«Haltung muss man leben»

Kunden erwarten heute von Unternehmen, dass sie für etwas Sinnvolles einstehen. Markenexperte Alexander Haldemann erklärt, wie Verantwortliche das umsetzen können.

muss man leben

m&k: Amazon war kürzlich in den Medien, weil Gründer Jeff Bezos 10 Milliarden Dollar für den Umweltschutz spendete – seine Mitarbeitenden aber alles andere als begeistert reagierten: Das sei nur geheuchelt und Greenwashing. An dem Beispiel wird offensichtlich: Es ist gar nicht mehr so einfach, als Unternehmen gut dazustehen. Steckt das Purpose-Marketing in einer Krise?

Alexander Haldemann: Das Beispiel trifft genau den Kern des Problems. Purpose-Marketing hat die grosse Schwierigkeit, wirklich glaubwürdig zu sein. Wir sagen bei MetaDesign gerne: «It’s not important to have a purpose, it’s important to live a purpose.» Diese erste Hürde, dass die Mitarbeitenden mitziehen, verfehlen viele. Ich bin aber Unternehmen wie Amazon gegenüber gnädig gestimmt. Ich finde, ein Purpose darf auch eine Ambition nach vorne haben und nicht nur beschreiben, was man heute schon ist.

 

Theoretisch war solch eine Ambition wohl Bezos’ Ziel.

Eine grosse Ankündigung reicht selten aus, um intern eine echte Akzeptanz zu erreichen. Wir alle kennen das: Das Management zieht sich ein Wochenende in die Natur zurück mit dem selbsterklärten Ziel: «Wir brauchen einen Purpose!» Man beschäftigt sich zwischen zwei anderen Agendapunkten mit dem Thema, einigt sich auf eine Definition und veröffentlicht zum Schluss – Worst-Case-Szenario – im Intranet direkt neben dem Wochenmenü und den Jubiläen: «Wir stehen in Zukunft für X und glauben an Y.» Darüber können Mitarbeitende nur lachen. Und die angestrebte Wirkung verpufft als eine Überschrift im Intranet.

 

Was macht andersherum ein gutes Vorgehen aus?

Um einen Purpose zu entwickeln, muss sich das Management mit sich selbst und seiner Identität beschäftigen. Es ist wichtig, folgende Fragen zu beantworten: Wer sind wir? Wofür stehen wir, woher kommen wir und wer wollen wir in Zukunft sein? Das beste Mittel, um das Verständnis und die Akzeptanz innerhalb der Organisation zu gewinnen, ist, die Mitarbeitenden in die Entwicklung des Purpose einzubinden.

 

Wie lässt sich das in der Praxis umsetzen?

Es braucht die richtige Balance. Auf der einen Seite bin ich der Ansicht, dass die Purpose-Entwicklung kein demokratischer Prozess ist. Gleichzeitig muss aber jeder gehört werden. Denn nur durch Involvement entsteht auch Commitment. Bei der Frage «Wer sind wir?» sollten deshalb quer durch die Organisation alle Geschäftsbereiche, alle Regionen, alle Hierarchien involviert werden. Das halte ich für zentral – gerade in grösseren, globalen Unternehmen. Nichtsdestotrotz steht am Schluss die starke Entscheidung der Verantwortlichen: Das ist unser Purpose und diese Haltung tragen wir jetzt in die Organisation herein.

 

Haben Sie ein Beispiel im Kopf, wo das geklappt hat?

Wenn man den Purpose am Ergebnis misst, nämlich wie stark er das gesamte Unternehmen durchdringt – und zwar über einen längeren Zeitraum –, dann finde ich Ikea ein hervorragendes Beispiel. Das Unternehmen steht für eine klare Haltung ein und verfolgt ein Ziel. Ikea will das gut gestaltete und funktionale Zuhause allen Menschen zugänglich machen. Diese Demokratisierung von Design zeichnet das Einrichtungshaus seit Langem aus.

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Alexander Haldemann: «Purpose ist ein Leadership-Thema und gehört nicht allein in die Marketing- und Kommunikationsabteilung.»

 

Kürzlich schrieb der deutsche Soziologe Jo Reichertz in einem Buch zum Thema, dass viele Kunden moralisch aufgeladene Marketingstrategien zunehmend als Fassadenkommunikation, als Fake News, betrachten.

Ich kann Jo Reichertz nur zustimmen. Es tut manchmal weh, wenn man sieht, wie viele Unternehmen verzweifelt versuchen, sich als Weltverbesserer darzustellen. Das ist sicher vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Entwicklung zu beurteilen – Stichwort: Triple Bottom Line, also der Einklang von Sozialem, Ökonomie und Ökologie. Man darf sich aber kritisch fragen, ob wirklich jedes Unternehmen überhaupt dazu in der Lage ist, diese Erwartung zu befriedigen – etwa Hersteller von Schrauben oder ein Finanzdienstleister.

Aus meiner Perspektive muss ein Purpose nicht zwingend ein Beitrag zur Weltverbesserung sein. Vielmehr geht es doch darum, welchen langfristigen höheren Zweck man als Unternehmen ins Zentrum stellt. Simon Sinek, der 2009 das Purpose-Marketing
mit seinem «Why, How, What»-Modell ins Rollen brachte, sagte in etwa: «Unternehmen müssen anfangen, nicht mehr darüber nachzudenken, was sie tun oder wie sie es tun, sondern warum sie etwas tun. In einer Welt dauerhaften Wandels glaubt man dem, der einen klaren Standpunkt hat.» Diese Ausrichtung hilft Unternehmen, langfristig erfolgreich zu sein. Davon bin ich überzeugt.

 

Was kann eine Firma tun, die keinen Weltverbesserer-Purpose in der DNA hat?

Die Unternehmen sollten sich überlegen: Was tun wir Sinnvolles für unsere Kunden und was leisten wir für unsere Mitarbeitenden? Was würde der Welt fehlen, wären wir nicht da?

 

Haben Sie ein Beispiel?

Nehmen wir eine internationale Modemarke. Selbstverständlich erwarte ich von jedem Haute-Couture-Unternehmen, dass es sich damit beschäftigt, wie es seine Produkte umweltfreundlicher herstellen kann. Und jedes Hotel sollte sich Gedanken dazu machen, wie sich seine CO2-Bilanz verbessern lässt. Aber erwarte ich von diesen Unternehmen, dass sie zu Weltverbesserern werden? Nein. Vielleicht ist der Purpose eines Hotels ganz einfach, Reisenden unvergessliche Erlebnisse zu ermöglichen. Und der Purpose der Modemarke klärt, wie sich Menschen mit der Mode identifizieren können.

 

Welche Fehler machen Unternehmen punkto Purpose?

Ich beobachte in der Praxis vor allem zwei Fehler. Erstens gibt es in vielen Unternehmen und Organisationen nicht nur einen Purpose. Oft erlebe ich, dass jeder Abteilung, jeder Geschäftsidee und sogar jedem Workshop ein eigener Purpose zugeschrieben wird. Dadurch verliert der Purpose seine eigentliche Bestimmung. Nämlich: eine zentrale Haltung zu definieren, welche die gesamte Organisation in ihrem Denken und Handeln leitet.

 

Und zweitens?

Der zweite Fehler ist der krampfhafte Versuch vieler Unternehmen, sich in einen höheren Zweck hineinzuzwängen. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich finde es enorm wichtig, dass sich Unternehmen darüber Gedanken machen, wie sie sich gesellschaftlich sinnvoll engagieren können. Ich sehe aber kritisch, dass oft die Vermarktung der Haltung in den Vordergrund rückt. In unserer Branche trifft man mittlerweile auf Aussagen wie: «We advertise for a better world» oder «We consult to make a difference for mankind». Das ist intern nicht glaubwürdig und extern sowieso nicht.

 

Kommen wir noch mal auf den Anfang des Gesprächs zu sprechen: Was hätte Jeff Bezos besser machen können?

Das ist von aussen schwierig zu beurteilen. Empfehlenswert ist grundsätzlich, vor externen Ankündigungen die Mitarbeitenden zu begeistern. Wenn sie in den Prozess der Purpose-Entwicklung involviert wurden, fragt am Ende niemand: Woher kommt das plötzlich, unsere Realität ist doch eine ganz andere? Der Purpose ist ein fantastisches Instrument, um Firmen zu transformieren. Dem Management wird bewusst: Wir sind nicht nur dazu da, den Gewinn zu maximieren. Stattdessen tragen wir einen grösseren Zweck in die Organisation.

 

Bringt das überhaupt etwas?

Purpose-Marketing bedeutet: Haltung zeigen, eine Sinnhaftigkeit hinter den Dingen finden und diese intern leben und geschickt nach aussen kommunizieren. Eine aktuelle Studie der Organisation Werbungtreibende im Markenverband (OWM) zeigt, dass sich Purpose-getriebenes Marketing tatsächlich lohnt – sofern es glaubwürdig umgesetzt wird. Gemäss den elf Experteninterviews à 60 Minuten mit Entscheidern aus den Bereichen Handel, FMCG, Industrie und SaaS geht es heute nicht mehr darum, ob Unternehmen einen Purpose brauchen, sondern, wie man diesen geschäftsrelevant einsetzt.

Mehr zur Studie im Artikel «Purpose-getriebenes Marketing lohnt sich».

 

Dr. Alexander Haldemann …

… ist CEO der Markenagentur MetaDesign mit Standorten in Europa, Asien und Nordamerika. Er berät Kunden, wie sie ihren Purpose finden und verfolgen können. Dass sich mehr Unternehmen mit dieser Frage auseinandersetzen, spüre man in der Agentur seit rund zehn Jahren, erzählt Haldemann. Im Grunde beschäftige sich die Markenagentur aber seit der Gründung 1979 mit der Frage nach Identität, starken Werten und klarer Vision.

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