Zur Sache: Winter-WM – Blattern gehen um

Früher erkrankten Menschen an der Pest, heute leiden wir am Blatter. Nur die Verseuchung unserer Geister durch ein seltsames Virus kann erklären, dass Sepp Blatter immer noch die Fifa steuert.

Eine aktuelle Beweisführung: Blatter vergibt die Fussball- WM an Katar, das von allen Teilnehmern bei Weitem die schlechteste Bewerbung eingereicht hat. Weil es in Katar im Sommer für Fussball viel zu heiss ist, verlegt Blatter die WM kurzerhand in den Winter. Und schliesslich will er trotz all dieser Fehlentscheide als Fifa-Präsident wiedergewählt werden.

Unbenommen: Blatter hat hohen Unterhaltungswert. Einem, der frei von Selbstzweifeln die Welt so macht, wie sie ihm gefällt, der sich über alle Anstandsregeln hinwegsetzt, wenn im Hintergrund «güeti Fründe» mit Scheinchen rascheln, muss man erst einmal mit ungläubigem Staunen beim Werkeln zuschauen. Aber wann ist es genug? Blatter ist seit 17 Jahren Fifa-Präsident, sein zweiter Vorname ist Korruption. Neben Putin und Berlusconi, die er gerne mal umarmt, besteht Blatter locker. Darüber wird offen gesprochen, gelacht, geschimpft. Und nun will Blatter noch mal ran. Wird das nicht langsam peinlich? Nicht nur für die Fifa, die immerhin der Weltfussballverband ist. Auch für die Schweiz.

Die Verlegung der WM in den Winter eröffnet Marketing und Merchandising natürlich neue Torchancen: Denken Sie an einen WM-Weihnachtsmarkt, den Schiri im Christkindl-Kostüm oder für die Kleinen das komplette Fussballequipment zur Weihnacht. Doch es stellt die Vereine und vor allem ARD und ZDF, die die WM übertragen, vor ernsthafte Terminprobleme. Schliesslich werden in einer Welt, die nicht dem Wahnsinn anheimgefallen ist, in diesem Zeitraum die Wintersport-Events übertragen.

Trotzdem kommen wir nicht über ein empörtverwundertes «das gibt’s doch gar nicht!» hinaus. Es bleibt dabei: Nur der Kaiser kann den Kaiser entthronen. Und wenns Blatter in den Kram passt, ist der Ball eckig und ein Spiel dauert 79,2 Minuten. Wikipedia weiss über den Walliser: «In seiner Ausbildung war er eine Kämpfernatur, die zweite Primarschulklasse übersprang er. Als Musterschüler bekam er in allen Fächern nur sehr gute Noten, ausser in Disziplin und Gesang.» Das erklärt einiges, aber nicht alles.

Kann es wirklich sein, dass die Medien, die vierte Macht im Staat, namentlich ARD und ZDF, nichts gegen diese Blattern ausrichten können? Wenn die beiden Sender die Übertragungsrechte für 2022 nicht längst für eine vermutlich beschämende Summe gekauft hätten, könnten sie jetzt viel für ihre Akzeptanz und Glaubwürdigkeit tun. Sie könnten die Übertragung der WM mit einem gemeinsamen Schulterschluss canceln, statt sich zu verbiegen. Aber eine Eier legende Cashcow aus dem Stall jagen, die man bereits gefüttert hat? Da hatte der Präsident der Deutschen Fussball-Liga, Reinhard Rauball, mehr Mut. Er zog einen Austritt der Europäischen Fussball-Union UEFA aus der FIFA zumindest in Erwägung. Passiert ist: nichts. Doch was wäre eigentlich dabei, wenn die nächste WM einfach ausfiele?

Kameraschwenk: Wir verabschieden uns von Andreas Panzeri, der die Werbewoche 15 Jahre mit Engagement und treffenden Ideen geprägt hat. Bei jedem anderen spräche man von Pensionierung, Andreas aber macht natürlich weiter: als Freischaffender mit seiner eigenen Filmproduktion, eine Rückkehr zu seinen Wurzeln als Filmemacher. Wir wünschen ihm Kraft und Ausdauer, Erfolg und Spass und freuen uns, ihm bald als «Kopf der Woche» in der Werbewoche wiederzubegegnen. Herzlichen Dank und alles Gute.

Anne-Friederike Heinrich, Chefredaktorin
f.heinrich@werbewoche.ch
 

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