen Pflicht und Kür. Gibt es diese Trennung auch in der Werbung?
Aebi: Auch in der erfolgreichen Kür werden sämtliche Sprünge und Schritte den Pflichtvorgaben gerecht – nur findet sie beim Publikum, also der Zielgruppe, viel mehr Aufmerksamkeit und Interesse. Genau das schafft die kreative Umsetzung in der Werbung.
Wie können die Mechanismen, die hier ins Spiel kommen, theoretisch analysiert werden?
Aebi: Wenn der Werbeblock kommt, weiss ich bereits vor dem ersten Bild, was ein Spot mir sagen will: Ich bin das Beste! Du musst mich kaufen! Ich bin genau das, was du brauchst! Alle Werbung läuft darauf hinaus. A priori langweilt mich das nur noch. Das Wie-es-mir-gesagt-Wird wird damit zum allein entscheidenden Kriterium. Wer mich irritiert, stoppt mich und macht mich neugierig auf die Pointe, das Angebot und seinen Nutzen. Das erreicht Werbung, wenn etwas abgeht, das ich noch nicht gesehen habe. Ich honoriere primär, dass mir jemand das, was er mir sagen muss, auf eine etwas andere Art sagt. Wer interessanter kommuniziert, ist interessanter.
Über die Wirkung von Humor in der Werbung gibt es die verschiedensten Studien. Wie gehen Sie persönlich mit dem Thema um?
Aebi: Humor ist eines der festen Rezepte – aus dem einfachen Grund, weil nach einem arbeitsreichen Tag niemand zu Hause vor dem Fernseher sitzt und unheimlich daran interessiert ist, irgendwelche Belehrungen über Versicherungen zu hören oder Vorträge über Erbsensuppen. Man will ein bisschen Anregung bekommen und dabei unterhalten werden. Und da gehe ich als Werber eben auf diese psychologische Erwartungshaltung ein. Humor ist bekannterweise eines der besten Rezepte – aber sicher nicht das einzige.
Werber stammen aus einem intellektuell anspruchsvollen Umfeld, kennen die neuesten Trends und leben in einer Welt mit sehr viel Medienkonsum. Ist es da eine Gefahr, dass Werber andere Massstäbe beim Beurteilen einer kreativen Werbung anlegen als der Durchschnitt der Bevölkerung?
Aebi: Im Einzelnen kann man nicht abstreiten, dass Werber manchmal Ideen witzig finden, weil diese genau aus dem Humus kommen, in welchem sie persönlich leben. Die jetzt vorliegende Studie zeigt aber, dass die Ideen, welche die Werber für so grossartig halten, genau die sind, die auch im Markt ihre Wirkung erreichen. Kampagnen, die in Cannes und bei anderen Wettbewerben abräumen, sind in überwiegender Mehrheit auch solche, die im Markt funktionieren. Das zeigt auch die Tatsache, dass zehn von elf Effie-Preisen in der letzten Runde identisch sind mit Arbeiten, die vom ADC ausgezeichnet worden sind. Dass wir als kreative Werber «l’art pour l’art» betreiben, ist ein Vorurteil, das man langsam, aber sicher begraben müsste.
Gibt es Branchen, die prädestiniert sind, als Totengräber einer kreativen Werbung zu gelten?
Aebi: Aus der Sicht des Werbekreativen überhaupt nicht. In den Achtzigerjahren hat man noch geglaubt, dass es unmöglich sei, Werbung für Waschmittel kreativ zu gestalten. Inzwischen ist bereits mehrmals das Gegenteil bewiesen worden. Kreative Kommunikation funktioniert für alle Produkte nach den gleichen Regeln. Aber es gibt Kunden, die tatsächlich glauben, dass wir nicht genau so ideenreich auch für eine Versicherung oder ein Auto werben könnten, wie wir es für Schokolade oder ein Reisebüro tun. Um Aufmerksamkeit erregen zu können, gelten überall die gleichen Mechanismen. Deshalb ist es auch gefährlich, dass man sich innerhalb einer Branche multipliziert und sagt: «Wir haben schon immer auf diese bestimmte Weise Werbung gemacht.» Man müsste vielmehr realisieren, dass in allen Branchen immer der Ausbruch, immer die Ausnahme von der Regel die erfolgreichsten kreativen Lösungen ergeben.
Sie selber sind schon oft in den verschiedensten Jurys dabei gewesen und selber hoch dekoriert. Gibt es für Sie ein paar gefestigte Kriterien, mit denen Sie fragen können: «Was ist gute Werbung?»
Aebi: Idee, Idee, Idee und noch einmal Idee. Und das heisst: Sie muss mich überraschen. Dann muss mich diese Überraschung gewinnend auf das Angebot schliessen lassen, es zwingend für mich machen. Lustig sein allein bringt genauso wenig wie nüchtern alles Richtige sagen. Dazu kommt mein persönliches Gefühl. Würde ich gerne mehr Werbung von dieser Art und Weise sehen? Ohrfeige ich mich, weil ich nicht selber schon lange auf einen Einfall dieser Art gekommen bin? Interview: Andreas Panzeri

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