Zur Sache: schielen verboten

Auf mein Editorial in der letzten Ausgabe erhielt ich einen interessanten Kommentar von Vinzenz Wyss, Professor am IAM (Institut für Angewandte Medienwissenschaft) in Winterthur.

Ich zitiere: «Ich glaube auch, dass Medienkritik 2.0 eine Chance hat. Bis heute bleiben solche Aktivitäten jedoch noch auf der Stufe von Teil-/Versammlungsöffentlichkeiten stecken. Damit sie Bedeutung erlangen, müssten sie von massenmedialer Öffentlichkeit aufgespürt und reichweitenintensiv thematisiert werden. Das ist bis heute tatsächlich kaum der Fall. Vielleicht liegt es eben daran, dass der Medienjournalismus in der Selbstbeobachtungsfalle hocken bleibt.»  

Fragen wir uns doch mal, warum der Medienjournalismus in dieser Selbstbeobachtungsfalle steckt. Da gibt es verschiedene Gründe.

Einmal der schadenfreudige und konkurrenzneidige, der dazu führt, dass redaktionelle Fehler der Konkurrenz genüsslich ausgeschlachtet werden. Interessiert das unsere Leser? Sicher nicht. Ist das Medienjournalismus? Ja, aber nur wenn über die eigenen Fehler ebenso detailliert berichtet wird. In die gleiche Richtung geht die angebliche Hintergrundgeschichte über die Konkurrenz. Informationen obskurer Insider, die genau wissen wollen, was beim Konkurrenzverlag oder -titel schiefläuft, welche Personalrochaden geplant, aber noch nicht kommuniziert sind, lassen sich mit eigenen Vermutungen kombinieren und so wird aufgedeckt, weshalb die Strategie der Konkurrenz während der letzten Jahre sowieso Scheisse war. Eigentlich will man sagen, dass die Konkurrenz doof, böse oder hinterlistig ist, und versucht damit zu suggerieren, dass im eigenen Hause natürlich alles ganz anders ist. Interessiert das unsere Leserinnen? Sicher nicht. Ist es Medienjournalismus? Ja, aber nur wenn die Geschichte stimmt und von einer gewissen Relevanz ist.

Ein weiterer Grund ist ein konfliktvermeidender. Christian Meier, Co-Autor des Buches Basiswissen für die Medienpraxis, sagte es treffend im Interview mit der Werbewoche: «Wenn ich als Journalist einen kritischen Bericht über einen Wirtschaftsboss schreibe, bekomme ich von Berufskollegen in der Regel Anerkennung. Wenn man demgegenüber einen Chefredakteur kritisiert, kann es passieren, dass sich der eigene Chefredakteur meldet und fragt: «Musste das jetzt sein?» Interessiert das unsere Leser? Ja. Ist es Medienjournalismus? Ja. Befreien wir uns doch aus der Selbstbeobachtungsfalle. Medienjournalismus ist gar nicht so schwierig, man darf nur nicht immer auf die lieben oder bösen Kollegen schielen, sondern sich fragen, was ist für meine Leser auch wirklich relevant.

Pierre C. Meier, Chefredaktor
pc.meier@werbewoche.ch

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