Vizner Borel: Werber, die wir waren

18 Jahre lang haben Lajos Vizner und Guillaume Borel mit Vizner Borel die Schweizer Kommunikationsbranche geprägt – dann kam Corona. Ein Nachruf.

Vizner Borel
Wo alles begann: Guillaume Borel (links) und Lajos Vizner im «Schlauch», einem Zwischen-Raum, der 2004 ihr erstes Büro beherbergte. (Bild: Chris Reist)

Die Geschichte der Agentur ViznerBorel endet dort, wo sie begonnen hat; mit den beiden Männern, die ihr achtzehn Jahre lang Name und Gesicht gegeben haben. Wir treffen Lajos Vizner und Guillaume Borel Mitte Juni in einem Gebäude an der Zürcher Klosbachstrasse, nahe der Tram­station Römerhof. Für die beiden ist der Termin ein bittersüsser Ausflug in die Vergangenheit, denn wenige Tage später werden sie die Bilanzen ihres Unternehmens bei den Behörden hinterlegen – und das letzte Mal die Türen ihres ak­tuellen Büros, nur wenige Schritte entfernt, abschliessen. ViznerBorel haben sich entschieden, ihre Unternehmung einzustellen. Engagierten Rettungsversuchen zum Trotz: Die Pandemie und die Inflation fordern eines ihrer bisher prominentesten Opfer innerhalb der Schweizer Kommunikationsbranche.

Warum nicht etwas Neues wagen?

Trotzdem, oder gerade deswegen, wollen Lajos Vizner und Guillaume Borel offen sprechen. Und sie wollen sich das Lächeln für die Fotos nicht nehmen lassen, ist ihnen dieser Tage auch kaum danach zumute. Zusammen stehen sie im «Schlauch», einem eigentlich als Verbindungsgang angelegten (und mittlerweile wieder derart genutzten) Zwischen-Raum. Dort bezogen sie 2004 ihr erstes, improvisiertes Office. Die beiden hatten, erinnern sie sich, weder einen Masterplan noch eigenes Kapital, aber dafür jede Menge Momentum: Bei den Kunden lagen inhaber-geführte Werbefirmen damals im Trend, der gemeinsame Arbeitgeber des Strategen Vizner und des Kreativen Borel – die Agentur Bonaparte – war gerade Konkurs gegangen. Warum sich also nicht selbst einmal als Inhaber versuchen, etwas Neues wagen, gemeinsam?

«Le feu sacré»

Der Claim für ihr Vorhaben war rasch gefunden, geprägt von einem wohl nicht schweiz-typischen, aber charmanten Pathos: «Le feu sacré», das «heilige Feuer», das brennen sollte für die Auftrag­geber und auch in den Werbern selbst. Drunter mochten sie es nicht mehr machen; ganz oder gar nicht. Die Metapher wurde Kern ihrer Philosophie: «Nur Kommunikation, bei der ein Funke springt, entfacht ein Feuer.» Passend dazu verschenkten Vizner und Borel Altarkerzen, die der Lieferant des Klosters Einsiedeln für sie herstellte, an ihren rasch wachsenden Kundenstamm. «Wir wurden ein Hotshop», erinnern sie sich. Und wo ein guter Ruf vorauseilt, kommen die grossen Etats oft zügig hinterher. Porsche, Denner, UPC, Navyboot oder Heineken; VW, Ikea, Weleda oder Migrolino vertrauten ihre Marken dem – in Körpergrösse, Stil und Duktus – ungleichen Duo an. Ein Duo, freilich, konnten sie bald nicht mehr bleiben, dafür gab es einfach zu viel zu tun. Die Organisation wuchs auf 24 Mitarbeitende, wurde von der Boutique zum veritablen KMU, und der «Schlauch» war auf einmal viel zu eng – nicht nur für das, was man tat, sondern auch für das, was man vorhatte.

Es gibt Fotos aus jener Zeit, die Vizner und Borel mit ihrer damaligen Geschäftsleitung zeigen – beide tragen dunkle Massanzüge und Krawatte. Darf man sagen, dass sie auf den Bildern nicht nur jünger sind, sondern auch jünger aussehen? Weniger erschöpft, weniger müde? «Wir haben etliche schlaflose Nächte hinter uns – man darf», zwinkert Kreativ-Guillaume, doch das ist wohl nur ein Teil der Erklärung. Denn was so viele Unternehmer ausgezehrt hat, in den sich endlos erstreckenden Monaten und Jahren, seit ein winziges Virus eine ganze Welt von den Füssen auf den Kopf stellte – das ist nicht nur physische Müdigkeit. «Das ist», sagt Strategie-Lajos, «diese Ungewissheit, dieses Lavieren zwischen Lockdowns und zaghaften Öffnungsschritten, und am Ende weiss keiner, was als Nächstes passiert.» Das zuvor erwähnte Portfolio, lange ein Segen für die Agentur, erwies sich als Menetekel; war doch die Mehrzahl der Kunden von ViznerBorel wiederum von dem Konsumklima abhängig, das bei den Endverbrauchern herrscht. Und dieses Klima war selten schlechter als in Zeiten, wo man das Haus nicht verlassen darf, wo man Angst um die eigene Gesundheit, den Job, ja: die Existenz hat. Wer braucht da neue Autos, wer kauft sich eine Küche?

Das ‹heilige Feuer›, das brennen sollte für die Auftraggeber und auch in den Werbern selbst.

Die Härtefallregelung des Bundes kam trotzdem nicht zur Anwendung – zu komplex scheint die Position von Kommunikationsdienstleistern in der Kette ökonomischer Wertschöpfung, zu wenig «überprüfbar» die Tatsache, ob allein die Pandemie an der Agentur-Misere schuld ist. Es gab ja keine offizielle Direktive, die Arbeit zu sistieren, wie bei Restaurants und nicht-essenziellen Geschäften. Man hätte werben dürfen, hätte nur jemand angefragt, doch die Klientel ging in Habachtstellung. Der Bund konnte in solchen Fällen vielleicht etwas tun, wollte aber nicht. Oder wollte – und konnte nicht. Wer weiss das schon? Und wenn dereinst Wirtschaftshistoriker über die Dinge, die geschehen sind und in anderen Szenarien vielleicht nie geschehen wären, ihr Urteil gefällt haben – dann wird so viel Wasser die Limmat hinuntergeflossen sein, dass das leider, irgendwie, egal ist. Zwei Mal stemmten sich Vizner und Borel trotzdem gegen ein negatives Votum der Behörden, zwei Mal blieb als einziges Ergebnis eine hohe Rechnung für den administrativen Aufwand jener, die am Ende einen abschlägigen Bescheid erteilten.

Und dann folgten die unvermeidlichen Schritte: Der Zugriff auf die Rücklagen der Agentur, ursprünglich als Ausschüttung für die Gründer gedacht, um die Löhne der Mitarbeitenden zu decken («Wie hätten wir uns denn Geld aus der Firma nehmen, aber gleichzeitig Leute entlassen können?», fragt Guillaume Borel, entrüstet, dass so etwas tatsächlich anderswo gängige Praxis zu sein scheint); unzählige Gespräche mit potenziellen Kooperationspartnern, Investorinnen. Natürlich die Teilnahme an den wenigen Pitches, die landauf und landab in der Pandemie überhaupt ausgelobt wurden. «Immer wieder hatten wir Hoffnung, und die hält einen ja am Leben», sagt Lajos Vizner. Sie kann aber auch trügerisch sein, mitunter regelrecht grausam: Wenn es kurz so schien, als würde doch noch einmal alles gut, kam die nächste Covid-Variante, der nächste Lockdown. Das nächste verlorene Mandat. Und damit am Ende doch, schwersten Herzens: Einschnitte beim Personal. Die waren besonders hart für ViznerBorel, weil die Agentur immer einen geringen Mitarbeiter-Turnover hatte. Kündigungen sind wohl stets unangenehm, aber Menschen zu entlassen, die man seit zwölf, fünfzehn, achtzehn Jahren kennt, deren Kinder man aufwachsen, die man ihre Häuser bauen oder ihre Jugendlieben heiraten sah, das ist noch einmal etwas ganz anderes. «Das ist der Teil des Unternehmertums, von dem kaum einer spricht», glauben die Agenturgründer, nicht einmal wegen irgendwelcher artifizieller Tabus – sondern einfach, weil es so traurig sei.

Die Kapitäne gehen zuletzt

Ein letzter, grosser Pitch stand an, vor einigen Monaten, sie mögen den Kunden nicht beim Namen nennen, die Schweigepflicht ist sogar vertraglich festgehalten. Und tatsächlich: Diesen Pitch konnten ViznerBorel gewinnen. Das Budget, das damit verbunden war, hätte dem Team eine Atempause, eine neue Chance verschafft. Doch dann machte das Timing ihnen einen Strich durch die Rechnung. «Ein absolut grandioser Klient – ein fantastischer Auftrag. Aber eben auch Löhne, Miete, Ausgaben, die wir selbst hätten tragen müssen, bis im Herbst erste Ressourcen transferiert worden wären.» Die Versuchung, sich privat zu verschulden, um es irgendwie zu schaffen, war gross. Aber dann siegte die Vernunft über das Herz, die Ratio über «le feu sacré». Eine empathische Volte schlugen sie noch, stimmten dem «Beinahe-Kunden» freudig zu, als dieser ihren Mitarbeitenden ein festes Jobangebot machte: Sie können dort bald «in-house» das tun, was eigentlich die Agentur hätte tun wollen. Vizner und Borel selbst, freilich, werden nicht «mitgehen», aus mannigfaltigen Gründen. Zwei wie sie brauchen Diversität, auch wenn diese ein gewisses Mass an Ungewissheit mit sich bringt. «Grössere Sorgen hätten wir uns trotzdem gemacht, wenn etwa unsere Lehrtochter nicht untergebracht gewesen wäre», sagen sie, und für die beiden spricht, dass man ihnen das wirklich glaubt.

Vizner Borel
Werden nun als Consultants arbeiten: Lajos Vizner (links) und Guillaume Borel. (Bild: Chris Reist)

Die beiden Kapitäne verlassen das Schiff zuletzt. Gehen eine Zukunft gespickt mit Fragezeichen, ohne Netz, ohne doppelten Boden. Unternehmer sind bei der ALV nicht ver­sichert – und auch nicht versicherbar. Oder, um es in Amtssprache zu fassen: «Das unternehmerische Risiko bleibt bei der selbstständigen Person.» Lajos und Guillaume werden es nun als Consultants versuchen, man kann sie einzeln oder gemeinsam buchen. Den Namen ViznerBorel dürfen sie nicht mehr führen, wenn sie ihre Bilanzen hinterlegt haben, aber ihre neuen Visitenkarten werden wie zwei Puzzleteile zueinander passen, in denen die Agentur zumindest optisch wieder aufersteht.

Die Härtefallregelung des Bundes kam nicht zur Anwendung. Es gab ja keine offizielle Direktive, die Arbeit zu sistieren.

Und wenn es etwas Gutes gibt an der ganzen Geschichte, die ja an sich keine besonders fröhliche ist? Dann ist es wohl, meinen der Stratege und der Kreative, dass Ungewissheit auch Freiheit bedeuten kann. Denn damals, 2004, da hätten die Auftraggeber geschätzt, dass inhaber-geführte Agenturen oft unangepasste und unkonventionelle Ideen proklamierten. «Heute langweilen sich Kunden, Werber und Konsumenten gegenseitig», meint Guillaume Borel mit einem Schmunzeln, «und in diesem Mainstream, in diesem Fluss der Gleichgültigkeit, dürfen wir jetzt wieder gegen den Strom schwimmen.»

Vizner Borel
ViznerBorel-Kampagnen für Denner, Theater Winkelwiese, Navyboot: Was bleibt, ist die Erinnerung.

Kann man neu beginnen wollen?

Im Anschluss an solch ein Statement braucht es natürlich eine weitere Frage, die etwas unverschämt erscheinen mag, doch der offene Diskurs über Müdigkeit und Erschöpfung hat den Redaktor mutig gemacht: Ob es schwieriger sei, später im Leben neu anzufangen als, sagen wir, mit Mitte Dreissig? Ob man da überhaupt noch Lust haben kann, wieder alles zu geben, neu zu starten, zu kämpfen?! «Ich will und werde doch jetzt nicht einfach aufhören», sagt Lajos Vizner, «nicht nach mehr als drei Dekaden in der Branche.» Und schiebt mit einem Lachen hinterher: «Ausserdem habe ich noch viel zu viel Energie und Freude an dem, was ich mache.» Guillaume Borel wie­derum denkt an die sich verändernde Gesellschaft, hat sich schon in den vergangenen Jahren immer stärker mit NonProfit-Organisationen beschäftigt. «Vielleicht ist jetzt die Zeit, mit dem, was wir können, noch mehr zurückzugeben», meint er. Alter sei ja ohnehin bloss eine biologische Angelegenheit, eine Körperlichkeit, aber der Geist, der bleibe unruhig, jugendlich, kreativ – bei ihm wie bei seinem Kompagnon. Und da merkt man, für einen Moment, zwischen all den Dingen, die noch abzuwickeln sind; zwischen dem Ungefähren, das kommt, und der Erinnerung, die bleibt: Das Feuer, die Leidenschaft, «le feu sacré» sind nicht erloschen. Sie mögen überspringen auf andere Orte, Zeiten und Konstellationen; aber lodern, lodern werden sie weiterhin.


Lajos Vizner und Guillaume Borel verabschieden sich mit einem «Best Of-Film» ihrer Arbeiten von der Branche. Gleichzeitig stehen sie per sofort als erfahrene Consultants einzeln oder gemeinsam für strategische wie kreative Arbeiten zur Verfügung: Man erreicht sie unter lajos@vizner.ch und guillaume@leborel.com.

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