Der Neugierige

Werner Schaeppi ist Werbepsychologe, Kommunikationsberater, Partner einer Werbeund PR-Agentur sowie Mitinhaber eines Marktforschungsunternehmens. Und er ist vor allem eines: neugierig.

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Werner Schaeppi ist Experte im Bereich Werbepsychologie, Marketingkommunikation und Öffentlichkeitsarbeit und seit über 25 Jahren als Kommunikationsberater tätig. Er ist Gründungsmitglied von Creafactory, einer Agentur, die Dienstleistungen klassischer Werbe- und PR-Agenturen mit visueller Gestaltung und Design vereint. Zudem ist Schaeppi Gründer und Mitinhaber der Schwesterfirma MRC Research & Consulting. Schaeppi studierte Sozialpsychologie und Linguistik an der Universität Zürich (Dr. lic. phil.). Nach dem Studium war er Geschäftsführer des Marktforschungsinstituts Ipso-Explora. Danach gründete er die Agentur Werner Schaeppi Public Relations, aus der 2001 nach einem Zusammenschluss mit Mark Gilg Projekte die heutige Creafactory entstand. Zum Kundenstamm von MRC und Creafactory gehören Die Post, Zug Stadt, Kanton Zürich, SBB, Credit Suisse, Raiffeisen, Visana, Helsana, Zurich, Siemens, Implenia, Halter, Schindler, Hochparterre, Mars, Danone, Swisscom, Sunrise, Havas Worldwide.

«Als ich in China war, machte ich eine interessante Beobachtung: Ich ertappte mich, wie ich fortwährend und unwillkürlich versuchte, die Schriftzeichen in den Strassen zu lesen. Auch wenn ich natürlich keine Chance hatte, auch nur das Geringste zu verstehen. Doch nach ein paar Tagen schlich sich wie von selbst eine Ahnung ein, was gewisse Zeichen bedeuten könnten. Zum Beispiel, weil ein und dasselbe Zeichen immer wieder an bestimmten Stellen auftauchte, an einer Kreuzung, an einem Einkaufscenter. Ich realisierte, das könnte so etwas wie Mitte oder Zentrum heissen. Ich begann zu verstehen, ohne dass jemand etwas gesagt hätte. Faszinierend, oder?»

Werner Schaeppis Welt ist die Psychologie. Er beschäftigt sich leidenschaftlich damit, wie wir wahrnehmen, Informationen verarbeiten und kommunizieren. Nicht nur privat auf Reisen, sondern auch beruflich. Als Werbepsychologe erforscht er, wie die Zielgruppe auf eine Kampagne reagiert, wie eine Marke wahrgenommen wird. Er durchleuchtet die Positionierung von Unternehmen, berät Kunden, wie sich die Wirkung ihrer Kommunikation erhöhen lässt oder verschafft Auftraggebern Einsicht in die Motive der Kunden. Schaeppi bewegt sich in Forschung und Realisation zugleich. Einerseits engagiert er sich beim Marktforschungsunternehmen MRC Research & Consulting, das er 1991 gegründet hat. Andererseits ist er Partner der Werbe- und PR-Agentur Creafactory, bei der er gemeinsam mit der Grafikerin Sonja Gilg und dem Architekten Mark Gilg und einem Team von zwölf Personen für Politik, Behörden und KMU kommuniziert.

MRC und Creafactory laufen als eigenständige Label. Dennoch sind die Firmen eng miteinander verwoben – und unter einem Dach vereint. Im mehrstöckigen Bachsteinbau nahe des Zuger Bahnhofs fliesst das Know-how aus Forschung und Praxis zusammen. Dafür tauschen die beiden Unternehmen ab und zu die Mitarbeiter. Wenn Creafactory für ein Bauprojekt Gruppengespräche mit involvierten Parteien führt, leiht sie die Marktforscher von MRC aus. «Das können sie aus dem Effeff.» Hat MRC einen Forschungsauftrag aus dem Immobilienbereich, ziehen die Forscher Mark Gilg bei. Schaeppis Interesse für Werbung und Kommunikation wurde schon in der Kindheit geweckt. Seine Mutter arbeitete als Grafikerin für Lindt & Sprüngli und hatte zu Hause ein Atelier, sein Vater war Marketing Direktor. «Das Handwerk wurde mir quasi in die Wiege gelegt.» Während seines Studiums in Sozialpsychologie und Linguistik hatte Schaeppi bereits kleine Werbeaufträge angenommen.

Forscher und Realisator
Nach der Dissertation verschlug es ihn trotzdem nicht in eine Agentur, sondern in die Forschung. Er übernahm die Geschäftsführung des Marktforschungsinstituts Ipso-Explora. Einige Jahre lang war er hauptsächlich mit Kommunikationsstudien beschäftigt. Eine spannende Erfahrung, so Schaeppi. Mit der Zeit vermisste er jedoch den anderen Teil der Kommunikation, den kreativen. Er will nicht nur Neues entdecken, sondern auch Neues realisieren. Dass er heute beides kombinieren kann, empfindet Schaeppi als Idealfall. «Für mich war Kommunikation schon immer etwas Bidirektionales. Sie muss auf beide Seiten fliessen.» Das bedeutet, nicht nur auszusenden, sondern auch zu erfassen, was auf der anderen Seite ankommt. So kann es bei Creafactory schon mal vorkommen, dass der Grafiker dem Zielpublikum seine Arbeit vorlegt und Fragen stellt. Eine gute Erfahrung für jeden Profi, meint Schaeppi. Zu erfahren, was funktioniert, was nicht, was wahrgenommen wird. Das ungeschulte Laienauge ist schliesslich vom neusten Designtrend nicht immer gleichermassen angetan wie der Profi. Mit der Kombination aus Psychologie, Architektur, Design und PR besitzt Creafactory eine spezielle Positionierung. «Wir sind ein ziemlicher Exot unter den Agenturen», so Schaeppi. Häufig wird Creafactory mit der Umsetzung neuer Unternehmensauftritte beauftragt. So etwa von der Krankenkasse Klug (ehemals Betriebskrankenkasse der Landis & Gyr). In Gesprächen mit Kunden und in Workshops mit Mitarbeitern wurde der USP des Unter nehmens definiert: Individualität. «Es behauptet zwar jede Krankenkasse, dass sie individuell ist. Bei Klug stimmt es allerdings – aus logischen Gründen: Die Krankenkasse ist klein und lokal, jeder Kunde hat seinen persönlichen Berater», begründet Schaeppi.

Dieser Aspekt wurde nicht nur optisch im Corporate Design umgesetzt, sondern auch in der Kundenberatung erlebbar gemacht. «Ein Kunde muss bereits im Email oder beim ersten Telefon merken, dass es sich nicht um eine Standardabfertigung handelt, sondern um eine individuelle Beratung.» Neben der Kommunikation für Behörden sind Mandate aus der Bau- und Immobilienbranche ein wichtiges Standbein von Creafactory. In diesem Bereich haben Schaeppi und Gilg schon etliche Projekte betreut. Bei einem grossen Bauprojekt einer Wohngenossenschaft verantwortete Creafactory etwa die Konzeption und Umsetzung der Kommunikationsmassnahmen und stand der Genossenschaft beratend zur Seite. Eine in die Jahre gekommene Siedlung in der Region Baden/Wettingen musste abgerissen und neu erstellt werden. 127 Wohnungen. Da war Fingerspitzengefühl gefragt. «Wir hatten grossen Respekt vor den Reaktionen der Bewohner», erklärt Christoph Bernet, Geschäftsleiter der Bau- und Siedlungsgenossenschaft Lägern Wohnen. «Wir waren froh, einen erfahrenen Berater an unserer Seite zu haben, der Lösungen für verschiedene Szenarien bereit hatte. Werner Schaeppis Vorschläge waren praxisnah und konnten gut realisiert werden.» Im Zentrum stand der Dialog mit den Bewohnern.

Creafactorys Idee war es, diese nicht schriftlich zu informieren, sondern ihnen an einem Anlass in kleinen Gruppen die Gründe für den Abriss der Siedlung darzulegen. Alle Fakten wurden auf den Tisch gelegt, gleichzeitig aber auch erklärt, wie es weitergeht. Bei den Gesprächen erhielten die Bewohner Gelegenheit, ihre Sorgen kundzutun, und konnten darüber hinaus ihre Ideen und Wünsche für die neue Siedlung einbringen. Die Inputs der Bewohner wurden aufgenommen und flossen ins Briefing für den Architektenwettbewerb ein. «Das ist ein ganz anderer Mechanismus, als wenn man einen Brief erhält im Stil von », so Schaeppi.

Sensibilität war auch beim Unternehmen Schindler gefragt, für das Creafactory eine politische Kommunikationskampagne konzipierte und realisierte. Dabei ging es um ein grosses Liegenschaftsprojekt in der Gemeinde Ebikon, das die Zustimmung der Bevölkerung an der Urne benötigte. Creafactory warb mit einer offenen Informationspolitik um Akzeptanz. Die Massnahmen reichten vom Kaminfeuergespräch über eine Plakatkampagne bis hin zur Gründung eines unabhängigen Pro-Komitees mit Befürwortern, die mit ihrem Gesicht und Namen für das Projekt eintraten. Das Mandat erforderte nicht nur analytische Fähigkeiten und Know-how im Immobilienbereich, sondern vor allem die Fähigkeit, mit den Meinungen und Bedenken der Einwohner umzugehen. So war es denn auch Werner Schaeppis psychologischer Hintergrund, der Schindler dazu brachte, den Auftrag an Creafactory zu erteilen, wie Stephan Jud, Direktor der Schindler Management, erklärt.

Auf den Praxisnutzen der Forschung legt Schaeppi grossen Wert. «Im Mittelpunkt steht immer die Frage, wozu die Resultate dienen.» Bei MRC wird vor allem beratungsorientiert gearbeitet. Zum Beispiel klärte MRC für eines der grössten Schweizer Unternehmen, ob es seinen traditionsreichen Namen nicht einfach gegen eine englische Bezeichnung tauschen könne. Oder sie prüfen für einen Finanzdienstleister, ob ein neues Vertriebskonzept bei den Konsumenten eine Chance hat. Methodisch wird häufig auf Gruppenbefragungen oder Workshops zurückgegriffen. «Wir machen zwar auch klassische Marktforschung, 2000 Telefon- Interviews über ein Waschmittel. Manchmal sind zehn intensive Gespräche aber ergiebiger», so Schaeppi. Der Stellenwert quantitativer Befragungen sei heute auch deshalb nicht mehr so hoch, da viele Unternehmen Daten bereits selber erheben. «Die meisten unserer Kunden suchen eher nach Erklärungen für das, was sie beobachten.»

Die Umwelt verstehen
Schaeppi geht Dingen gerne auf den Grund. Vielleicht stellvertretend dafür dürfen seine Analysen rund um den «Sinn des Lebens» verstanden werden, die er im Buch «Braucht das Leben einen Sinn?» veröffentlichte. Obwohl die Publikation «in einer Zeit entstand, in der man typischerweise eine Midlife Crisis hat», war der Auslöser nicht eine persönlichen Sinnkrise, sondern eine Arbeit. Schaeppi sollte für eine Anti-Drogen-Kampagne den konkreten Appell erarbeiten. Die Idee der Auftraggeber: Man möge den Leuten sagen, sie sollen mehr Sport treiben. Der Psychologe zweifelte: «Menschen, die harte Drogen nehmen, haben ein anderes Lebenskonzept. Auf diese Weise kann man sie nicht abholen. Man muss aus ihrer Sichtweise argumentieren. Und dazu muss man zuerst herausfinden, welche Funktion der Drogenkonsum in ihrem Leben erfüllt. Und um diese Frage zu beantworten, muss man generell wissen, wofür die Leute leben. Was erwarten sie vom Leben? Welche Ziele haben sie?» So entstand die Idee, sich mit Sinntheorien auseinanderzusetzen. Hat der Forscher für sich selbst eine Antwort gefunden? «Meine Motivation ist zu einem grossen Teil die Neugier.» Schaeppi will seine Umwelt verstehen. Schon seit längerem befasst er sich mit Themen rund um Entwicklungen der Gesellschaft. Wie verändert das Internet den Bereich der Beziehungen, die Art des Zusammenlebens? Wie hat sich unser Wohnverhalten gewandelt?

Geforscht wird nicht nur der Erkenntnis willen, sondern auch, um sich neue Aufträge zu erschliessen. Gesellschaftliche Veränderungen brauchen schliesslich immer neue Produkte, neue Dienstleistungen. So reagiert Schaeppi nicht nur auf Anfragen von Kunden, sondern geht aktiv mit Vorschlägen auf Unternehmen zu. Reizvoll fände es der Psychologe zum Beispiel, eine Partei zu beraten. «Die diffuse Parteienwelt hat stark damit zu tun, dass die Parteien in ihrem Selbstfindungsprozess verunsichert sind.» Strikte Denkrichtungen, die den Kurs vorgeben, gibt es nicht mehr. Haben früher Parteien den Dialog zwischen Bürger und Staat übernommen, wollen diese heute direkt mitreden – aber halt nicht immer, nur bei bestimmten Themen. In diesem neuen Weltbild haben die Parteien ihren Platz noch nicht gefunden, ist sich Schaeppi sicher. «Die Parteien im Prozess der Selbstfindung zu begleiten und danach gegenüber der Zielgruppe zu kommunizieren, wäre eine höchst spannende Aufgabe.»

«Wir können unser Tätigkeit ausrichten, wie wir wollen. Das ist toll!» Arbeit sollte stets von Interesse getrieben sein, diese Philosophie hat Schaeppi bei Creafactory und MRC stark geprägt. «Ohne persönliche Neigung hätte ich Mühe, für Kunden zu arbeiten – auch wenn es lukrativ wäre», sagt er. «Unsere Arbeit hat sehr viel mit Lust zu tun. Das macht uns stark.»

Isabel Imper

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