Fachchinesisch: Was bedeutet «abholen»?

«Wir müssen nur noch die Stakeholder abholen …» – so klingt das Feedback der Auftraggeber heute meist, wenn Agenturen Strategien, Konzepte oder Ideen präsentieren. Neulinge auf Agenturseite denken sich dann jeweils beim Rauslaufen aus den Sitzungszimmern, das Ding sei geritzt. Leider erweist sich das «Abholen» aber als aufwändiger, als es zunächst klingt.Abholen meint nämlich im […]

«Wir müssen nur noch die Stakeholder abholen …» – so klingt das Feedback der Auftraggeber heute meist, wenn Agenturen Strategien, Konzepte oder Ideen präsentieren. Neulinge auf Agenturseite denken sich dann jeweils beim Rauslaufen aus den Sitzungszimmern, das Ding sei geritzt. Leider erweist sich das «Abholen» aber als aufwändiger, als es zunächst klingt.Abholen meint nämlich im Jargon nicht das, was Eltern unter den Lesenden darunter verstehen: Kinder abholen. Von der Kita, der Schule oder sonst wo. Denn Kinder sind (noch) keine Stakeholder, obwohl sich Stakeholder manchmal wie Kinder benehmen. Angesichts der möglichen Auswirkungen von «abholen» wirkt selbst die Definition im Duden verharmlosend: «(besonders Kaufmannssprache) auf jemanden zugehen und [in direkter Ansprache] als Interessenten für ein Produkt, eine Dienstleistung oder Ähnliches zu gewinnen suchen».

Abholen statt entscheiden

«Wir müssen nur noch die Stakeholder abholen» heisst denn in Wahrheit auch: Innerhalb eines Projektteams will jeder abgeholt sein, um nicht beleidigt rumzulaufen oder gar im weiteren Verlauf des Projektes zur Zeitbombe zu werden, die jederzeit explodieren und die Ziele des Projektes gefährden könnte.Aber das ist nur der eine Teil, den gute Projektleiterinnen und Projektleiter meist managen können. Beim anderen Teil, bei dem Leute abgeholt werden müssen, die nicht im Team sind, verhält es sich schon schwieriger. Gemeint sind dann nämlich Auftraggeber oder Projektowner innerhalb eines Unternehmens oder einer Organisation.Da spielen persönliche Befindlichkeiten und Karriereplanung, Silodenken, ungeschriebene Gesetze, informelle Hierarchien und viele andere Dinge mit bei der Entscheidung, ob ein Projekt durchgewinkt wird oder nicht.Kein Wunder also, dass jeder jeden abholen muss vor den Sitzungen und Präsentationen. Die Folge daraus kennen wir alle: In den Agendas stauen sich Termine, an denen bilateral Dinge besprochen werden, die eigentlich alle angehen, aber dort eben nicht – ohne dass jeder vorher persönlich abgeholt wird – besprochen werden können.Im Outlook sieht es dann aus wie auf den Parkplätzen vor Privatschulen, wo sich die Autos der Eltern stauen, die ihre Kinder persönlich abholen, statt ihnen den Heimweg allein zuzutrauen, was von Stakeholdern eigentlich zu erwarten wäre.*Benno Maggi ist Mitgründer und CEO von Partner & Partner. Er hatte im NZZ FOLIO die Rubrik «Vom Fach» ins Leben gerufen und während Jahren betreut. Er präsentiert und entschlüsselt  Worte und Begriffe, die entweder zum Smalltalken, Wichtigtun, Aufregen, Scrabble spielen oder einfach zum Spass verwendet werden können.

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