Wo jeder Leser wirklich hinguckt

Die Wahrnehmung von Anzeigen hat viel weniger mit der Platzierung als mit Sinneseindrücken zu tun

Die Wahrnehmung von Anzeigen hat viel weniger mit der Platzierung als mit Sinneseindrücken zu tunVon Wolfgang KoschnickLinks oder rechts, farbig oder schwarzweiss, inter pares oder
im Alleingang? Die Platzierung von Anzeigen, aber auch Faktoren wie Farbe, Grösse und inhaltliche Qualität sind Bestandteil der Werbewirkungsforschung. Die jedoch trotz (oder gerade wegen) zahlreicher Analyseresultate
keine Einigkeit hervorbringt.
Die Vorstellung, dass Werbung besonders machtvoll wirkt, wenn sie an einer günstigen Stelle platziert ist, hält sich in der Werbewirtschaft hartnäckig. Doch wo könnte eine solche Stelle sein? Und weshalb sollte ein und dieselbe Werbung an der einen Stelle atemberaubende Erfolge erzielen und einer anderen Stelle sang- und klanglos den Bach heruntergehen?
Werber glauben, dass eine Anzeige rechts oben auf der Seite viel besser wirkt als links unten, und selbst rechts unten wirkt sie noch stärker als links unten – der Ecke der absoluten Werbefinsternis. Selbst Werber, die sich eingehend mit Werbewirkung beschäftigt haben, glauben das. Und sogar solche, die sich kritisch-selbstkritisch fragen, warum das so sein sollte, sagen dann: «Platzieren Sie die Anzeige bitte rechts oben.» Nicht weil sie glauben, da wirke sie stärker. Aber man kann ja nie wissen. Und schaden kann es auf keinen Fall.
Lange wollte die Werbung von Psychologie nichts wissen
Historisch gesehen ist Platzierung die erste und älteste Fragestellung der Werbeforschung überhaupt. In den frühen Neunzigerjahren des 19. Jahrhunderts begannen die ersten Psychologen das «Wirkungsprinzip der Reklame» zu untersuchen. Dazu verwendeten sie rudimentär quantitative Methoden, um die Rolle der Anzeigenplatzierung zu erforschen.
So liess der Werbepsychologe Bernhard Wities 1892 mehrere identische Anzeigen an verschiedenen Stellen einer Zeitung erscheinen und stellte fest, dass eine Anzeige auf der letzten Seite viermal so viele Anfragen beim Werbetreibenden einbrachte wie eine in der Mitte der Zeitung.
Das war sozusagen der erste mehr oder weniger kontrollierte Test in der Direct-Response-Werbung. Ein anderer Test aus dem Jahr 1894 ermittelte für eine in regelmässigen Zeitabständen geschaltete Anzeige, dass die jeweils dritte und vierte Veröffentlichung stärker wirkte (also Anfragen auslöste) als die erste und zweite.
Diese frühen Forschungen deutscher Werbepsychologen waren indes für die Katze. Kein Mensch interessierte sich dafür. Schon gar nicht die Werbewirtschaft. Die Werbeauftraggeber kümmerten sich zu Beginn des
20. Jahrhunderts keinen Deut um die Erkenntnisse der Wissenschaft. Damals galt es in Europa noch als abwegig, überhaupt irgendwelche wissenschaftlichen Erkenntnisse in der Betriebsführung umzusetzen. Die angewandte Wirtschafts- und Betriebspsychologie hatte in Europa erst um 1910 Fuss fassen können. In den Zwanzigerjahren begann der zaghafte Brückenschlag von der Wissenschaft zur Wirtschaft.
Qualifizierte Labortests mit
elementaristischer Psychologie
Selbst im Jahr 1920 stellte Heinrich Niklisch, einer der Begründer der Betriebswirtschaftslehre in Deutschland, resigniert fest, dass «sich die Psychologen noch heute vor ihren Lesern entschuldigen, wenn sie die Reclame zum Gegenstande ihrer Untersuchung machen».
Die Amerikaner hatten schon damals einen Vorsprung gegenüber den Europäern. In den USA untersuchten seit der Jahrhundertwende Wissenschaftler wie Harlow Gale, Walter Dill Scott und Daniel Starch die Wirkungen von Anzeigenelementen wie Gestaltung, Grösse und Platzierung.
In Europa knüpfte Hugo Münsterberg in seinem Buch «Psychologie und Wirtschaftsleben» an die amerikanischen Studien an und klagte: «Die wirtschaftliche Welt spendet jährlich Millionen für die Anzeigen oben rechts und Millionen für die Anzeigen unten links und weiss nichts davon, dass die einen doppelten Wert von den anderen besitzen.»
Als Vertreter der praxisorientierten Psychotechnik setzte Münsterberg quantifizierende Laborexperimente ein. Er stand unter dem Einfluss der von Gustav T. Fechner und Ernst Heinrich Weber im 19. Jahrhundert entwickelten Elementenpsychologie. Im Gegensatz zur Ganzheits- und Gestaltpsychologie ging die Elementenpsychologie davon aus, dass alle psychischen Vorgänge und Inhalte wie Wahrnehmung, Gedächtnis, Bewusstsein durch die Annahme kleiner Einheiten (also Elemente) interpretierbar sind, die als unabhängige und unteilbare Bausteine die Inhalte und Vorgänge der Psyche konstituieren. Vereinfacht ausgedrückt ergibt sich das psychische Ganze danach aus der Summe seiner Teile.
Daher basierte die elementaristische Psychologie auf der Annahme, Wahrnehmung sei die Summe physikalischer Aussenreize, und die Stärke der Empfindungen lasse sich daher auf Grund der Stärke der Reize berechnen. Die umfassende Wahrnehmung setzt sich aus kleinsten physischen Elementen zusammen. Empfindungen stehen in einem konstanten, berechenbaren Verhältnis zur Stärke des physikalischen Reizes aus der Umwelt.
Das daraus abgeleitete webersche Gesetz (oder auch fechner-webersches Gesetz) unterstellte eine konstante und berechenbare Beziehung zwischen der Stärke des Reizes, die mit physikalischen Methoden bestimmt werden könne, und der Empfindung, deren Intensität vom Erlebenden selbst skaliert werden müsse. Heute nennt man das deshalb die «klassische Konstanzannahme». Da es bei den entsprechenden Untersuchungen um die Beziehung zwischen psychischen und physikalischen Intensitäten ging, wurde diese Forschungsrichtung auch häufig als Psychophysik bezeichnet.
Die «Holzhammerreklame»
feiert Wiederauferstehung
Vor allem die Werbepsychologie war in ihren Anfängen stark von der Elementenpsychologie beeinflusst und untersuchte, welche Beziehung zwischen der Grösse oder Platzierung eines Werbemittels und seiner Beachtung bestehe. Für die Werbepsychologie ergab sich daraus die Schlussfolgerung, dass eine hinreichende Menge von starken physischen Reizen in stetiger Wiederholung starke Assoziationen und Empfindungen bei den Umworbenen erzeugen und so Werbeerfolge garantieren müsse.
Um den Werbeerfolg einzelner Massnahmen im Rahmen eines Werbefeldzugs zu untersuchen, begnügte sich die elementenpsychologische Schule damit, die Reizstärke und Auffälligkeit isolierter Teilaspekte wie die Anzeigengrösse, ihre Platzierung auf der Seite, ihre farbliche Gestaltung, ihre Aufmerksamkeitswirkung und anderes mehr zu untersuchen und daraus automatisch Schlussfolgerungen über ihre Werbewirkung und Verkaufswirkung zu ziehen.
Da nach dieser ältesten Wahrnehmungstheorie nur der physikalische Reiz für die Werbewirkung von Bedeutung war, empfahl man den Werbetreibenden, möglichst reizstarke Werbemittel zu verwenden: gross, bunt, laut, oftmals wiederholen. Der daraus resultierende Werbestil wurde nicht zu Unrecht als «Holzhammerreklame» bezeichnet. Er feiert heutzutage fröhliche Auferstehung, wenn auch unter dem Vorwand des Werbedrucks: Um im lauten Getöse mannigfacher und mannigfaltiger Werbung überhaupt noch gehört zu werden, muss man das Gedröhne der anderen übertönen. Anders kann man sich kein Gehör verschaffen.
Rinks oder lechts? – Kann
man getrost vergessen
Die in den Zwanzigerjahren begonnenen Studien wurden auch nach dem Zweiten Weltkrieg eifrig fortgeführt. Ganz allgemein haben die neueren Forschungen vor allem die Prämissen der Elementenpsychologie immer stärker erschüttert, bis schliesslich ein Punkt erreicht war, an dem man unterstellte, dass Faktoren wie Format, Grösse, Platzierung auch in den besten Fällen nur minimale bis gar keine Einflüssen haben.
Eine typische Untersuchung dieser Art war die gross angelegte Studie des Heinrich Bauer Verlags, Hamburg, über «Messverfahren der Anzeigenwirkung». Sie wurde erstmals 1972 durchgeführt und 1996 wiederholt. Ergebnis: Im Mittel erinnerte sich ein Betrachter an 1,8 Anzeigen auf der rechten Seite und an 1,7 der Anzeigen auf der linken Seite. Und die Anzeigenwiedererkennung betrug 38,2 Prozent bei rechtsseitigen Anzeigen, 37,7 Prozent bei linksseitigen. Die Untersuchung analysierte dies durch ungestützte Erinnerung und Anzeigenwiedererkennung bei Heftvorlage.
Das alles spricht nicht gerade dafür, dass die Platzierung von Anzeigen eine eindrucksvolle Rolle bei der Anzeigenwirkung spielt. Ganz ähnlich sind die Befunde über die Platzierung «vorn» oder «hinten» im Heft: Bei aktuellen Illustrierten nimmt die spontane Erinnerung tatsächlich ab, je weiter hinten im Heft die Anzeigen platziert sind. Für Frauenzeitschriften gilt dies aber schon nicht mehr. Bei ihnen werden Anzeigen im letzten Sechstel am stärksten erinnert.
Die gestützte Wiedererkennung schliesslich zeigt für beide Gruppen von Zeitschriften das gleiche Bild: Eine systematische Abhängigkeit von der Platzierung weiter vorne oder weiter hinten ist nicht erkennbar. Im Prinzip sind alle moderneren Untersuchungen zu ähnlichen Erkenntnissen gelangt.
Allein der aktuellen Illustrierten Stern liegen Befunde zur Anzeigenbeachtung aus über 6000 Anzeigen-Copytests vor. Das ist eine ziemlich grosse Zahl. Befunde zur Platzierung: 44 Prozent der Befragten konnten die Anzeige auf der rechten Seite wiedererkennen (Recognition), 43 Prozent die linke Seite. Bei der ungestützten Erinnerung (Recall) ist das Verhältnis sogar 28 zu 26 zu Gunsten der linken Seite.
Copytests sind eine unsichere Erhebungsmethode
Auch helvetische Medienmacher hat die Frage nicht losgelassen, welchen Einfluss Platzierungseffekte auf die Werbewirkung haben könnten. Ein von Ringier im Vorfeld der Qualitativen Media-Studie (QMS) und der MACH 90 von November 1988 bis Januar 1989 durchgeführter Copytest mit insgesamt 994 Anzeigen für 15 Zeitschriften aus der Deutschschweiz und der Suisse romande gelangte zum Befund, die verbreitete Ansicht, die Nutzung einer Zeitschrift nehme generell nach hinten ab, sei unbegründet.
Bei den ganzseitigen vierfarbigen Anzeigen zeigte sich zum Beispiel folgendes Bild: Von den 300 in den Test einbezogenen Inseraten befanden sich 99 im ersten Viertel, 57 im zweiten, 54 im dritten und 90 im letzten Viertel der einzelnen Hefte. Die Beachtung der Anzeigen lag jedoch in allen Heftteilen ungefähr auf dem gleichen Niveau.
Die meisten dieser Befunde wurden auch in einem zuletzt 1999 unter dem Titel «Qualitative Resonanzanalyse» veröffentlichten Langzeitvergleich von Copytestergebnissen der Zeitschrift Hörzu von 1982 bis 1998 bestätigt. Dabei zeigten sich im Einzelnen folgende Punkte:
Einfluss der Platzierung im Heft: Die Erinnerungswerte für Anzeigen in beiden Hefthälften (vorderer Heftteil versus hinterer Heftteil) sind nahezu gleich. In den einzelnen Format-/Farbigkeitsgruppen gibt es leichte Unterschiede. Einmal schneiden die Anzeigen im vorderen Heftteil etwas besser ab, einmal diejenigen im hinteren Heftteil.
Ursache für diese Abweichungen dürfte die Zusammensetzung der Testanzeigen in den einzelnen Gruppen sein. Einmal gibt es mehr attraktive Anzeigen im vorderen Teil, einmal mehr im hinteren Teil. So traten bei den doppelseitigen Vierfarbanzeigen im hinteren Heftteil vermehrt Lebensmittelanzeigen auf, die überdurchschnittliche Erinnerungswerte erzielten.
Bei den ganzseitigen Vierfarbanzeigen waren Kaufhausanzeigen überproportional im vorderen Heftteil enthalten und erhöhten somit den Durchschnitt. Aber auch das uneinheitliche Bild der jeweiligen Abweichungen bestätigt, dass die Anzeigen in beiden Hefthälften gleich gut erinnert werden.
Einfluss der Platzierung auf der Doppelseite: Auch die Ergebnisse der Hörzu-Copytests bestätigten, dass rechtsseitige Anzeigen nicht grundsätzlich besser erinnert werden als linksseitige. Lediglich bei den dreiviertelseitigen Vierfarbanzeigen weisen die linksseitigen Anzeigen deutlich schlechtere Erinnerungswerte auf. In dieser Gruppe häuften sich allerdings die Pharma-Anzeigen, die insgesamt ein unterdurchschnittliches Erinnerungsniveau verzeichneten und so den Durchschnitt herunterzogen.
Einfluss der Platzierung auf Umschlagseiten: Anzeigen auf der zweiten Umschlagseite (U2) werden nicht besser erinnert als die durchschnittliche Anzeige. Anzeigen auf der dritten (U3) und der vierten Umschlagseite (U4) weisen etwas höhere Erinnerungswerte auf. Ob dieser Effekt durch die exponierte Platzierung im Heft hervorgerufen wurde oder durch ein vermehrtes Auftreten von grossen, sehr werbeaktiven Marken in der Kollektion der Testanzeigen auf dieser Platzierung, liess sich nicht feststellen.
Zwei Aspekte verursachen beim kritischen Betrachter der Befunde etwas mulmige Gefühle in der Magengrube:
Praktisch alle schönen Untersuchungen, in denen stets herauskam, dass alle Plätze in einer Zeitung oder einer Zeitschrift gleich gut sind, wurden von Verlagen oder deren Vermarktungsorganisationen durchgeführt. Es liegt im wirtschaftlichen Interesse der Veranstalter dieser Studien, dass dabei genau dies und nichts anderes herauskam. Das ist in höchstem Masse suspekt.
Zweitens stammen diese Erkenntnisse aus Copytests. Und die sind ein ziemlich grobes und unergiebiges Forschungsinstrument. Methodisch handelt es sich um
ein Wiedererkennungsverfahren (so genannter Starch-Test) unter Verwendung von Originalheften oder Originalwerbemitteln (in der Regel Anzeigen), also der Originalheftmethode (Through-the-Book-Technique). Der Interviewer legt dem Befragten eines oder mehrere der zu testenden Werbemittel oder eine komplette Zeitung oder Zeitschrift oder eine Broschüre vor, geht sie Seite für Seite mit ihm durch und fragt bei jeder einzelnen Seite, jedem einzelnen redaktionellen Beitrag, jeder einzelnen Anzeige, ob der Befragte sich daran erinnern kann, sie gesehen oder gelesen zu haben (Claimed Readership).
So wird Schritt für Schritt ermittelt, welche Teile des redaktionellen Teils oder/und des Anzeigenteils beachtet und teilweise oder ganz gelesen wurden. Im zweiten Schritt werden bei Copytests häufig Teile der Werbemittel abgedeckt und die Befragten aufgefordert anzugeben, an welche Einzelheiten der abgedeckten Teile sie sich noch erinnern. Dabei wird ganz konkret nach der Erinnerung an spezifische Einzelheiten wie den Namen des Werbungtreibenden, die Firmenbezeichnung, die Überschrift, einen Slogan und dergleichen gefragt (proven readership, proven recall).
Von wirkungsvoller Bedeutung ist die Orientierungsreaktion
Doch wozu braucht man aufwändige Copytests, wenn man den konkreten Leseverlauf auf einer Seite auch mit Hilfe einer Blickbewegungskamera minutiös verfolgen kann? Blickbewegungskameras werden in der psychobiologischen Werbewirkungsforschung eingesetzt und stellen damit einen ganz und gar anderen Ansatz dar als die Elementenpsychologie. Sie gehen von vornherein davon aus, dass Werbewirkung das Resultat der Aktivierungswirkung von äusseren Reizen darstellt. Und damit ist eigentlich schon von der Prämisse her klar: Platzierung ist kein starker Reiz, der grossartige Aktivierung auslösen könnte. Wichtig ist die Qualität des Reizes und wichtig ist, dass ein Reiz Orientierungsreaktionen auslöst. Aber wo er steht, ist völlig unerheblich.
Der menschliche Körper verfügt über ein spezifisches Aktivierungssystem, das die Aktivität des Menschen steuert und die Verarbeitung individuell relevanter Reize fördert. Die Aktivierungswirkung von Reizen hängt von physikalischen Eigenschaften sowie von kognitiven und emotionalen Eigenschaften des Reizmaterials ab. So gelten physikalisch starke Reize (laut, hell, der Farbbereich Gelb, Orange, Rot) als stark aktivierend.
Für die Informationsaufnahme ist speziell eine elementare Reaktion auf aktivierende Reize bedeutsam: der Orientierungsreflex – eine der Reizdarbietung folgende kurzzeitige Reaktion. Sie stellt den Organismus auf den Reiz ein, sensibilisiert das Informationssystem und vermehrt die Informationszufuhr aus der gesamten Umwelt. Der Orientierungsreflex erfolgt weit gehend automatisch. Er wird von diesen Eigenschaften eines Reizes bestimmt: Intensität, Farbe, Grösse, Neuartigkeit, Ungewissheit.
Vor allem Farbe löst starke Orientierungsreaktionen aus und führt zu einer verstärkten Informationsaufnahme. Elemente, die sich durch farbliche Gestaltung abheben, bewirken eine Orientierungsreaktion des Betrachters und ziehen den Blick auf sich. Gleichartige Reaktionen kann man von allen Reizen mit starkem Aktivierungspotenzial erwarten.
In Anzeigen werden so die stark aktivierenden Elemente im Durchschnitt um rund 40 Prozent häufiger fixiert als die schwach aktivierenden Elemente. Die Informationsaufnahme ist bei diesen Elementen auch entsprechend höher.
Die häufigere Fixation der aktivierenden Elemente führt auch zu einer besseren Erinnerung. Farbige Illustrationen aktivieren stärker als klein gedruckte Textwüsten. Die Leser nehmen die Informationen besser auf: wohlgemerkt die im Bild selbst enthaltenen Informationen.
Starken steuernden Einfluss übt die Gestaltung in der Orientierungsphase aus. Wie der Blick des Lesers eine Seite in der ersten Sekunde exploriert – das hängt in starkem Masse von der «Architektur» einer Seite ab. Selbst wenn eine visuelle Reizvorlage längere Beachtung als eine andere findet, ist das nicht per se ein Indiz einer höheren Wirksamkeit.
Eine Betrachtungsdauer von zwei Sekunden kann daher für eine Anzeige, die lediglich den Namen einer Marke im Gedächtnis der Konsumenten halten soll, sehr lang sein. Für eine komplex gestaltete Anzeige mit vielen Gestaltungselementen können zwei Sekunden viel zu kurz sein.
Wenn also Leser zwei Sekunden lang den für die Werbeziele der Anzeigen irrelevanten Blickfang einer Anzeige anschauen, verpufft die Werbung wirkungslos trotz langer Betrachtungsdauer. Alles in allem: Für irgendwelche Platzierungseffekte hat die Blickbewegungsforschung keinerlei Anhaltspunkte gefunden. Die grösste Chimäre der populären Vorstellungen über die Wirkung von Anzeigen ist zerplatzt.
Platzierungseffekte bei Zeitschriftenanzeigen• Eine ganzseitige vierfarbige Anzeige gegenüber einer ganzen Anzeigenseite platziert, erbringt im Durchschnitt einen um 5 Prozent höheren Beachtungswert als eine Anzeige gegenüber redaktionellem Text.
• Eine ganzseitige Schwarzweissanzeige gegenüber einer ganzen Anzeigenseite erbringt im Durchschnitt einen 12 Prozent höheren Beachtungswert.
• Je höher die Zahl der Anzeigen im geschlossenen Anzeigenteil, desto grösser ist der Nutzen, den der Werbetreibende davon hat, dass seine Anzeige gegenüber einer anderen Anzeige platziert ist.
• Eine Platzierung in einem produktnahen redaktionellen Teil erbringt eine 10 Prozent höhere Beachtung als eine Platzierung in einem nichtproduktgerechten redaktionellen Umfeld.
• Redaktionelle Farbseiten werden häufiger aufgeschlagen als Schwarzweissseiten und erhöhen dadurch die Anzeigenbeachtung.
• Je grösser die Zahl und je dichter die Anzeigen eines Produktfelds nebeneinander platziert werden, desto höher ist die Anzeigenbeachtung jeder Anzeige in diesem Feld.
• Anzeigen auf der vierten Umschlagseite erzielen eine um 20 bis 30 Prozent höhere Beachtung als im Innenteil der Zeitschrift.
Platzierungseffekte bei Anzeigen in Tageszeitungen • Anzeigen auf der linken oder rechten Seite haben gleich gute Beachtungschancen.
• Eine Anzeige ist in der unteren Hälfte einer Zeitungsseite ebenso gut wie in der oberen Hälfte platziert. Eine Platzierung nach diesem Gesichtspunkt hat keinen Einfluss auf die Anzeigenwirkung.
• Eine Platzierung allein unter Text ist nicht wirkungsvoller als neben anderen Anzeigen.
• Ein Bild im Umfeld der Anzeige lenkt den Leser nicht ab. Im Gegenteil: Ein belebtes redaktionelles Umfeld mit Bildern wirkt eher positiv als ein reines Textumfeld, das sich aus langen redaktionellen Beiträgen zusammensetzt. Das Auge des Lesers sucht bei einem belebten redaktionellen Umfeld nach interessanten Beiträgen, und die Anzeige verbleibt daher in der Regel länger im Wahrnehmungsfeld des Lesers.
• Auch der Wochentag der Anzeigenschaltung hat keinen Einfluss auf die Wirkung der Anzeigen. Im Durchschnitt aller Produktbereiche konnten keine Unterschiede in der Anzeigenwirkung der einzelnen Wochentage beobachtet werden. Die Leser lesen an allen Wochentagen mit gleicher Aufmerksamkeit die Zeitung.
• Ob eine Anzeige auf der Rückseite oder der Innenseite eines Zeitungsteils platziert ist, macht nur einen geringfügigen Unterschied. Ein kleiner Vorteil liegt bei den Anzeigen auf Innenseiten.
Platzierungseffekte in den elektronischen Medien
Platzierungseffekte können auch in elektronischen Medien eine Rolle spielen. Die Association of National Advertisers (ANA) in den USA hat die Bedeutung der Platzierung eines Werbespots innerhalb eines Werbeblocks sowie die Auswirkung verschiedener TV-Spotmengen auf die Wirkung des einzelnen Spots im Block untersucht und dabei folgende Erkenntnisse gewonnen:
• Der Einfluss steigender Spotzahlen innerhalb eines Werbeblocks wirkt sich unterschiedlich je nach der Positionierung des Spots aus. Der erste Spot eines Blocks hat einen Vorteil gegenüber den folgenden. Allerdings zieht häufig der letzte Spot in einem Block die Aufmerksamkeit der Zuschauer wieder auf sich.
• Der Einfluss steigender Spotzahlen auf die Wirkung eines Spots hängt von der «Qualität» des Spots ab. Spots, welche die Zuschauer durch die Art des Produktes oder die Gestaltung stark interessieren, sind immer «immun» gegenüber einem steigenden Werbedruck in einem Block. Spots, die das Engagement der Zuschauer nicht wecken, können jedoch durch steigenden Werbedruck in ihrer Wirkung negativ beeinflusst werden.
• Die Zuschauer lernen sehr schnell das Muster, nach dem ihre favorisierten Sendungen durch Werbung unterbrochen werden. Sie haben dann die Möglichkeit, sich der Werbung zu entziehen. Dieser Effekt ist bei den einzelnen Programmarten unterschiedlich. Programme, die von den Zuschauern häufig eingeschaltet werden, unterliegen diesem Effekt wesentlich stärker als Sendungen, denen man nur gelegentlich zuschaut. Im Durchschnitt übt die Zahl der Spots in einem Block eine entscheidend starke Wirkung aus.
Weiter führende LiteraturEine weiter führende Literaturliste zum Thema «Platzierungseffekte in der Werbung» können Leser und Leserinnen über die Redaktion der WerbeWoche beziehen (info@werbe woche.ch). Die Liste enthält ein Verzeichnis der wichtigsten Veröffentlichungen und Untersuchungen zu diesem Thema und wird per E-Mail zugestellt.
Was taugen Copytests?Copytests werden normalerweise als Posttests durchgeführt, aber auch als Pretests zur Abschätzung der Werbewirksamkeit alternativer Werbekonzepte. Bei Copytests wird gemeinhin unterstellt, dass die mit ihrer Hilfe ermittelten Kontaktwahrscheinlichkeiten gegenüber den reinen Abfragemodellen unter Verwendung von Listen oder Titelkarten höhere Validität (Gültigkeit) haben.
Es bestehen jedoch erhebliche Zweifel an der Richtigkeit dieser Annahme. Da zahlreiche verzerrende Einflüsse auf die durch Copytests ermittelten Erinnerungswerte eingewirkt haben, sind ihre Ergebnisse vor allem aussagekräftig über die Wirkungs- und Gestaltungsstärke des Werbemittels selbst sowie über die Aufnahmefähigkeit und -bereitschaft der angesprochenen Personen selbst.
R. Fletcher hat mit Hilfe von Blickregistrierungsverfahren nachgewiesen, dass die Angaben von Auskunftspersonen über ihre eigenen Lese-Erinnerungen und ihr tatsächliches Leseverhalten stark divergieren, und zwar in beiden Richtungen: Ein Teil der Auskunftspersonen gab an, sich an Passagen zu erinnern, die sie gar nicht gelesen hatten (Overclaiming), und ein anderer konnte sich an die Passagen nicht mehr erinnern, die sie dennoch gelesen hatten (Underclaiming).
Wie Werbung wirklich wirktMit diesem Beitrag des Allensbacher Fachjournalisten Wolfgang J. Koschnick setzt die WerbeWoche ihre Artikelreihe zur Werbewirkung fort (Teil 4).
Jeder Artikel dieser Folge will Antworten auf brennende Fragen über den heutigen Wissensstand zur Wirkung von Werbung geben. Das ist durchaus auch als Einladung an die Leserinnen und Leser der Werbe-Woche aufzufassen. Wer Fragen zu Aspekten der Werbewirkung hat, möge sie an uns richten (info@werbewoche.ch). Wir werden sie gerne nach bestem Wissen beantworten.
Bei der Themenauswahl für diese Serie kann Wolfgang J. Koschnick auf mehrere Hundert wissenschaftliche Untersuchungen zur Werbewirkung zurückgreifen, die in den vergangenen 50 Jahren im In- und Ausland erschienen sind.

Weitere Artikel zum Thema