Coca-Cola statt roter Stern

Internationale Labels verändern die Stadtbilder Estlands, Lettlands und Litauens

Internationale Labels verändern die Stadtbilder Estlands, Lettlands und LitauensVon Werner CatrinaAm Rande der Altstadt von Tallinn warten drei Trams vor einer Baustelle. Alle sind knallrot und mit dem McDonald’s-Logo verziert. Wo einst das Rot der sowjetischen Flagge dominierte, regieren heute die aggressiven Hausfarben westlicher Konsumgüter. Statt hohler kommunistischer Parolen an den Hauswänden verkündet jetzt Avis «We try harder».
Die baltischen Staaten, Estland (45000 Quadratkilometer; 1,5 Millionen Einwohner), Lettland (65000; 2,5 Millionen) und Litauen (65000; 3,7 Millionen), blicken auf eine äusserst komplexe und immer wieder schmerzhafte Geschichte zurück. Deutsche, dänische, polnische und schwedische Einflüsse formten die Metropolen Tallinn, Riga und Vilnius seit Jahrhunderten. Und immer wieder überfiel Russland die drei Länder, vor allem wegen deren Zugang zu den eisfreien Häfen am Baltischen Meer.
Nach einer kurzen Phase der Autonomie besetzte die Rote Armee 1940 die drei Staaten, dann fiel Hitlers Wehrmacht ein. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ging für fast fünfzig Jahre der Eiserne Vorhang nieder und schnitt die baltischen Staaten vom Westen ab.
«Teile und herrsche» hiess die Devise der Sowjets; kein Wunder also, dass die russische Planwirtschaft in der Industrie zu einseitigen Entwicklungen führte. So versorgte Lettland fast die gesamte Sowjetunion mit Glühbirnen. Das Land wurde auch zu einem der wichtigsten Hersteller militärischer Kommunikationstechnologie und belieferte des Weiteren fast die ganze UdSSR mit Kühlaggregaten. Vieles musste wegen der einseitig verteilten Produktion in die baltischen Gebiete eingeführt werden; eine gewollte Abhängigkeit von der Kolonialmacht.
Besonders bei der Energieversorgung waren Estland, Lettland und Litauen komplett von Russland abhängig. Doch trotz dieser Fehlentwicklungen lagen die drei Länder an der Spitze der Wohlstandspyramide der gesamten UdSSR; verglichen mit dem benachbarten Finnland jedoch weit zurück.
Städte, die noch an
Franz Kafkas Prag erinnern
Der Weg vom roten Stern zur flächendeckenden Präsenz von Coca-Cola war lange und von Frustrationen und Leiden geprägt. Mit Michail Gorbatschow, dem 1990 in Vilnius 300000 Menschen einen erwartungsvollen Empfang bereiteten, setzte der Befreiungsprozess ein.
Die Balten mit ihren jahrhundertelang vom Handel geprägten Hansestädten am Meer fühlen sich seit jeher dem Westen zugehörig, deshalb wohl legte die westliche Konsumwirtschaft so rasch ihren Firnis über die Bevölkerungszentren. Das Coca-Cola-Rot ist heute viel verbreiteter als Hammer und Sichel auf rotem Grund zur Zeit des sowjetischen Terrors.
Für Besucher aus Mitteleuropa sind die drei Metropolen vielleicht nicht gerade Einkaufsparadiese, es ist dennoch verblüffend, was es hier von Gillette über Black & Decker bis zu Benetton alles zu kaufen gibt. Einheimische Produkte geniessen dagegen einen geringeren Status.
Die noch in den Achtzigerjahren zerfallenen, an Kafkas Prag erinnernden Städte haben sich herausgeputzt. Im Schatten der 33 gotischen und barocken Kirchen von Vilnius zeigen Hugo Boss und IBM ebenso Flagge wie Renault oder Nescafé.
Am Doma laukums in Riga beziehen smarte junge Businessmen am Bancomat Lats, die lettische Währung mit dem doppelten Wert des Dollars (ein Bier kostet 0.40 Lats). Das Bruttosozialprodukt je Einwohner und Jahr liegt in Litauen jedoch einiges unter 3000 Dollar, in Estland etwas darüber.
Der Reichtum scheint in den drei neu geborenen Staaten alles andere als gleichmässig verteilt zu sein, wovon die zahlreichen Volvos und Mercedes in den Städten zeugen. Die Privatisierung nach dem Ende der Sowjetherrschaft hat wie anderswo im versunkenen Ostblock Verlierer und Gewinner erzeugt.
In den Bars von Riga, die «Amsterdama» oder «Jautras Masas» heissen, mischen sich Touristen mit Einheimischen, westlichen und russischen Geschäftsleuten jeder Couleur; die Prostitution ist in gestylten wie schummrigen Etablissements unübersehbar.
Riga hat etwas von einer Goldgräberstadt, in der sich neben einer hart arbeitenden Mehrheit auch manche zwielichtigen Figuren herumtreiben. Obwohl die lettische Metropole die teuerste Stadt im Baltikum ist, sind die Durchschnittspreise auch hier noch um einiges tiefer als in Mitteleuropa. Für Menschen, die umgerechnet wenige hundert Franken im Monat verdienen, bleiben die Markenprodukte eine Fata Morgana – sie sind unerreichbar.
Noch sind die drei Staaten ein touristischer Geheimtipp
Die Werbung der Finnair im Reisebüro nahe dem Hotel «Riga» zeigt Helsinki als Stern mit Strahlen in alle Himmelsrichtungen, auch nach Zürich, Riga, Tallinn und Vilnius. Via den Hub in der finnischen Hauptstadt reist man von Mitteleuropa aus am schnellsten und bequemsten in die baltischen Staaten. Alle drei Länder sind ein wirklicher Geheimtipp und stehen kurz vor ihrer touristischen Entdeckung. Schon bald könnte das Gedränge der Japaner, Deutschen oder Schweizer auf dem Rathausplatz in Tallinn so gross sein wie auf der Karlsbrücke in Prag.
An allen Ecken schrillen in den Zentren die Handys. Junges, selbstbewusstes Volk promeniert in den Altstädten von Tallinn, Riga und Vilnius über das Kopfsteinpflaster, als wärs ein Laufsteg in Paris.
Doch in den Strassenzügen am Rande der Citys, wo die internationalen Firmenlabel ausdünnen, wird es plötzlich schäbig, man fühlt sich in eine andere Welt versetzt. Öde Plattenbauten aus einer real anders existierenden Zeit ragen in den Himmel, heruntergekommene Häuser, in den Strassen fahlere Gesichter und immer wieder bettelnde, alte Menschen, die Verlierer des Umbruchs.
Auf dem Land scheint die Zeit weit zurückgedreht. Alte, zum Teil mit Stroh gedeckte Häuser und Pferdegespanne prägen das Bild. Hie und da dreht ein verrostender Mähdrescher aus der Kolchosenzeit noch seine Runden.
Auffallend auch der dünne Verkehr auf den wenigen Autobahnen und den grossen Überlandstrassen. Da zeigt sich, dass das Bild in den Städten trügt und die Vollmotorisierung noch lange auf sich warten lässt.
«Hoffentlich heiratet meine Tochter keinen Bauern», erklärt unsere lettische Reiseführerin Maja Strode und setzt einen tiefen Seufzer hinter die Aussage, denn «wer Geld verdienen will, geht in die Stadt».
Hauptsache für die Balten bleibt die Freiheit
Selbstsicher bewegt sich die Jugend; was die Älteren erlitten, kennen manche nur noch vom Hörensagen. Die junge Frau an der Réception des «City Park Hotels» in Vilnius fährt im eigenen Auto zur Arbeit, die Renault-Occasion habe 6000 Dollar gekostet, erzählt sie uns freimütig, wohl zwei Jahreslöhne. Wie sie das macht, bei einem Benzinpreis von umgerechnet etwas mehr als einem Franken pro Liter, bleibt ihr Geheimnis. «We are free», sagt sie, «and we are happy!»
APG in Osteuropa

Die Europlakat hat sich auf die Plakatierung im osteuropäischen Wirtschaftsraum spezialisiert. Vor sechs Jahren hat sich die Schweizer Firma APG an der Europlakat International mit Sitz in Wien beteiligt, die im Besitz der österreichischen Gewista war. Wie Christian Kauter von der APG erklärt, ist Europlakat vor allem in Kroatien, Polen, Tschechien, Ungarn und dem ehemaligen Jugoslawien tätig; bis jetzt jedoch noch nicht in den baltischen Staaten. Noch werden bei einem Umsatz von rund 57 Millionen Franken im Jahr keine grossen Gewinne eingefahren, doch es handle sich, so Kauter, um einen Zukunftsmarkt mit jährlichen Zuwachsraten von gegen zwanzig Prozent. Die bosnische Metropole Sarajevo zum Beispiel verzeichnet einen beträchtlichen Wirtschaftsaufschwung mit ausländischen Investitionen, was den Bedarf an Werbung stark erhöht. Plakate westlicher Konzerne wie Coca-Cola, McDonald’s oder Nokia werden ebenso ausgehängt wie Werbung für einheimische Produkte. In Zusammenarbeit mit den Behörden koordiniert Europlakat den Plakataushang in den Städten, wobei man namentlich auf historische Ortsbilder Rücksicht nimmt. Mit aufdringlicher Reklame bemalte Hauswände in osteuropäischen Altstädten bezeichnet Kauter als «Sünden der Vergangenheit», Europlakat bemühe sich um gutes Einpassen der Werbung in den Innenstädten.

Weitere Artikel zum Thema