«Wir versuchen permanent, Glaubwürdigkeit, Ehrlichkeit und Authentizität aufzubauen»

Während die Medienbranche mit Strukturwandel und Sparmassnahmen kämpft, baut Digitec Galaxus die hauseigene Redaktion stetig aus. Dass diese schreibt, was sie will, kommt nicht bei allen Herstellern und Verkäufern gut an – bei der Leserschaft hingegen schon. Hinter dem konsequent unabhängigen Kurs steckt Chief Editor Aurel Stevens. Die Werbewoche hat sich mit ihm zum Gespräch getroffen.

Im Herbst 2015 beschloss die Geschäftsleitung von Digitec Galaxus, auf Content Marketing zu setzen. Die Stossrichtung war klar: Erfahrene Medienschaffende sollten die Inhalte generieren, keine Marketingtexter oder PR-Fachleute. Ein halbes Jahr später nahm das Editorial-Department den Betrieb auf. Mit zwei Personen, Philipp Rüegg und dem heutigen Redaktionsleiter Aurel Stevens. Beide kamen von Watson und waren zuvor für 20 Minuten Online tätig.

Drei Jahre und verschiedene Ausbauschritte später umfasst die Redaktion an der Zürcher Pfingstweidstrasse 18 Köpfe. Aufgeteilt in Digitec- und Galaxus-Teams bespielen diese die Portale der beiden Online-Shops mit Inhalten. Jedes Redaktionsmitglied hat ein bis drei Spezialgebiete – von Fotografie über Computer bis hin zu Tierbedarf oder Garten. Die redaktionellen Beiträge «kämpfen» zusammen mit dem werblichen Content um die Gunst der Seitenbesucher. Was kein Interesse erweckt, ist bald einmal nicht mehr sichtbar. Ganz nach dem Gusto von Aurel Stevens ist dieser Mechanismus nicht. Ginge es nach ihm, hätte er mehr Einfluss darauf, was wie lange auf welchem Platz angezeigt wird. Zufrieden ist er dennoch. Denn die redaktionellen Beiträge finden Anklang und sind entsprechend sichtbar – zum Zeitpunkt unseres Besuches sind sechs der neun sichtbaren Content- Kacheln auf der Startseite redaktionell «besetzt».

Es gebe aber überhaupt kein Gefühl der Konkurrenz gegenüber dem Produktmanagement, welches die Werbung aufschalte, fügt Stevens an. Kein Wunder: Bis vor Kurzem war die Redaktion auch für das Verfassen dieser Beiträge zuständig. Im Herbst 2017 wurde ihr die Verantwortung für sämtliche geschriebenen Inhalte übertragen, die Redaktion damals auf 15 Personen aufgestockt. Ein halbes Jahr später war dieser Entscheid Geschichte: Die Redaktion durfte sich wieder auf die rein journalistischen Inhalte konzentrieren – ohne die aufgestockten Personen wieder abbauen zu müssen. Im Juli 2018 stand der vorerst letzte Ausbau an, die Redaktion umfasst aktuell 18 Personen.

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Werbewoche: Wer arbeitet in der Redaktion?

Aurel Stevens: Primär gestandene Medienleute. Plus ein paar, die einen Marketinghintergrund haben – und den erklärten Willen, sich redaktionell und journalistisch weiterzuentwickeln.

 

Ist es für Digitec Galaxus schwierig, Leute aus der Medienbranche abzuwerben?

Am Anfang war es sehr schwierig, mittlerweile ist es aber überhaupt kein Problem mehr. Wir wurden am Anfang schon kritisch beäugt. Nicht nur von extern, sondern auch intern. Die Medienschaffenden haben im Laufe der Zeit verstanden, dass wir journalistisch arbeiten und keine Werbung erstellen. Hinzu kommt natürlich, dass es den traditionellen Medien nicht mehr so gut läuft wie auch schon. Wenn wir gleichzeitig unsere Redaktion ausbauen, ist es für uns einfacher, gute Leute zu rekrutieren.

 

Sie haben gesagt, Sie seien auch intern kritisch beäugt worden – inwiefern?

Es gab natürlich Stimmen, die sagten: «Hey, die verstopfen uns mit ihren Beiträgen die Startseite! Aus Sicht des Einkaufs müsste jeder Slot für Werbung reserviert sein. Aber mittlerweile verstehen die Einkäufer, dass die redaktionellen Beiträge ebenfalls ihren Wert haben. (lacht)

 

Bevor die Geschäftsleitung den Content- Marketing-Kurs beschloss, gab es auf den Online-Shops nur Werbung fürs Sortiment zu sehen?

Bis Frühling 2016 lag der Fokus auf rein werblichen Massnahmen. Es gab zwar vereinzelte Beiträge, aber dabei ging es hauptsächlich um Produktneuheiten oder Promotionen. Früher konnten Hersteller sogar gegen Geld einkaufen, dass ihre Produkte thematisiert wurden. Das haben wir abgestellt.

 

Die Redaktion bezeichnet sich als komplett unabhängig – sind der Freiheit dennoch Grenzen gesetzt?

Wir haben thematische Leitplanken. Diese besagen, dass wir sortimentsnahe Themen aufgreifen sollen. Wir schreiben also sicher nicht über politische oder religiöse Themen. Ansonsten fasse ich den Begriff «sortimentsnah» ziemlich weit. Es kommt deshalb intern immer wieder vor, dass bei einem Beitrag der Bezug zum Sortiment in Frage gestellt wird. Wir halten aber daran fest, denn das sind oft die erfolgreichsten Artikel.

 

Was sagen wichtige Partner von Digitec und Galaxus, wenn ihre Produkte in Reviews oder anderen Beiträgen schlecht wegkommen?

Natürlich haben sie daran keine Freude. Vor vier Wochen sass ich zum Beispiel am Tisch mit einem grossen Technologieunternehmen, einem wichtigen Digitec-Partner. Dieser hat eigentlich Verträge mit den Abnehmern seiner Produkte. Darin heisst es, dass man das Medienmaterial, das einem zur Verfügung gestellt wird, verwenden soll – und zwar ausschliesslich. Wir hingegen sind da eher eine Art Paradiesvogel. Für uns arbeiten zum Teil gestandene Journalisten. Wenn ich denen sage, sie sollen die Texte dieses Unternehmens «copy- and-pasten», dann lachen sie mich aus und gehen. Die lassen sich sowas nicht bieten.

 

Aber intern gibt es keine Konsequenzen?

Nein, die gibt es nicht! Wir erhalten vielleicht pro Monat ein hässiges Mail, à la «Jetzt habt ihr schon wieder nicht das Key Visual benutzt! ». Dann ist unsere Antwort: «Ja, zur Kenntnis genommen, werden wir auch weiterhin nicht machen, adieu.»

 

Diese Haltung kann man sich als Digitec Galaxus aber auch nur erlauben, weil die Marktmacht mittlerweile so gross ist.

Definitiv. Hier gibt es auch Parallelen zu unserer Werbekampagne, welche die teilweise gnadenlos ehrlichen, oft auch negativen Kundenbewertungen zeigt. Klar, dass sich manche Hersteller von gezeigten Produkten an der Kampagne empfindlich stören. Wir wirken aber durch diese Kommunikation viel authentischer. Das ist gewollt so und von oben abgesegnet. Deshalb steht auch in unserem Redaktionsanforderungsheft: Macht unter anderem Reviews – und wenn etwas gemäss eurer Einschätzung Quatsch ist, dann schreibt in den Reviews, dass es Quatsch ist. Logisch führt das zu Reibereien und Konflikten. Auch intern. Wenn ein Einkäufer 1000 Notebooks eingekauft hat und wir dazu etwas Negatives schreiben, hat er natürlich keine Freude.

 

Zahlt sich diese Objektivität gegenüber der Leserschaft aus?

Ja. Sie ist die Grundlage dafür, dass wir ernst genommen werden. Wir versuchen permanent, Glaubwürdigkeit, Ehrlichkeit und Authentizität aufzubauen. Dafür stehe ich, das ist meine Kernaufgabe als Redaktionsleiter. Wenn uns die Leser nicht mehr glauben, ist meine Aufgabe sinnlos geworden.

 

Merkt der 08/15-Leser überhaupt, wie viel Unabhängigkeit hinter den Beiträgen steckt oder vermutet er am Ende doch überall versteckte PR?

Nein, die Leser merken das sehr schnell. Gerade auf Digitec.ch spürt man die Leser sehr gut – indem man Kommentare liest. Wir wissen, wie sie ticken.

 

Sind die Leserkommentare auch im negativen Sinne ein Thema? Viele Medien haben Mühe, sie «im Zaum» zu halten…

Nein, das haben wir gut im Griff. Bei manchen Online-Portalen braucht man kein Login, dafür muss man anschliessend die Kommentare filtern. Bei uns ist es umgekehrt: Man benötigt ein Login, dafür ist kein Administrationsaufwand nötig. Die Community ist so gesund, dass sie sich selbst reguliert. Nur bei ein paar wenigen Klassikerthemen kochen teilweise die Emotionen hoch – etwa bei Apples iOS. Da merkt man schnell: Unsere Kunden sind zu 95 Prozent pro Android. Ich habe zum Beispiel einmal einen Artikel darüber geschrieben, dass die kabellosen Ohrhörer von Apple, die Airpods, aus verschiedenen Gründen ziemlich cool seien. Es folgte ein Empörungssturm entsetzter Android-Fans und Apple-Hasser – die haben mich in Grund und Boden kommentiert. (lacht)

 

Es scheint also, als sei die Zielgruppe – wie in den frühen Digitec-Jahren – immer noch ziemlich nerdig?

Ja, genau, das ist der Markenkern von Digitec. Wir versuchen mit unserer nerdigen Tonalität, ein Fachpublikum anzusprechen.

 

Bei Galaxus dürfte diese Ansprache hingegen nicht funktionieren?

Das sind zwei völlig unterschiedliche Zielgruppen und daher verfolgen wir zwei komplett unterschiedliche Konzepte. Obwohl Digitec umsatzstärker ist und viel mehr Reichweite generiert, ist das Team, welches Galaxus-Inhalte generiert, personell leicht grösser.

 

Wieso?

Das widerspiegelt die Ambitionen. Galaxus soll gross werden. Während der Elektronikverkauf schon sehr gesättigt ist, sehen wir bei Galaxus mit dem Vollsortiment ein wesentlich grösseres Wachstumspotenzial. Wir wachsen zwar auch mit Digitec noch und beanspruchen ständig ein grösseres Stück des Kuchens für uns. Beim Online-Warenhaus Galaxus hingegen gibt es keinen vordefinierten Kuchen – da befinden wir uns eher auf einer weiten, freien Wiese.

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Wieso haben Sie persönlich der Medienbranche den Rücken gekehrt?

Ich war bei 20 Minuten Redaktor und Blattmacher, anschliessend bin ich in die Projektleitung und die IT gerutscht und habe schliesslich bei Watson zweieinhalb Jahre die IT geleitet. Irgendwie wollte ich aber wieder zurück an die Tastatur – und habe mich hier beworben. Was mich an den Medien je länger, je mehr gestört hat: Oft ist man von frühmorgens bis spätabends am Abschreiben. Ich sehnte mich nach etwas Langfristigerem, bei dem ich die eigenen Ideen umsetzen kann. Als Chief Editor ist das nun ein Stück weit möglich. Das gefällt mir.

 

Wie stehen Sie zur Entwicklung der klassischen Medien?

Ich finde die Entwicklung schlimm. Medien haben eine gesellschaftliche Funktion und dass sie offenbar nicht mehr rentieren, ist alarmierend.

 

Kann ein Content-Marketing-Medium in die Bresche springen, wenn die klassischen Medien verschwinden?

Wir können natürlich dem einen oder anderen Journalisten ein neues Zuhause bieten, auch wenn ich nicht davon ausgehe, dass wir in zwei Jahren 36 Redaktoren beschäftigen werden. Aber vierte Gewalt spielen ist nicht Aufgabe unserer Redaktion. Wie es sie übrigens auch nicht eines PC-Tipps ist. Wir sind weder tagesaktuell, noch setzen wir uns mit politischen Themen auseinander.

 

Erachten Sie in erster Linie andere Online-Händler oder andere Medien als Konkurrenz?

Andere Medien. Fachmagazine, online und offline. Das Coole an unserem Job: Wir machen etwas, was in der Schweiz in dieser Grösse und Konsequenz noch niemand gemacht hat. Viele Online-Portale bestehen ja aus weniger Leuten als wir.

 

Arbeiten Sie gefühlt für ein Medium oder einen Online-Shop?

Ich arbeite eindeutig für ein Medium. Auch wenn wir alle wissen, dass wir Teil eines Online-Shops sind. Das merke ich beispielsweise im Vergleich zu meiner vorherigen Tätigkeit bei Watson: Dort war die Redaktion König. Forderte sie ein Diashow- Tool, wurde das von der IT so schnell wie möglich umgesetzt. Äussere ich hingegen hier den Wunsch, dass wir gerne ein Quiz-Tool hätten, heisst es: Ja, ist gut … Im Februar 2027! (lacht). Wir sind hier nur ein Rädchen im System.

 

Ein Rädchen mit zunehmender Wichtigkeit?

Auch wenn niemand unverzichtbar ist: Wir haben es in den letzten zwei Jahren geschafft, unseren Wert nach innen und aussen zu etablieren. Wir sind ein Alleinstellungsmerkmal. Und wissen Sie, was? Ein Alleinstellungsmerkmal, das verdammt schwierig zu kopieren ist. Online-Shops gibt es viele, aber geht es um Content, bleiben nicht mehr viele Shops übrig.

 

Ist es am Ende des Tages für einen Online-Shop nicht trotzdem ausreichend, grosse Lager, schnelle Lieferzeiten, funktionierende, einfache Abläufe und tiefe Preise zu haben?

Schlussendlich ist das, was wir machen, eine Traffic- und Imagemassnahme. Nichts, was sich direkt auf den Umsatz oder den Verkauf auswirken soll oder kann. Ich denke, Marketing braucht einen gesunden Mix aus «Strohfeuern» und langfristigen Massnahmen. Kurzfristig kann etwa für Traffic bezahlt werden. Stellt man die Zahlungen ein, fällt dieser sofort auf null. Keinerlei Nachhaltigkeit. Mit Content Marketing hingegen kann man sich langfristig etwas aufbauen. Und selbst wenn wir nun aufhören würden, Content nachzuliefern, würden unsere Inhalte immer noch einen gewissen Longtail-Traffic mit sich ziehen. Wenn jemand «stinkender Schuh» googelt, wird er auch in Zukunft auf dem Galaxus-Beitrag «Wenn die Schuhe zum Himmel stinken!» landen.

 

Haben Sie das Gefühl, dass konkurrierende Unternehmen beginnen, die Content-Strategie von Digitec zu kopieren?

Klar fallen uns die einen oder anderen Bemühungen in diese Richtung auf. Aber wir differenzieren uns dadurch, dass wir unsere redaktionellen Inhalte sehr prominent darstellen. Andere Unternehmen machen auch Corporate Content, «verstecken » diesen aber immer noch unter dem Thema Blog oder Magazin. Man muss spezifisch draufklicken, der Content ist niemals so sichtbar wie bei uns.

 

Wie werden Sie von den traditionellen Medien wahrgenommen?

Interessant ist, dass unser journalistischer Anspruch auch von gestandenen Medienjournalisten wie Rainer Stadler wahrgenommen wird – er hat einmal in seiner Kolumne geschrieben, wir würden «hybriden Journalismus » betreiben. Wenn es sich sogar in diesen Köpfen durchgesetzt hat, ist es vermutlich bei den jungen Journalisten schon vor Jahren passiert. Kürzlich hat sogar der Medienbeobachtungsdienst Argus nach unseren Mediadaten gefragt. (lacht) Da ging es allerdings um den gedruckten Prospekt, der neuerdings auch redaktionelle Inhalte beinhaltet.

 

Wenn Sie jetzt auch noch in den Printbereich gehen: Wo sind die Grenzen des Fokus auf Content Marketing? Bleibt Digitec Galaxus ein Online-Händler?

Klar, wir sind und bleiben ein Online-Shop. Und das führt zu einer Ausgangslage, die ich sehr schätze: Viele Leute, die auf unsere Seiten kommen, erwarten einen reinen Online-Shop. Man kann sie mit guten Inhalten überraschen. Am Anfang konnten wir deshalb mit relativ wenig Aufwand viele Herzli und Kommentare generieren. Mittlerweile merken wir jedoch, dass unsere Leserschaft anspruchsvoller wird. Man kann nicht mehr irgendwelche Reviews in die Runde werfen und alle finden: «Yeah, super!».

 

Die Teilbereiche der Marketingabteilung von Digitec Galaxus befinden sich hier auf demselben Stock, Schreibtisch an Schreibtisch. Wie arbeiten Sie zusammen?

Wichtig ist für uns die enge Zusammenarbeit mit dem Digital Marketing, weil dort die Social- Media-Geschichten angesiedelt sind. Wir schlagen dem Team oft vor, wie man unsere Beiträge weiterverwenden könnte. Das letzte Wort hingegen haben sie. Auch mit der Kreation arbeiten wir eng zusammen. Sie hat ein Auge auf unsere Bildwelten, gibt uns Feedback, hilft uns mit ihrem Fotografen aus. Zudem sind unsere zwei Videoblogger im Krea-Team angesiedelt. Und sehr wichtig ist für uns natürlich die Übersetzungsabteilung. Die Hälfte aller Texte übersetzen wir ins Französische, circa 30 bis 40 Prozent ins Englische und ins Italienische.

 

Stimmt der Eindruck, dass die Aktivitäten in der Westschweiz in letzter Zeit verstärkt wurden?

Definitiv. Wir haben dort das Budget für Marketing und Werbung erhöht, in Genf eine neue Filiale aufgemacht und zwei neue Übersetzer mit insgesamt 150 Stellenprozenten eingestellt. Aber wir bauen auch im Tessin stark aus.

 

Und welche Rolle spielt das Englische?

Eine sehr wichtige. Unsere englischen Texte werden fast gleich oft abgerufen wie die Französischen. Vor allem von Expats. Jemand erzählte mir kürzlich, dass bei Google beim Intro-Meeting empfohlen wird, bei Digitec einzukaufen – das spüren wir. (lacht)

 

Wie erhalten Sie Feedback, ob das, was Sie machen, Digitec Galaxus etwas bringt?

Wichtig ist: Die Redaktion hat keine finanziellen Ziele. Auch wenn es immer wieder vorkommt, dass ein Redaktor Hunderte von Verkäufen auslöst mit einem Artikel. Unsere tatsächlichen Ziele heissen Bekanntheit steigern, Brand Awareness, Markenattribute aufbauen und stützen sowie Traffic generieren. Wir haben quantitative und qualitative Messgrössen – beispielsweise die durchschnittliche Lesedauer von Artikeln –, anhand derer wir gemessen und bewertet werden. Ich bekomme verschiedene KPI als Auftrag «mit auf den Buckel ». Was ich meinen Leuten aber weitergebe ist: Das Wichtigste ist, eine gute Geschichte zu erkennen, wenn sie einem über den Weg läuft. Teaser-Klickraten sind mir weniger wichtig. Lieber habe ich eine gute Geschichte mit einem mittelmässigen Teaser als eine mittelmässige Geschichte mit einem super Teaser. Am liebsten natürlich eine super Geschichte mit einem guten Teaser (lacht).

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Dieses Interview wurde bereits in der Werbewoche 13/2018 publiziert.

Werbewoche: Wer arbeitet in der Redaktion?

Aurel Stevens: Primär gestandene Medienleute. Plus ein paar, die einen Marketinghintergrund haben – und den erklärten Willen, sich redaktionell und journalistisch weiterzuentwickeln.

 

Ist es für Digitec Galaxus schwierig, Leute aus der Medienbranche abzuwerben?

Am Anfang war es sehr schwierig, mittlerweile ist es aber überhaupt kein Problem mehr. Wir wurden am Anfang schon kritisch beäugt. Nicht nur von extern, sondern auch intern. Die Medienschaffenden haben im Laufe der Zeit verstanden, dass wir journalistisch arbeiten und keine Werbung erstellen. Hinzu kommt natürlich, dass es den traditionellen Medien nicht mehr so gut läuft wie auch schon. Wenn wir gleichzeitig unsere Redaktion ausbauen, ist es für uns einfacher, gute Leute zu rekrutieren.

 

Sie haben gesagt, Sie seien auch intern kritisch beäugt worden – inwiefern?

Es gab natürlich Stimmen, die sagten: «Hey, die verstopfen uns mit ihren Beiträgen die Startseite!» Aus Sicht des Einkaufs müsste jeder Slot für Werbung reserviert sein. Aber mittlerweile verstehen die Einkäufer, dass die redaktionellen Beiträge ebenfalls ihren Wert haben. (lacht)

 

Bevor die Geschäftsleitung den Content- Marketing-Kurs beschloss, gab es auf den Online-Shops nur Werbung fürs Sortiment zu sehen?

Bis Frühling 2016 lag der Fokus auf rein werblichen Massnahmen. Es gab zwar vereinzelte Beiträge, aber dabei ging es hauptsächlich um Produktneuheiten oder Promotionen. Früher konnten Hersteller sogar gegen Geld einkaufen, dass ihre Produkte thematisiert wurden. Das haben wir abgestellt.

 

Die Redaktion bezeichnet sich als komplett unabhängig – sind der Freiheit dennoch Grenzen gesetzt?

Wir haben thematische Leitplanken. Diese besagen, dass wir sortimentsnahe Themen aufgreifen sollen. Wir schreiben also sicher nicht über politische oder religiöse Themen. Ansonsten fasse ich den Begriff «sortimentsnah» ziemlich weit. Es kommt deshalb intern immer wieder vor, dass bei einem Beitrag der Bezug zum Sortiment in Frage gestellt wird. Wir halten aber daran fest, denn das sind oft die erfolgreichsten Artikel.

 

Was sagen wichtige Partner von Digitec und Galaxus, wenn ihre Produkte in Reviews oder anderen Beiträgen schlecht wegkommen?

Natürlich haben sie daran keine Freude. Vor vier Wochen sass ich zum Beispiel am Tisch mit einem grossen Technologieunternehmen, einem wichtigen Digitec-Partner. Dieser hat eigentlich Verträge mit den Abnehmern seiner Produkte. Darin heisst es, dass man das Medienmaterial, das einem zur Verfügung gestellt wird, verwenden soll – und zwar ausschliesslich. Wir hingegen sind da eher eine Art Paradiesvogel. Für uns arbeiten zum Teil gestandene Journalisten. Wenn ich denen sage, sie sollen die Texte dieses Unternehmens «copy- and-pasten», dann lachen sie mich aus und gehen. Die lassen sich sowas nicht bieten.

 

Aber intern gibt es keine Konsequenzen?

Nein, die gibt es nicht! Wir erhalten vielleicht pro Monat ein hässiges Mail, à la «Jetzt habt ihr schon wieder nicht das Key Visual benutzt! ». Dann ist unsere Antwort: «Ja, zur Kenntnis genommen, werden wir auch weiterhin nicht machen, adieu.»

 

Diese Haltung kann man sich als Digitec Galaxus aber auch nur erlauben, weil die Marktmacht mittlerweile so gross ist.

Definitiv. Hier gibt es auch Parallelen zu unserer Werbekampagne, welche die teilweise gnadenlos ehrlichen, oft auch negativen Kundenbewertungen zeigt. Klar, dass sich manche Hersteller von gezeigten Produkten an der Kampagne empfindlich stören. Wir wirken aber durch diese Kommunikation viel authentischer. Das ist gewollt so und von oben abgesegnet. Deshalb steht auch in unserem Redaktionsanforderungsheft: Macht unter anderem Reviews – und wenn etwas gemäss eurer Einschätzung Quatsch ist, dann schreibt in den Reviews, dass es Quatsch ist. Logisch führt das zu Reibereien und Konflikten. Auch intern. Wenn ein Einkäufer 1000 Notebooks eingekauft hat und wir dazu etwas Negatives schreiben, hat er natürlich keine Freude.

 

Zahlt sich diese Objektivität gegenüber der Leserschaft aus?

Ja. Sie ist die Grundlage dafür, dass wir ernst genommen werden. Wir versuchen permanent, Glaubwürdigkeit, Ehrlichkeit und Authentizität aufzubauen. Dafür stehe ich, das ist meine Kernaufgabe als Redaktionsleiter. Wenn uns die Leser nicht mehr glauben, ist meine Aufgabe sinnlos geworden.

 

Merkt der 08/15-Leser überhaupt, wie viel Unabhängigkeit hinter den Beiträgen steckt oder vermutet er am Ende doch überall versteckte PR?

Nein, die Leser merken das sehr schnell. Gerade auf Digitec.ch spürt man die Leser sehr gut – indem man Kommentare liest. Wir wissen, wie sie ticken.

 

Sind die Leserkommentare auch im negativen Sinne ein Thema? Viele Medien haben Mühe, sie «im Zaum» zu halten…

Nein, das haben wir gut im Griff. Bei manchen Online-Portalen braucht man kein Login, dafür muss man anschliessend die Kommentare filtern. Bei uns ist es umgekehrt: Man benötigt ein Login, dafür ist kein Administrationsaufwand nötig. Die Community ist so gesund, dass sie sich selbst reguliert. Nur bei ein paar wenigen Klassikerthemen kochen teilweise die Emotionen hoch – etwa bei Apples iOS. Da merkt man schnell: Unsere Kunden sind zu 95 Prozent pro Android. Ich habe zum Beispiel einmal einen Artikel darüber geschrieben, dass die kabellosen Ohrhörer von Apple, die Airpods, aus verschiedenen Gründen ziemlich cool seien. Es folgte ein Empörungssturm entsetzter Android-Fans und Apple-Hasser – die haben mich in Grund und Boden kommentiert. (lacht)

 

Es scheint also, als sei die Zielgruppe – wie in den frühen Digitec-Jahren – immer noch ziemlich nerdig?

Ja, genau, das ist der Markenkern von Digitec. Wir versuchen mit unserer nerdigen Tonalität, ein Fachpublikum anzusprechen.

 

Bei Galaxus dürfte diese Ansprache hingegen nicht funktionieren?

Das sind zwei völlig unterschiedliche Zielgruppen und daher verfolgen wir zwei komplett unterschiedliche Konzepte. Obwohl Digitec umsatzstärker ist und viel mehr Reichweite generiert, ist das Team, welches Galaxus-Inhalte generiert, personell leicht grösser.

 

Wieso?

Das widerspiegelt die Ambitionen. Galaxus soll gross werden. Während der Elektronikverkauf schon sehr gesättigt ist, sehen wir bei Galaxus mit dem Vollsortiment ein wesentlich grösseres Wachstumspotenzial. Wir wachsen zwar auch mit Digitec noch und beanspruchen ständig ein grösseres Stück des Kuchens für uns. Beim Online-Warenhaus Galaxus hingegen gibt es keinen vordefinierten Kuchen – da befinden wir uns eher auf einer weiten, freien Wiese.

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