«Alle zwei bis drei Monate werden wir Durchbrüche sehen» – Rolf Jeger

Im exklusiven Interview mit Werbewoche.ch spricht Rolf Jeger, Buchautor und Mitgründer von VOIMA, über die Fusion von Marketing, Kreation und Informationstechnologie. Jeger erzählt von seinen Anfängen im Digitalgeschäft, wie KI in verschiedenen Bereichen Anwendung findet und warum diese Entwicklung die Werbewelt verändert.

Rolf Jeger, Buchautor, Verleger sowie Berater und Entwickler bei Voima im Gespräch mit Werbewoche-Redaktor Beat Hürlimann

 

Werbewoche.ch: Was war Ihr erstes Digital-Business?

Rolf Jeger, Beratungsleiter Voima GmbH und Buchautor: Mein allererstes Digital-Business startete, als ich 15 Jahre alt war. Damals schrieb ich Datenbank-Software für den Commodore 64 und verkaufte sie über einen Retailer. Dies geschah in den 80er Jahren, um genau zu sein, in den Jahren 1984 und 1985. Ich war damals stolz darauf, inklusive eines Handbuchs und allem Drum und Dran. Das war mein erster Schritt in die digitale Welt.

 

Später haben Sie Ihre eigene Agentur gegründet und sind nun begeistert von der Verschmelzung von Marketing und IT. Wo sehen Sie diese Verschmelzung am deutlichsten?

Diese Verschmelzung zeigt sich in unserer täglichen Arbeit bei Voima. Wir führen im Grunde genommen IT-Projekte für unsere Kunden durch. Marketing und IT sind untrennbar miteinander verbunden. Man kann Projekte nicht mehr isoliert betrachten. Die beiden Bereiche sind miteinander verwoben, und das wird uns jeden Tag bewusster.

 

Ich sehe über Ihre Schulter einige Cannes Lions. Sie haben also einen kreativen Hintergrund?

Absolut, ich bin gewissermassen in die Werbebranche hineingerutscht, trotz des Unbehagens meines Lehrmeisters. Ich fand Werbung schon immer faszinierend, besonders in den 90er und 2000er Jahren. Wir haben einige Kampagnen durchgeführt, die uns den einen oder anderen Löwen eingebracht haben, um ehrlich zu sein, nicht den Hauptpreis, aber wir sind stolz darauf. Daher präsentieren wir sie hier so.

 

Heute erzielen Sie über 50 Prozent Ihres Umsatzes mit Applikationen. Wann erfolgte der Wechsel vom kreativen Fokus zum technologischen Fokus?

Ich denke, dieser Wechsel erfolgte vor etwa zwei Jahren. Wir sind sehr eng mit unseren Kund:innen verbunden, und sie hatten plötzlich Bedarf an Apps und der Automatisierung bestimmter Geschäftsprozesse. Wir entwickelten dann inhouse Apps und Lösungen und stellten fest, dass es gut funktionierte. Es war anfangs keine strategische Entscheidung, aber dieser Bereich begann stark zu wachsen. Gleichzeitig beobachteten wir, wie das traditionelle Geschäft stark rückläufig war, da vieles zentralisiert und adaptiert wurde. Für eine Agentur wie unsere, die sich auf diese Weise ausrichtet, war das eine ausgezeichnete Entwicklung.

 

Können Sie uns ein Beispiel für eine solche Applikation geben?

Ein gutes Beispiel ist das Thema Probefahrt, das für Autohändler von grosser Bedeutung ist. Für einen Auto-Händler haben wir vor kurzem eine einwöchige Aktion durchgeführt, bei der Kunden Probefahrten buchen konnten. Dies ist in der Automobilbranche für traditionelle Händler noch nicht weit verbreitet. Wir haben für den Kunden ein System eingerichtet und die gesamte Kommunikation, einschliesslich Webseiten, Social Media und Werbung, betreut.

 

Wie sind Sie zur künstlichen Intelligenz gekommen? Was hat Sie motiviert, sich damit zu beschäftigen?

Es gab eine Vorahnung, als wir im letzten Jahr mit Bildentwicklungssoftware experimentiert haben. Wir hatten einen Entwickler, der sich mit Machine Learning auskannte und es uns erklärte. Aber das geschah aus Neugier. Anfang Dezember sah ich dann, was mit ChatGPT geschah, und das hat mich wirklich beeindruckt. Diese Technologie entwickelte sich in kürzester Zeit von Null auf Hundert. Natürlich spielte auch meine Faszination für technologische Entwicklungen eine Rolle.

 

Können Sie die Bedeutung dieser Entwicklung für uns einschätzen?

Hier kommt Technologie und Sprache zusammen. Das sind zwei Bereiche, die ich äusserst spannend finde. Mir wurde klar, dass hier eine echte Revolution stattfindet, ähnlich wie damals, als das Internet aufkam, oder das iPhone, um nur einige Beispiele zu nennen. Ich denke, dies ist eine bedeutende Entwicklung.

 

Wie kam es zur Idee, ein Buch darüber zu schreiben?

Ich wusste einfach, dass ich dieser Innovation in irgendeiner Form begegnen musste, also entschied ich mich spontan, ein Buch darüber zu schreiben. Das zwang mich, mich intensiv mit der Technologie auseinanderzusetzen, um herauszufinden, wie sie funktioniert und wie man sie für verschiedene Zwecke nutzen kann.

Rolf Jeger ist Autor zahlreicher Fachpublikationen zum Thema ChatGPT

 

Sie haben dann auch gleich einen Verlag gegründet…

Als Ergebnis haben wir das Buch zwei Monate nach der Veröffentlichung bereits in der Schweiz, Deutschland und Österreich etabliert. Wir hatten sozusagen den ersten ernstzunehmenden Ratgeber in Buchform auf dem DACH-Markt. Das war eine aufregende Sache. Dies war nur dank der Gründung eines eigenen Verlags möglich. Wir erkannten früh, dass es mit einem etablierten Verlag viel zu lange dauern würde.

 

Bestimmt können Sie uns den Einsatz von KI in Ihrem Alltag anhand eines Beispiels erläutern.

Ein faszinierendes Beispiel ist unsere Arbeit mit einem Autohändler, der jede Woche ein «Neuwagen der Woche» und eine «Occasion der Woche» präsentiert. In diesem Fall ist der Autoverkäufer die Person, die diese Auswahl trifft. Allerdings sind Autoverkäufer oft stark ausgelastet, und es bleibt kaum Zeit nach passenden Fahrzeugen zu suchen und dann auch noch die Publikation vorzunehmen. Der Prozess funktioniert so, dass der Autoverkäufer einen Reminder über Microsoft Teams erhält, der ihn daran erinnert, seine Auswahl für die «Occasion der Woche» zu treffen. Er kopiert den Link zu dem Fahrzeug in das Teams-Chatfenster, und ab diesem Punkt übernimmt die KI.

 

Wie genau funktioniert das?

Die KI ruft die Webseite auf, auf der das Auto mit Bildern und einer detaillierten Beschreibung des Zubehörs aufgeführt ist. Dies erfolgt jedoch ohne jegliche Priorisierung, da dort etwa 200 Informationen zu dem Fahrzeug aufgeführt sind. Wir haben die KI darauf trainiert, relevante Informationen zu identifizieren. Zum Beispiel ist die Zentralverriegelung nicht relevant, während ein Panoramadach wichtig ist.

 

 

Und was macht die KI dann?

Die KI generiert automatisch einen Text, der für Social Media geeignet ist, und erstellt zusätzlich aus den sechs vorhandenen Bildern einen animierten Film. Dies bedeutet, dass der Verkäufer lediglich den Link einfügt, und innerhalb von fünf Minuten steht der Social Media-Beitrag fertig zur Veröffentlichung bereit, inklusive eines passenden Videos mit animierten Texteinblendern. Dieser Einsatz der KI ermöglicht Aufgaben, die zuvor zeitlich und finanziell nicht machbar waren. Ein Texter würde Stunden benötigen, um relevante Informationen zusammenzustellen und den Beitrag zu erstellen, während unser Prozess in nur fünf Minuten abgeschlossen ist.

 

Wird der Beitrag noch von jemandem überprüft – Stichwort Kontrolle?

Ja, zur Sicherheit wird der Beitrag von einer Person überprüft und gegebenenfalls redigiert. Allerdings könnte er theoretisch direkt veröffentlicht werden. Dies ist eine bemerkenswerte Anwendung, insbesondere im Bereich Social Media.

 

Können Sie uns ein weiteres Beispiel nennen?

Derzeit arbeiten wir an einer Speziallösung für die Hotellerie, die sich derzeit in der Beta-Phase befindet. Sie trägt den Arbeitstitel „HotelGPT“. Die Idee dahinter ist, dass Hotels ein eigenes Interface haben, in dem sie Informationen eingeben können, beispielsweise für spezielle Veranstaltungen oder Angebote.

 

Welchen Nutzen hat das für das Hotelmanagement?

Die Idee ist, dass Hotelmanager, die oft stark ausgelastet sind und weder Zeit noch Nerven für das Verfassen von Social Media-Beiträgen oder die Eingabe von komplexen Anfragen in ChatGPT haben, diese Lösung nutzen können. Wir haben die Software so entwickelt, dass der Manager nur einen kurzen, einfachen Text eingeben muss, der minimalen Zeitaufwand erfordert. Zum Beispiel könnte er «Whisky-Tasting am Samstag» eingeben. Alle anderen relevanten Informationen sind bereits hinterlegt, wie die Hotelkategorie oder die Lage des Hotels. Mit einem Klick generiert die Software dann innerhalb von fünf Minuten Facebook-Beiträge, Blog-Beiträge, Landing-Page-Texte, Google-Anzeigen und andere Inhalte in einer überdurchschnittlich guten und passenden Sprache, die der Manager direkt in den sozialen Medien veröffentlichen kann.

 

Wann wird dieses Tool für das Hotelfachgewerbe verfügbar sein?

Wir planen, es noch in diesem Jahr mit einem Vertriebspartner für DACH auf den Markt zu bringen. Diese Anwendungen sind wirklich spannend und wir sind dabei, dies für weitere Branchen umzusetzen.

 

Welche Art von Talenten arbeiten bei Voima?

Wir haben ein hochqualifiziertes Team, das aus erfahrenen Copywritern, jungen Entwicklern und branchenfremden Fachleuten besteht, die zuvor in Bereichen wie Projektmanagement oder Betriebswirtschaft tätig waren. Dieser vielfältige Mix ist entscheidend. Bei Teambesprechungen merken wir, wie wertvoll die Inputs der jüngeren Generation, die oft kritisiert wird, sind. Es ist eine Art Schmelztiegel, in dem unterschiedliche Perspektiven zu wirklich guten Ergebnissen führen. Alle haben Freude daran, zu sehen, was sich entwickelt.

 

Und welche Rolle spielen Sie? Sind Sie eher der Captain oder der Coach?

Ich bin der Captain und bestimme die Strategie und die Richtung, in die wir uns bewegen. Wenn es erforderlich ist, bin ich auch in der Frontend-Entwicklung tätig. Ans Backend darf ich nicht, aber wenn der Zeitplan knapp wird, unterstütze ich auch im Frontend.

 

Wie sehen Sie die Zukunft?

Das ist eine äusserst spannende Frage. Es steht ausser Frage, dass sich die Branche in den nächsten ein oder zwei Jahren erheblich verändern wird. Die Dynamik der Entwicklung, insbesondere im Bereich KI, wird unsere Branche nachhaltig beeinflussen. Dies ist keine vorübergehende Modeerscheinung, sondern Realität. Diese Entwicklung wird bestehende Prozesse in Frage stellen. Ich wage keine Prognosen für die nächsten fünf Jahre, aber für das kommende Jahr bin ich sicher, dass wir alle paar Monate bedeutende Durchbrüche sehen werden, die uns den Kopf erstaunt schütteln lassen.

 

Welche Rolle spielt der Mensch in dieser Zukunft?

Meine persönliche Überzeugung ist, dass Menschen weiterhin eine Schlüsselrolle spielen werden, um die KI zu lenken und sicherzustellen, dass sinnvolle Anwendungen entstehen. KI als intelligenter Zufallsgenerator mag grossartige Resultate hervorbringen, aber ihr fehlt der Verstand. Obwohl die Technologie beeindruckend ist und nützliche Ergebnisse liefert, ist sie im Wesentlichen nicht intelligent.

 

Wo finden Sie Inspiration?

Ich suche Inspiration auf vielfältige Weise. Ich sorge dafür, oft den Ort zu wechseln. Wenn ich reise, finde ich oft die produktivste und inspirierendste Umgebung. Das Buch über ChatGPT habe ich grösstenteils in Südfrankreich geschrieben. Ich halte mich auch über Plattformen wie X (ehemals Twitter) über die neuesten Trends auf dem Laufenden, was ebenfalls eine Inspirationsquelle ist. Vieles davon findet tatsächlich mit einem Smartphone in der Hand statt. Yoga gehört auch zu meinen Ritualen. Die morgendliche Viertelstunde Yoga erdet mich und hilft mir, in diesen turbulenten Zeiten einen klaren Kopf zu bewahren.

 

Rolf Jeger, vielen herzlichen Dank für dieses Gespräch. Wir bleiben gespannt.

 

 

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