(Fast) alles blieb stabil

Pressestatistik Im Frühling der Frust, im Herbst das Hoch: Trotz Auflagenverlust weist die Mach Basic bei vielen Printtiteln wachsende Reichweiten aus. Nichts Aussergewöhnliches, sagen die Medienforscher dazu.

Pressestatistik Im Frühling der Frust, im Herbst das Hoch: Trotz Auflagenverlust weist die Mach Basic bei vielen Printtiteln wachsende Reichweiten aus. Nichts Aussergewöhnliches, sagen die Medienforscher dazu.«Die überdurchschnittlichen, teilweise signifikanten Veränderungen von einzelnen Titeln bei Auflage und Leserschaft bedürfen einer Erklärung», fordert Roland Oetterli, Verlagsleiter der Aargauer Zeitung. Und steht damit nicht alleine im Blätterwald. «Wir haben bereits die Wemf gebeten, uns dieses Phänomen darzulegen, das im ersten Moment nicht erklärlich ist», doppelt Jürg Brauchli, Bereichsleiter Zeitungen bei Tamedia, nach. Auch Ringier-Sprecherin Eva Keller wünscht einige Klarstellungen von der AG für Werbemedienforschung.Dass ein grosser Teil der Printtitel sinkende Auflagen und gleichzeitig steigende Leserzahlen aufweist, gibt in der Verlagsbranche tatsächlich Anlass zu teils hitzigen Diskussionen. Selbst Zweifel an der Methodik der Wemf werden da und dort laut. Vereinzelt wird zudem gefragt, ob das «Phänomen» vielleicht mittels der Werte aus der MA Leader geklärt werden kann, wenigstens für die darin erhobenen Titel.
Hände weg, sagen Profis, denn das Bild erscheint nur noch verwirrender. Die einzige Konstante hier: Ein Titel, der stark an Auflage verliert, büsst meist auch deutlich Top-Leader ein – oder umgekehrt. Gewinne und Einbussen bei den Leadern dagegen lassen keinen Zusammenhang mit den Auflagenschwankungen erkennen.
Eigene Zeitung als Luxus…
Hilfreicher mag die Erklärung von NZZ-Verlagsleiter Tobias Trevisan sein. Er erinnert daran, dass Zeitungen während vielen Jahren an Auflage zugelegt hatten, ohne dass die Reichweite im gleichen Masse gestiegen sei. Dies sei primär auf die Individualisierung der Haushalte zurückzuführen gewesen. Daraus leitet Trevisan ab, «dass man sich in guten Jahren den ‹Luxus› leistet, seine eigene Zeitung zu abonnieren, während man in Jahren, in denen man sparen muss, die Zeitung teilt oder an einem anderen Ort liest.» Dieser These gewinnen nicht nur andere Verlagsprofis etwas ab, auch Fachleute wie Josef Trappel von Prognos oder Professorin Gabriele Siegert (siehe Seite 38) teilen diese Meinung.
Daniel Sommer, Verlagsleiter der Basler Zeitung, dagegen hält klipp und klar fest: «Auflage- und Leserschaftserhebungen ergeben zwei voneinander nicht unmittelbar direkt abhängige Werte.»
Ähnlich sieht es Wemf-Forschungsleiter Harald Amschler. Es komme vor, dass Auflagen und Reichweiten gegensätzliche Verläufe aufweisen, zumindest kurzfristig: «Im langfristigen Vergleich allerdings zeigen beide Faktoren in der Regel dann doch in die gleiche Richtung.» Er weist im Übrigen darauf hin, dass Auflagenschwankungen von plus/ minus drei Prozent durchaus als stabil zu bezeichnen seien. Vergangenen Frühling habe sich denn auch der Grossteil der Printauflagen in dieser Bandbreite bewegt. Im Durchschnitt seien Deutschschweizer Zeitungen mit 40000 oder mehr Exemplaren bloss um 2,6 Prozent von ihrem letztjährigen Auflagewert abgewichen. Bei kleineren Blättern habe die Abweichung sogar nur 1,3 Prozent, bei den Anzeigern ein Prozent und bei den Zeitschriften 3,1 Prozent betragen.
Kaum signifikante Bewegung
Auch bei den Leserschaftszahlen fällt dem Wemf-Forscher nichts Aussergewöhnliches auf. «Von den 271 Titeln und Kombis, die wir in der Deutschschweiz erheben, weisen nur 28 oder 10 Prozent signifikante Veränderungen zur letztjährigen Mach Basic aus, alle übrigen liegen im Vertrauensbereich und sind somit ebenfalls als stabil zu bezeichnen.» In der Westschweiz und im Tessin habe es sogar nur je einen Titel mit signifikanten Veränderungen gegeben. Hier erhält Amschler im Übrigen Schützenhilfe von Uli Rubner, Verlagsleiterin von Weltwoche und Bilanz: Durch eigene Überprüfungen kam sie zum selben Schluss.
Alles nur ein Sturm im Wasserglas? So weit will Amschler nicht gehen, doch er spricht von einem «Zürcher Phänomen»: Wegen der neuen Auflagepolitik der Tamedia habe sich bei deren Titeln die Schere zwischen Auflage und Reichweite auf den ersten Blick besonders markant geöffnet. Und weil einige andere Titel – allerdings in kleinerem Ausmass – ähnliche Tendenzen aufwiesen, habe man das Phänomen bestätigt gefunden, jedoch die Relationen aus den Augen verloren. In Tat und Wahrheit sei aber «selbst eine SonntagsZeitung noch als stabil zu bezeichnen», sagt Amschler.
Doch er räumt ein, dass die Zahlen dieses Jahr oberflächlich betrachtet insofern «speziell» erscheinen, als sich viele Auflagen gemeinsam nach unten und viele Reichweiten in corpore nach oben bewegt haben. Das aber sei reiner Zufall, sagte Amschler.
Auflage und Reichweiten müssen sich nicht zwingend parallel entwickeln, sagt die Wemf.
Markus Knöpfli

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