Zerrüttete Beziehungskiste

Wirtschaftsjournalismus Ein übertriebener CEO-Kult und Mängel in der Informationspolitik trüben die Beziehungen zwischen Wirtschaft und Medien.

Wirtschaftsjournalismus Ein übertriebener CEO-Kult und Mängel in der Informationspolitik trüben die Beziehungen zwischen Wirtschaft und Medien.Die Wirtschaftsberichterstattung ist aus den ehemals klassischen Spalten ihres Ressorts ausgebrochen und droht aus dem Ruder zu laufen: Auf der Blick-Frontseite geben die Verfehlungen eines CEO ebenso süffigen Stoff her wie die Forderungen eines Airline-Chefs nach mehr Cash. Andererseits lassen sich Wirtschaftskapitäne auch mal im trauten Heim abbilden und bedienen die Gefühlswelten von Illustrierten und deren Lesern. Stichworte wie Bilanzfälschungen, Massenentlassungen oder New-Economy-Absturz alimentieren einen zunehmend schärferen Konkurrenzkampf von immer mehr Zeitungen und Zeitschriften. Dabei nimmt die Aggressivität der Berichterstattung zu und droht ebenfalls aus den Fugen zu geraten – da muss die Frage erlaubt sein, die das Panel der International Advertising Association (IAA) an seine jüngste Talkrunde gestellt hat: «Spannungsfeld Wirtschaft und Medien: Wer instrumentalisiert wen?»
NZZ-Wirtschaftschef Gerhard Schwarz diagnostizierte «eine gewisse Spirale nach unten», wobei die Aufmerksamkeit oft in die falsche Richtung gelenkt werde. Dies sei auch auf die Tatsache zurückzuführen, dass etwa ein Drittel derer,
die sich als Wirtschaftsjournalisten
bezeichneten, eigentlich Gesellschaftsjournalisten seien. «Und diese schreiben über die Person, über deren Psychologie und Motive – aber nur nicht über das, wofür diese CEOs eigentlich bezahlt werden: nämlich ein Business zu leiten.» Auch Kuoni-CEO Hans Lerch prangerte eine zunehmende «Überzeichnung und Destruktionspolitik» im Wirtschaftsjournalismus an, bei der die Headline wichtiger geworden sei als die faktentreue Berichterstattung.
Liegt der Ausweg in mehr Aus- und Weiterbildung für Wirtschaftsjournalisten? Die Frage etwa, ob Wirtschaftsjournalisten überhaupt die Bilanz einer Grossbank seriös zu analysieren verstünden, zeigte aber nur, wie belastet das Verhältnis ist. «Angesichts der Bilanzfälschungen, die wir erlebt haben, ist diese Frage gar nicht mehr so relevant», lautete Hanspeter Bürgins knappe und alles andere als resignierte Antwort.
Mit der Boulevardisierung der Wirtschaftsberichterstattung sind, so NZZ-Schwarz, auch die Anforderungen an die Redaktionen weiter gestiegen. «Die Kunst des Boulevard ist die Vereinfachung, aber die richtige. Und das gelingt nicht immer. Wenn man Boulevardjournalismus richtig macht, ist das schwieriger als NZZ-Journalismus.»
Die von den Panelteilnehmern diagnostizierte «Spirale» könne aber nicht allein den Journalisten angelastet werden. Sie habe auch mit den Lesebedürfnissen etwa der Sonntagsleser zu tun. «Denn diese suchen bei der Lektüre in erster Linie auch die Frivolität des Sonntags.» Diese boulevardisierte Form der Wirtschaftsberichterstattung könne nicht immer in Minne aufgehen, damit müsse man leben, ergänzte Aloys Hirzel, Doyen der Schweizer PR und als ehemaliger Berater von Werner K. Rey erfahren im Umgang mit eben diesen «Frivolitäten».
Sind Homestorys allesamt pfui?Dass mit dieser veränderten Blickweise eine übermässige Personifizierung der Unternehmen durch ständig medienpräsente CEOs entsteht, passt der NZZ nicht in den Kram: «Wir sehen nicht das Unternehmen, sondern die Person an der Spitze», kritisierte Schwarz. Weil ein Grossunternehmen aber aus Tausenden von Mitarbeitenden bestehe, werde damit die falsche Message vermittelt. Schuld daran sei auch die Gier vieler CEOs nach immer mehr Medienpräsenz. «Die
CEOs machen vor allem beim privaten Teil, der mit ihrem Job nicht viel zu tun hat, viel zu viel mit. All diese Homestorys sind auf lange Sicht nicht nur für die betroffenen Personen schädlich, sie sind ebenso schädlich für die Unternehmen und letztlich auch für das Image der Wirtschaft und unseres Systems», rügte Schwarz.
Auch «weiche Werte» zählenDie Personifizierung treffe eigentlich ins Schwarze, widersprach ihm TA-Blattmacher Bürgin. «Denn es geht doch auch darum, die tieferen Triebfedern von Managern, das heisst
ihre Psychologie, zu verstehen. Bei gestrauchelten Managern könnte man sicher vieles aus deren Persönlichkeit heraus erklären.» Auch Hirzel erkennt in der Personifizierung keinen Grund für die gespannte Beziehung. Der CEO müsse auch so genannte weiche Werte kommunizieren, zu denen etwa die ethische Haltung zähle. «Und dies ist eine Aufgabe, die sie idealerweise über die Medien wahrnehmen können», so Hirzel.
Dass das Spiel mit den Medien auch in einem Fiasko enden kann, zeigten die beiden Beispiele verpatzter Unternehmenskommunikation bei McDonald’s und bei Swiss. Schwerwiegender als das persönliche Versagen von Waldemar Nuvall, CEO von McDonald’s Schweiz, wurden die Fehlgriffe bei der kommunikativen Bewältigung der Krise eingestuft. Dabei hatte man über einen externen PR-Berater versucht – unter Umgehung der internen Kommunikationsabteilung –, die Medien dazu zu bewegen, das Thema auf kleinem Feuer zu köcheln oder gar zu ignorieren. Die Folgen dieser Politik sind bekannt: Die Affäre endete in einem Scherbenhaufen. Nicht nur Nuvall, sondern auch der VR-Präsident von McDonald’s Schweiz und Kommunikationschefin Andrea Hemmi nahmen den Hut. «Für einen globalen Brand ein Desaster», wertete Hirzel den Verlauf des Skandals.
Als Debakel wurde auch der jüngste Absturz der Schweizer Luftfahrt gewertet, dieses Mal in Sachen Unternehmenskommunikation. Der Missgriff bezog sich auf CEO André Dosé, der seine ökonomischen Forderungen zuhanden des Bundesrates zuerst im Blick aufgetischt hatte. «Man kann nicht den Bundesrat via Zeitung über die Traktanden der nächsten Zukunft informieren – und auch gleich noch mitliefern, was man zu jedem Traktandum denkt und was man vom Bundesrat erwartet», stellte Hirzel fest. Damit habe ein Vorzeigeunternehmen demonstriert, dass es «nicht mal das Einmaleins der Corporate Communication» beherrsche.
Personifizierte Wirtschaftsstorys: Abbild einer Realität, die der Wirtschaft und den Medien dient.

Schaden Medien der Wirtschaft?Der Absturz der New Economy hat auch ein kritisches Verhältnis zwischen Wirtschaft und Wirtschaftsjournalismus zurückgelassen. Grund genug für die International Advertising Association Swiss Chapter, in der vergangenen Woche zu einer Diskussionsrunde einzuladen. Inspiziert wurde der «Schadenfall» von den Podiumsteilnehmern Ralph
Büchi, Verlagsgruppe HandelsZeitung (Gesprächsleiter); Hans Lerch, CEO Kuoni AG; Aloys Hirzel, Hirzel Neef Schmid; Gerhard Schwarz, seit 1994 Leiter Wirtschaftsredaktion NZZ, und Hanspeter Bürgin, Blattmacher und Nachrichtenchef Tages-Anzeiger. (dse)
Daniel Schifferle

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