Kein «Eigen-Branding»

Gastkommentar Die anhaltende Markenhysterie dient vor allem der Eigenwerbung, meint Dominik Imseng. Und ruft seine Kollegen zur Mässigung auf.

Gastkommentar Die anhaltende Markenhysterie dient vor allem der Eigenwerbung, meint Dominik Imseng. Und ruft seine Kollegen zur Mässigung auf.
Stilisten haben derzeit Grund, die Stirn zu runzeln. So schrieb etwa Roger de Weck: «Neoliberalismus, selten war eine Marke dermassen stark und tückisch.» Die Forderung, ökonomische Prozesse wo immer möglich über den Markt zu steuern, soll also keine Philosophie mehr sein. Auch kein Prinzip oder Konzept. Sondern eine Marke. Und das aus der Feder des Mannes, der zuletzt Die Zeit chefredigierte.Zweites Beispiel: Rudolf Augstein habe 1947 «eine Idee in die Welt gesetzt und sie über fünfzig Jahre lang zur Marke wachsen lassen», so Cordt Schnibben in einem Nachruf auf den Spiegel-Gründer. Dass das Hamburger Magazin eine Marke wurde, ist für Schnibben also keine geringere Leistung des Jahrhundertjournalisten Augstein als die, aus seinem Magazin das viel zitierte «Sturmgeschütz der Demokratie» gegossen zu haben.
Beide Zitate sind bezeichnend. De Wecks Fauxmot macht klar, wie sehr der Begriff «Marke» zum Allerweltswort verkommen ist. Nicht nur der Neoliberalismus soll ja mittlerweile eine Marke sein. Sondern auch Länder (wie unser eigenes). Oder Städte (wie sein angebliches «Downtown»). Und ein besonderes Thema hatte der letztjährige deutsche Werbekongress: «Die Marke Mensch.» Schirmherr der Veranstaltung: Wolfgang Thierse, Präsident des Deutschen Bundestags. Kein Mann, der sich vor jeden Zeitgeistkarren spannen lässt.
Dass er es hier trotzdem tat, hat mit dem Klang, ja Schmelz zu tun, den der lange Zeit so schlichte Begriff «Marke» heute besitzt, und dem sich auch Schnibbens im Grunde wenig ehrenvolle Augstein-Würdigung schuldet. In der Tat ist nämlich «Marke» dieser Tage eine Art Zauberwort, eine Faszinationsvokabel. Kein Wunder: Marken sind nicht nur «sexy» – sie sind die «neuen Götter», wie Norbert Bolz und David Bosshart 1995 in ihrem Bestseller «Kultmarketing» lehrten.
Doch: Existiert tatsächlich eine Form von Markenbewusstsein, die «kultisch» zu nennen ist? Entspringt die Annahme einer quasireligiösen Verehrung von Marken nicht vielmehr bloss:
a) einer Handvoll Anzeigen, die sich – wie das PlayStation-Motiv mit dem Lara-Croft-Kruzifix – des kreativen Drehs «So gut, dass wir nichts anderes mehr im Kopf haben» bedienen, sowie
b) der jugendsprachlichen Neigung zu immer neuen Anerkennungsformeln: Mal ist etwas «stark», dann «dufte», dann «geil», dann «schrill» und zurzeit eben «Kult».
Solchen Zweifeln zum Trotz werden Marken zu «Leuchttürmen» stilisiert, die uns helfen sollen, die Komplexität unserer Gesellschaft zu reduzieren, ja mit unserer metaphysischen Obdachlosigkeit fertig zu werden. Gerade unter Werbern entwickelt sich dabei ein Typus, der nun mit demselben Eifer auf Priester macht, wie er sich in den Achtzigern als Künstler gerierte.
Das ist umso stossender, als Werbung zu den wichtigsten Instrumenten der Markenführung gehört. Und deshalb statt zur weiteren Irrationalisierung der Diskussion zu ihrer Professionalisierung beitragen sollte. Last but not least im Interesse der Werbung selbst: Das Letzte, was unsere sich in einer ihrer schwersten Krisen befindende Branche derzeit braucht, ist schlechtes – der Begriff sei verziehen – «Eigen-Branding».
> Dominik Imseng ist Creative Director bei McCann-Erickson Schweiz.

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