Zur Sache: Zu viel

Am letzten Samstag passierte das schreckliche Unglück in Japan. Ein starkes Erdbeben, gefolgt von einem verheerenden Tsunami, zerstörte nicht nur ganze Landstriche und tötete Abertausende von Menschen.

Die Naturkatastrophe beschädigte auch die Atomkraftwerke in Fukushima. Dass die Katastrophe, gefolgt von einer atomaren Bedrohung, ein wichtiges Medienthema werden würde, war allen klar.

Was jetzt aber seit einer Woche medial abläuft, sprengt jeden Rahmen. Tägliche Sondersendungen in den elektronischen Medien, die immer gleichen Bilder des wütenden Tsunamis, flüchtende Menschen, beschädigte Reaktoren. Überforderte Ex¬perten müssen auf allen Kanälen, die immer gleichen Fragen beantworten. Diskussionsrunden diskutieren Fragen, auf die keiner eine gesicherte Antwort weiss. Vieles sind Annahmen und Vermutungen.

Dieselben Bilder und Filmschnipsel finden sich auf allen Online-Portalen. Laufend aufdatierte Newsticker kreieren eine Art von künstlicher schrecklicher Aktualität.

Die gedruckte Presse bringt täglich mehrere Seiten zum Thema. Auch hier die gleichen Bilder, die gleichen Aussagen, das gleiche Entsetzen. Aber auch hier die Gefahr der Überinformation, des Zuviels.

In der Schweizerischen Medien-Datenbank (SMD) finden sich in der letzten Woche 2143 Einträge zu Erdbeben und Japan, 2109 zu Atomkraftwerk und Japan sowie 1871 zu Tsunami. Wohlgemerkt sind das nur die Artikel, die in den Schweizer Medien erschienen sind.

Dies alles summiert sich zu einer Kakophonie des Grauens. Die geballte Ladung an Verwüstung, menschlichem Leid und Elend kehrt ins Gegenteil, sie stumpft ab und lässt dem eigentlichen Entsetzen keinen Raum mehr.

Die Politiker profitieren von der Gunst der Stunde, indem sie die Atomkraft infrage stellen. Ob berechtigt oder nicht, ist hier nicht die Frage. Das Ausnützen der Japan-Katastrophe für die eigenen politischen Überzeugungen muss bei jedem – ob Atomkraftbefürworter oder -gegner – ein schales Gefühl hinterlassen. Es geht hier um Abertausende von Toten, Verletzten und Vermissten. Politische Haltungen und Ideologien sind weiss Gott fehl am Platz.

Und noch etwas. Der wahnsinnige Diktator in Libyen schlachtet weiter seine Bevölkerung ab. Im Schutze der Japan-Berichterstattung kann er das in Ruhe tun: Nur gerade 750 Einträge finden sich bei der SMD zum Libyendrama.

Pierre C. Meier, Chefredaktor
pc.meier@werbewoche.ch

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