«Wir planen definitiv eine Gamescom Ende August»

Auch die Koelnmesse ist von der aktuellen Lage rund um Corona betroffen. Expodata Live Kommunikation im Interview mit Gerald Böse, Vorsitzender der Geschäftsführung der Koelnmesse.

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Expodata: Herr Böse, was beschäftigt Sie heute am meisten?

Gerald Böse: Ich freue mich, dass meine Familie gesund ist. Ich bin erleichtert, dass das auch für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gilt, nachdem wir sehr frühzeitig – wo immer möglich – auf mobile Arbeit umgestellt haben. Und mich bewegt die Zukunft unserer Branche: weil das Messegeschäft und alle Partnergewerke von der Krise mit am härtesten getroffen sind und weil ich gleichzeitig die Messewirtschaft als Schlüsselindustrie sehe, wieder zu einer wirtschaftlichen Normalität zu finden – weltweit. Das bedeutet eine grosse Verpflichtung, nicht nur für die Koelnmesse.

 

In der Welt am Sonntag vom 5. April sagen Sie, die Koelnmesse sei schon 2008 gestärkt aus der Finanzkrise hervorgegangen und Sie erwarten das auch für die Corona-Krise. Was erhoffen Sie sich jetzt?

In der Finanz- und Wirtschaftskrise haben wir einen Schritt zu Seite gemacht, um unsere Strukturen und Prozesse von aussen, aus Kundensicht zu betrachten. Es wurde Veränderungsbedarf identifiziert: Wir haben viele Funktionen zentralisiert, übergreifende Themenkompetenzen definiert und uns auf weltweiter Basis als «One Company» aufgestellt. Das war der Beginn einer grossartigen Wachstumsphase, sie gipfelte für die Koelnmesse im Rekordjahr 2019 mit erstmals über 400 Millionen Euro Umsatz.

Nun gilt es aufs Neue, das aktuelle Modell auf den Prüfstand zu stellen: Wir sehen heute, wie wichtig Mobilität für das Messegeschäft und damit für das Wirtschaftsgeschehen ist. Wir müssen Formate finden, die auch bei eingeschränkter Mobilität funktionieren und zum Beispiel die weiter unverzichtbare klassische Messe in digitale Räume erweitert. Es war richtig, dass wir uns bei der Koelnmesse frühzeitig der digitalen Transformation gestellt haben. Ebenso, dass wir mit unserem Investitionsprogramm Koelnmesse 3.0 auf flexible Geländestrukturen setzen und auch Szenarien jenseits von «immer mehr, immer grösser» umsetzen können. In Zukunft wird das Messegeschäft nicht mehr genauso sein wie vor der Krise. Darauf müssen wir uns heute vorbereiten, noch bevor wir die Tore zu den ersten Post-Corona-Veranstaltungen öffnen.

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Sie sagen, Ende August 2020 möchten Sie die wichtige Gamescom in Köln veranstalten. Wie sind hier die Aussichten?

Wir planen definitiv eine analoge Gamescom Ende August in Köln, vielleicht mit einer noch grösseren digitalen Plattform als bisher schon. Natürlich tun wir das mit Augenmass und werden die weitere Entwicklung und die behördlichen Vorgaben wenn nötig frühzeitig berücksichtigen. So wie wir auch mit der Gamesbranche in engem Kontakt bleiben. Immerhin kommen viele Aussteller aus den USA, wo die Lage noch weniger absehbar ist als bei uns.

 

In der Welt am Sonntag sprechen Sie davon, Messen teilweise in digitale Räume zu erweitern und nennen «die digitale Reichweite» als eine Säule des Erfolgs. Was, wenn es hier schon Erfahrungen gibt, ist der Massstab für digitale Reichweite, sagen bei einer Gamescom?

Die Gamescom hat mit ihrem Online-Angebot «Gamescom now» schon im vorigen Jahr bewiesen, dass neben einem grossen physischen Publikumsevent die Ergänzung durch digitale Livestreams und Videos ihren Platz und ihren Erfolg hat. Gleichzeitig zeigt sie mit hohen sechststelligen Besucherzahlen seit Jahren, wie wichtig auch einer so digital geprägten Community die Begegnung und der direkte Austausch ist. Das ist und bleibt das Alleinstellungsmerkmal einer Messe.

Wir müssen beides verbinden, nicht nur bei der Gamescom: persönliche Begegnung und Liveerlebnis möglich machen, gleichzeitig digitale Begleitung, Ergänzung, auch Zusatznutzen bieten. Sollte die Mobilität im wirtschaftlichen Austausch wirklich längerfristig eingeschränkt bleiben, gibt es zu dieser Parallelität keine Alternative.

 

Wenn Sie eine grosse Reichweite oder eine digitale Reichweite mit wichtigen Einkäufern erreichen: tut sich dann hier ein potenzielles Geschäftsfeld auf?

Natürlich. Was wir exklusiv auch auf einer digitalen Plattform bieten, das darf für den Nutzer auch das Geld kosten, das es wert ist – ganz so wie das Messeticket.

 

Sie sagen in der Kölnischen Rundschau auch, sie möchten die jetzige Zwangspause nutzen und entwickelten «neue Ideen». Gibt es Felder, wo Sie positive Transformationen sehen, die durch Corona beschleunigt werden, auch in der Wirtschaft allgemein?

Die Messewelt hat meines Erachtens nicht erst seit Corona Bedarf, sich zu verändern. Die digitale Transformation ist ja kein Selbstzweck, sondern folgt dem Bestreben, unseren Kunden noch mehr Möglichkeiten und mehr Effizienz – kurz: noch mehr Geschäft – aus dem Messebesuch heraus zu bieten. Unsere Messeareale brauchen mehr Flexibilität, um zum Beispiel Formate aus Ausstellung und Kongress umzusetzen.

Wie gesagt: Wir müssen unsere Prozesse und unsere Inhalte prüfen und bereit sein, Veränderungen vorzunehmen. Das ist nicht allein durch die Corona-Krise bedingt: Das grosse Thema Nachhaltigkeit als Erfolgsfaktor auch im Messegeschäft, das uns bis in die ersten Wochen des Jahres sehr beschäftigt hat, rückt gerade etwas in den Hintergrund, bleibt aber eine zentrale Verpflichtung und Herausforderung.

Das Messegeschehen könnte eine Blaupause werden, wie das weltweite Wirtschaftsgeflecht in Zukunft funktioniert – gegebenenfalls auch mit Corona: auf einer ökologisch verantwortungsbewussten Basis, die die Gesundheit der Marktteilnehmer nicht gefährdet, eine eingeschränkte Mobilität berücksichtigt und dennoch jeder Branche und ihrer Community physische Plattformen bietet. Klar klingt das nach der Quadratur des Kreises. Da braucht es noch vieler Überlegungen, aber vor allem der grundsätzlichen Bereitschaft. Auch hier kann die Digitalisierung Teil der Lösung sein.

 

Was sind die grössten Herausforderungen im dem momentanen Lockdown, und wie wird es weiter gehen?

Ich bin sicher, dass wir alle sehr beschäftigt sein werden, wenn das Rad wieder in Schwung kommt und wir aufgrund der Messeverschiebungen auch die letzten Lücken in unseren Terminplänen schliessen. Das Interesse und die Erwartungen unserer Aussteller für das zweite Kölner Messehalbjahr sind gross. Und nicht nur die Kunden, auch unsere Mitarbeiter freuen sich auf wieder einigermassen normale Zustände, um dann wieder Vollgas zu geben.

Wir sind aktuell in Kurzarbeit. Als Unternehmen tun wir alles, um durch Aufstockung des Kurzarbeitergeldes die finanziellen Lücken weitgehend zu schliessen und unsere Arbeitsplätze zu erhalten. Denn unsere engagierten Teams werden bald mehr denn je gebraucht, damit es weiter und hoffentlich wieder aufwärts geht.

 

Inwiefern befürchten Sie durch Corona verursacht einen bleibenden Schaden für die Koelnmesse, für die Messewirtschaft allgemein, für ihre Aussteller- und Besucher-Kunden? 

Es wird sehr eng werden, neben den finanziellen Auswirkungen vor allem auch in der Ballung von Terminen und daraus resultierenden Themenüberschneidungen, die zwangsläufig auftreten werden. Dies wird zu Konsolidierungen führen und den Wettbewerb der Leitmessen befeuern. Auch wird es dadurch sehr wahrscheinlich zu Änderungen bei Messezyklen kommen, speziell in Asien, wo einige Messen Ihren jährlichen Rhythmus wohl nicht halten können.

 

Wie gross erwarten Sie den wirtschaftlichen Schaden im Geschäftsjahr 2020?

Die Krise wird natürlich auch massive wirtschaftliche Folgen haben. Allein durch die Absagen unserer Veranstaltungen bis Ende Juni fehlt uns 2020 im Ergebnis ein hoher zweistelliger Millionenbetrag – letzten Endes wird entscheidend sein, wann wir auf welchem Niveau weitermachen können. Wir haben in der Vergangenheit gut gewirtschaftet und hätten diesen Kurs gerne weiter fortgesetzt, schliesslich war im Ausblick auf 2021 sogar die magische Grenze von einer halben Milliarde Euro Umsatz in Sichtweite. Das Eigenkapital ist aktuell ausreichend, und natürlich werden wir alle Finanzierungs- und Fördermöglichkeiten in Betracht ziehen. Alles hängt an Liquidität und Cash Flow, auch angesichts unserer laufenden Kosten von sieben Millionen Euro pro Woche.

 

Kann die World Expo Dubai, die im Oktober 2020 beginnen sollte, stattfinden?

Die Vereinigten Arabischen Emirate haben beim zuständigen Bureau International des Expositions in Paris einen Antrag auf Verschiebung um etwa ein Jahr auf Oktober bis März 2021/2022 gestellt. Wenn dem stattgegeben wird, dann wird die Koelnmesse als Organisator des deutschen Pavillons im Auftrag unseres Bundeswirtschaftsministeriums dem neuen Zeitplan natürlich folgen. Eine solche weltweite Leistungsschau muss einfach unter optimalen Bedingungen und mit ausreichender Vorbereitung stattfinden. Wir freuen uns weiterhin auf Dubai.

 

Aus heutiger Sicht: wie geht es weiter bei der Koelnmesse und welches sind die terminlichen Meilensteine, von denen ein künftiger Entscheid abhängt?

Die Exit-Strategien werden leider nur bedingt von der Messewirtschaft vorgegeben, alles hängt von einer erfolgreichen Eindämmung des Virus und den Vorgaben der Behörden ab. Wir können für unsere Messen heute keinen Tag X nennen, an dem generell der Daumen gehoben oder gesenkt wird, vielmehr werden wir jede einzelne Veranstaltung, ihre Teilnehmerstruktur, ihre Internationalität, ihre Standgrössen und vieles mehr genau betrachten und dann entscheiden.

 

Bitte beenden Sie den folgenden Satz: «Die Koelnmesse wird in der Zeit nach Corona …

… den eingeschlagenen Weg mit ein wenig mehr Demut, aber unbeirrt fortsetzen. Unsere Stärken sind unsere Branchenkompetenz, unser Standort, unser weltweites Portfolio und unsere Bereitschaft, uns zu verändern. Wir werden als ein führender Player im Messegeschäft unseren Beitrag zur Rückkehr der Wirtschaft in die Normalität leisten.»

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