Der diskrete Charme der Idiotie

Aufgefallen Der schlaue Journalist stellt respektive hält sich dumm. Denn Klugscheisser gibt es schon genug, besonders auf Redaktionen. Eine Einführung in unser aller Déformation professionelle.

Kolumne Der schlaue Journalist stellt respektive hält sich dumm. Denn Klugscheisser gibt es schon genug, besonders auf Redaktionen. Eine Einführung in unser aller Déformation professionelle.Mbwana, ein italienisches Sprichwort sagt: «Die Mutter der Idioten ist immer schwanger.» Und tatsächlich: Ihre Kinder tummeln sich überall, besonders oft aber vor Mikrofonen. Und hinter den Mikrofonen. Journalismus ist halt ein höchst attraktiver Beruf für unattraktive Köpfe.Nicht einfach ein Idiot, sondern ein öffentlicher Idiot zu sein, dagegen spricht auf den ersten Blick nicht viel. Viele Nussschädel leben strahlend damit. Von Selbstzweifel keine Spur. Nehmen Sie etwa den unverschämt erfolgreichen Riesentrottel … (Sie wissen es, ich weiss es, nur er weiss es nicht.) Was allerdings dagegenspricht: Idioten ähneln sich. Und Sie, Mbwana, gibt es nur einmal, Ihre Mutter hat Sie unter Schmerzen geboren – und nicht in der Hoffnung, ein Stück Dutzendware hervorzubringen.
Idioten sind Sklaven einer Methode: Profit ist oft das andere Wort für systematische, sprich: systemkonforme Dummheit. Deshalb hier eine kleine Checkliste journalistischer Techniken, die zwar erfolgreich sind, aber todsicher verblöden (inklusive Gegenmittelchen).
1. Sie spielen Trendtrottel. Wegen fehlender echter Neuigkeiten rufen Sie jeden Sonntag oder Donnerstag eine Tendenz respektive deren Tod aus: das Ende der FDP, die neue Jungfräulichkeit, die Rückkehr der Bartbinde. (Rezept dagegen: Okay, Ihr Chef will Trends. Beschränken Sie den Trend-Unfug auf Lead und Titel. Im Rest beschäftigen Sie sich mit Themen, die Sie wirklich interessieren.)
2. Sie fabrizieren Dr.-Oettker-Schlagzeilen. Man nehme: ein vernünftiges Thema, etwa die Probleme des Militärdepartements. Und befrage dazu einen Universalexperten, etwa einen Sektenforscher. Als Resultat erhalten Sie den Titel «VBS wie Sekte organisiert?» (Rezept dagegen: Lassen Sie es.)
3. Sie werfen die grosse Melkmaschine an. Kaum passiert etwas, telefonieren Sie wie der Teufel hinter kaum informierten Politikern hinterher. Aus den konfusen Antworten basteln Sie eine deftige Kontroverse. («SVP gespalten!») Rezept dagegen: Telefonterror macht durchaus Spass – wie jeder Unfug. Gehen Sie aber besser Storys nach, die fast vergangen sind. Dann können Sie mit cleveren Zitaten den ganzen Roman erzählen. (Zur Hölle mit Primeurs: Leser lieben abgeschlossene Romane!)
4. Sie leuchten in der Sonne der Prominenz. Ein Dutzend grosse Namen sagt im Vorbeigehen nichts (begeisterte Blick-Schlagzeile: «Das gibt es nur am WEF!»), oder ein grosser Namen sagt Ihnen ausführlich nichts (siehe das letzte CEO-Interview): Wo ein Mond strahlt, ist Nacht. (Rezept dagegen: Aus nichts sagenden Begegnungen mit Berühmtheiten nie Interviews, sondern Porträts machen: Hier lässt sich erklären, montieren, ergänzen. Selbst Filmstars sind nur so gut wie ihr Beleuchter.)
5. Verbrennen Sie Ihre Doktorarbeit. Und fliehen Sie: vom Schreibtisch zur Recherche. Am besten wechseln Sie in ein anderes Ressort: vom Feuilleton zu Sport oder Politik. Journalismus ist der Beruf, in dem man klüger über das schreibt, was man nicht weiss. (Die zwei besten Bundeshausjournalisten der Schweiz sind entflohene Musikkritiker.)
So weit einige Tipps. Natürlich ohne Gewähr. Denn aufgemotzte Aufmacher, Expertenzitate, Telefonstatements und Namedropping gehören nun mal zu unserm Handwerk – wie mit der Zeit leider auch solides Wissen. Die Grenze zur Idiotie ist dünn. Und vielleicht müssen wir alle früher oder später jenen Weg gehen, den schon so viele vor uns gegangen sind. Doch nicht heute, nicht morgen. Vorausgesetzt, Sie beherzigen ein allerletztes Sprichwort, Mbwana: «Dummheiten sind charmant, Dummheit nicht.»
Constantin Seibt sinniert im Grenzbereich von Dummheiten und blosser Dummheit.

> Constantin Seibt ist Redaktor der Wochenzeitung (WOZ).

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