Zur Sache: Charakterloser Sonntag

Vielleicht ist es verstiegen, in Zeiten schrumpfender oder schon nicht mehr schrumpfbarer Werbe­einnahmen von Medienmachern eine klare Haltung gegenüber Werbemassnahmen von Unternehmen zu fordern. Dennoch sollten Moral und Berufsethik nicht käuflich sein.

Zu unserer Berufsethik als Medienmacher gehört, dass redaktionelle Beiträge von Werbung, Reklame, Inseraten, Publireportagen, wie immer Sie es nennen, glasklar und erkennbar getrennt werden. Natürlich, ohne Werbung geht es nicht, ohne Werbung erscheint keine Zeitung. Und auch die Werbewoche ist froh über jedes geschaltete Inserat, über jeden verdienten Rappen. So schmeckt Medienmachen heute. Dennoch erhalten alle der vielen bei uns eingehenden Anfragen, ob nicht mal ein wenig PR und so … eine klare Ansage: «PR nein! Aber wenn es etwas Berichtenswertes gibt, sind wir ganz Ohr.» Storytelling ist immer noch die beste Werbung. Und wenn es dann trotzdem eine Publireportage sein muss­ – deren Schlagkraft ich zu 100 Prozent anzweifle –, dann ­bitte sehr, aber mit der deutlich lesbaren Überschrift «Publireportage». Nein, unsere Leser sind ganz und gar nicht dumm. Und sie wollen auch nicht für dumm verkauft werden. Was für die meisten Leser gilt.

So betrachtet, war der vergangene Sonntag ein Schwarzer Sonntag für diverse Sonntagszeitungen und ihre Leser, namentlich für die der Ostschweiz am Sonntag, der Zentralschweiz am Sonntag, der NZZ am Sonntag, alle drei Blätter der NZZ-Mediengruppe, sowie für die Leser der Schweiz am Sonntag der AZ Medien. Alle vier Blätter hatten nämlich einen zusätzlichen Bund, überschrieben mit «Charakter» – ausgerechnet. Der «zusätzliche Bund», exakt im regulären Layout der jeweiligen Zeitung, entpuppte sich als achtseitige Prospektstrasse von Mercedes-Benz. Der klare Hinweis, dass es sich um Werbung handelt, fehlte auf allen vier Bünden. Zwar fand, wer danach suchte, am Seitenkopf jeweils den Vermerk «Ein Mercedes-Benz Sonderbund in der ‹XYZ am Sonntag›». Aber ganz klitzeklein, alternativ himmelblau und kaum lesbar. Und «Sonderbund» ist ziemlich euphemistisch für diese platte Werbebeilage.

Was, liebe Zeitungsmacher, sollen eigentlich Eure Leser denken? Und was Eure Mitarbeiter? Ihr hebt eine billig gemachte SUV-Werbung auf die gleiche Ebene wie Eure (hoffentlich) hart recherchierten Inhalte, für die Abonnenten Geld bezahlen. Ist das nicht eine Beleidigung Eurer Leser? Und eine Diskreditierung Eurer Journalisten? Alles egal, wenn nur in der Kasse keine Ebbe mehr herrscht? Eine Stange Geld habt Ihr nämlich mit dieser Prospektstrasse verdient: 40 000 Franken die Ostschweiz am Sonntag, 40 500 Franken die Zentralschweiz am Sonntag, 41 000 die NZZ am Sonntag und 95 800 Franken die Schweiz am Sonntag, wenn sie die Gesamtausgabe mit dieser Unsäglichkeit bestückt hat. Geschäftstüchtig oder geschäftssüchtig? Nachhaltig auf keinen Fall. Ich jedenfalls bin enttäuscht von meiner NZZaS. Übrigens: Der sogenannte «Sonderbund» macht mit folgender Zeile auf: «Echte Persönlichkeiten gehen ihren eigenen Weg. Weil sie es können.» Und die anderen? Fast scheint das eine Botschaft mit rausgestreckter Zunge an die Macher der vier Sonntagszeitungen zu sein. Oder gar an ihre Leser: ­«sorry, wir konnten nicht anders, wir brauchten das Geld».

Von Journalisten verlangt man, dass sie Verantwortung für ihre Artikel übernehmen, dass sie mit Augenmass und Umsicht vorgehen, niemanden gefährden oder angreifen und moralischen Grundsätzen folgen. Darf man das von Werbeverkäufern und Verlegern nicht verlangen? Eine gut sichtbare, klare Kennzeichnung von Werbung wäre das Mindeste – was im Übrigen auch nichts Neues ist.

Sie finden, Moral und Ethik sind grosse Worte für einen kleinen Achtseiter? Ich finde, Moral und Ethik fangen nicht irgendwo an. Und vor allem hören sie nicht irgendwo auf.

Und noch etwas in ganz eigener Sache:

Vor knapp einem Jahr habe ich die Chefredaktion der Werbewoche von Pierre C. Meier übernommen. Ich wollte nicht gleich alles neu und anders machen, nun aber ist es soweit: Wir wollen mit der gedruckten und der digitalen Werbewoche im 21. Jahrhundert ankommen und für die Zukunft gerüstet sein. Helfen Sie uns dabei. Nehmen Sie sich bitte wenige Minuten Zeit und beantworten Sie unsere Leserbefragung. Schliesslich machen wir die Werbewoche für Sie. Also müssen wir auch wissen, wie Sie sie am liebsten lesen. Herzlichen Dank! 

Weitere Artikel zum Thema