Zur Sache: marginal

Für verkannte Lehrer und verkappte Polizisten, für Moralisten, Bekehrte und Querulanten oder ganz allgemein für Personen, die an Logorrhö (vulgo Sprechdurchfall) leiden, sind die Seiten der Medien im Internet das Paradies auf Erden. Da können sie sich austoben.

Ich beziehe mich hier ganz bewusst auf die News-Seiten und lasse alle anderen Möglichkeiten, die uns das Internet zur verbalen Selbstdarstellung bietet, auf der Seite. Es geht also weder um Gezwitscher noch um Likes. Es geht nur um die Kommentare bei Online-Artikeln.

Da gibt es verschiedene Gesetzmässigkeiten. Die Grundlage ist aber immer eine Art von pawlowschem Reflex. Es ist nicht die Klingel, die die Hunde zum Sabbern bringt, sondern das Reizwort, das den Leser zum Schreiben zwingt. Ein paar wenige Reizwörter reichen und die Kommentare treffen massig ein.

Diese Reizwörter sind je nach Themenstellung und/oder Medium verschieden. Mal heisst das Reizwort Raser, mal Asylant. Mal Sozialhilfe-Empfänger oder Banker. Mal Blocher, Somm oder Köppel. Mal ÖV oder Offroader. Mal FCB, YB etc. Mal SVP, Grüne oder AUNS.

Das Interessante an den Kommentaren ist, dass nach geschätzten zehn Äusserungen, die sich mehr oder weniger direkt mit dem Thema befassen, die Sache kehrt. Jetzt geht es nicht mehr um das Thema, sondern es geht nur noch um einzelne Kommentare. Halali, die Hatz ist eröffnet. Alle gegen alle heisst das Spiel. Jeder korrigiert jeden, jeder beleidigt jeden – sofern der Moderator solches zulässt – und nach dem 150sten Kommentar weiss sowieso keiner mehr, um was es eigentlich geht. Hauptsache, man hat sich in die Diskussion eingebracht. Früher gab es auch Leserbriefe, aber das war halt umständlich, zeitraubend und es kostet erst noch Geld. Papier einspannen (ganz früher), Papier aus dem Drucker nehmen, Couvert suchen, Briefmarke suchen und aufkleben, zum Briefkasten gehen. Alle diese Hemmnisse fallen heute weg. Man soll mich jetzt bitte nicht falsch verstehen, ich bin nicht gegen Leserkommentare, überhaupt nicht. Ich würde es nur im Sinne der Sache besser finden, wenn sie fundierter wären oder aber – ein ganz verwegener Vorschlag – stärker selektioniert würden. Gewissermassen eine Art von qualitativer Zensur, die es früher schon rein aus Platzgründen gab. Wer jetzt aber meint, dass es bei medienbezogenen Sites besser läuft, den muss ich leider enttäuschen. Auch dort gibt es Reizwörter oder Autorennamen, die beim Fachpublikum das Gleiche bewirken. Vielleicht in abgeschwächter Form, aber dennoch. Eigentlich schade.

Pierre C. Meier, Chefredaktor pc.meier@werbewoche.ch

Weitere Artikel zum Thema