Zur Sache: Kein Grund zur Euphorie

Die neuen Leserschaftszahlen, die diese Woche von der AG für Werbemedienforschung (Wemf) präsentiert wurden, haben in den meisten Verlagen für Freude gesorgt. Dementsprechend positiv waren die Titel der entsprechenden Zeitungsartikel.

Die neuen Leserschaftszahlen, die diese Woche von der AG für Werbemedienforschung (Wemf) präsentiert wurden, haben in den meisten Verlagen für Freude gesorgt. Dementsprechend positiv waren die Titel der entsprechenden Zeitungsartikel. Von euphorisch bis leicht vorsichtig erstreckte sich das Spektrum: «Die totgesagte Zeitung ist wieder in», «Schweizer Zeitungen sind hoch im Kurs», «Presse erholt sich vom Leserschwund», «Gestoppter Leserschwund bei den Bezahlzeitungen», «Bezahlzeitungen erholen sich», «Gratis- und Sonntagstitel erreichen mehr Leser». Den Medienhäusern sei die Freude gegönnt.
Haben sich die Zeitungsuntergangspropheten der letzten Jahre also geirrt? Nicht ganz. Die neus¬ten Zahlen zeigen zwar, dass der Niedergang der abonnierten Zeitungen kurzfristig gebremst ist, doch die längerfristige Betrachtung zeigt leider etwas anderes. Gegenüber 2004 verlieren 18 von 39 bezahlten Zeitungen signfikant Lesende (siehe dazu auch den Artikel auf Seite 33). Der grosse Gewinner ist und bleibt die Gratispresse. Es wäre also vollkommen verfehlt, Entwarnung zu geben. Die Tageszeitung muss sich neu erfinden. Eher weg von den überall kostenlos und erst noch schneller erhältlichen News hin zu mehr Hintergrund, Einordnung und Orientierungshilfe. Oder wie es Res Strehle, einer der beiden Tages-Anzeiger-Chefredaktoren, in einem Radiointerview treffend ausgedrückt hat: «Die Tageszeitung muss zu einem Reiseleiter im Newsdschungel werden.» Die geplanten Relaunches der grossen Tageszeitungen sind also notwendig. Vielleicht werden damit die Leserzahlen der Zeitungen weiter steigen. Zu hoffen wäre es.
Die aktuellen Probleme der Verlagsbranche können aber auch die kurzfristig positiven Leserschaftszahlen nicht lösen. Die Medienbranche steckt in einer gewaltigen Krise. In den ersten sieben Monaten dieses Jahres sank das Gesamtvolumen der Anzeigen um knapp 270 Millionen Franken, davon entfielen mehr als 160 Millionen auf kommerzielle Anzeigen.
Dieser Rückgang hat mit der Entwicklung der Leserschaft nur wenig zu tun, denn er ist konjunkturell bedingt. 2009 wird ein katastrophales Jahr werden und auch die Aussichten für 2010 sind düster. Nicht wenige Branchenkenner gehen von einem weiteren Rückgang von zehn oder noch mehr Prozent aus. Das seit Jahren funktionierende Geschäftsmodell (? Anzeigenerlös und ? Vertriebserlös) scheint nicht mehr zu gelten. Es braucht also dringend neue Erlös¬quellen. Denn auch bei steigender Leserschaft werden die Anzeigenumsätze nicht automatisch steigen und wenn überhaupt, dann nur zeitlich verschoben.
Die Zeiten bleiben also weiterhin hart.
Pierre C. Meier, Chefredaktor
pc.meier@werbewoche.ch

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