Nachwuchspreise treiben Exzellentes vorwärts

Michael Conrad, Gründer der Berlin School of Creative Leadership, hat beim Wettbewerb «Das kann nur ein Inserat» mit juriert. Die Werbewoche hat sich mit Conrad über Nachwuchswettbewerbe, Awards und Werbung unterhalten.

Für den Wettbewerb «Das kann nur ein Inserat» haben auch dieses Jahr junge Kreative wieder Inserate gestaltet, die für ihresgleichen werben. Eingereicht wurden 90 Ideen, 6 davon ausgezeichnet. Die Gewinnersujets werden im Rahmen der Gattungsmarketing- Kampagne des Verbands Schweizer Medien in über 100 Zeitungen und Zeitschriften publiziert – unter dem Namen ihrer Kreateure. Bewertet wurden die Arbeiten von einer Jury bestehend aus Kreativen und Auftraggebern, präsidiert durch Andreas Prokesch, Altpräsident Art Directors Club (ADC). Als Jurymitglied konnte ausserdem Michael Conrad gewonnen werden. Conrad ist Gründer und Präsident der Berlin School of Creative Leadership, ADC-Ehrenmitglied, langjähriger Kreativchef von Leo Burnett Worldwide und war Jurypräsident Cannes Lions. Im Interview mit der Werbewoche spricht er über Printwerbung, die Bedeutung von Kreativawards zur Nachwuchsförderung, über Awards und Werbung generell.

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WW: Michael Conrad, was hat Sie dazu bewogen, sich bei «Das kann nur ein Inserat» (DKNEI) zu engagieren?
Michael Conrad: Ich finde Tageszeitungswerbung interessant. Als ich für DKNEI angefragt wurde, habe ich zugesagt.
 
Was ist das Spannende an Zeitungswerbung?
Die meisten Anzeigen werden überblättert. Nur einige produzieren etwas, das für Werbeschaffende sehr wichtig ist: Zeit. Im Gegensatz zum Fernsehen, in dem man Zeit kauft, können Inserate Zeit produzieren.
 
Wie gelingt dies Printanzeigen?
Genau wie einem Artikel in der Zeitung. Indem Anzeigen etwas bieten, das für die Leser relevant ist, das sie fesselt. Sie müssen den Leser dazu bringen, sich mit ihnen zu beschäftigen.
 
Sie haben diesbezüglich einst eine Text-Anzeige von Apple gelobt, die iPhone-Apps erklärt (siehe Randspalte). Weshalb?
Es ist ein Auftritt, wie man ihn schon oft gesehen hat. Ein Produkt ist abgebildet, einzelne Teile werden erklärt, die Head-Line ist zwar auf dem Punkt, aber nichts Besonderes. Eine solche Anzeige würde bei einem Wettbewerb niemals gekürt. Doch sie funktioniert. Ich habe, nachdem ich die Anzeige gelesen habe, zwei Apps runtergeladen. Auf einem Flug konnte ich beobachten, wie jemand anderes diese Anzeige in der Zeitung gelesen und etwa 90 Sekunden darauf verwendet hat.
 
Ist es ein Problem, wenn eine Anzeige, die im Markt funktioniert, bei einem Award keine Chance auf eine Auszeichnung hat?
Das ist ein riesiges Problem. In der Werbeindustrie besteht die Tendenz, Awards gewinnen zu wollen. Das ist per se nichts Verwerfliches. Problematisch wird es aber, wenn Werber dem Kunden eine Anzeige unterschlagen, weil sie damit keinen Award ge- winnen können. Agenturen sollten in erster Linie tun, was für ihre Kunden richtig ist. Und manchmal gewinnen sie dabei einen Award.
 
Wäre es eine Lösung, die Awards anzupassen?
Eine gute Awardshow könnte Jurymitgliedern erlauben, gute Arbeiten, die nicht eingereicht wurden, selber einzubringen. Das werden die Veranstalter jedoch nicht forcieren, da die Awards Geldmaschinen sind. Jede Arbeit, die eingeschickt wird, kostet. Dieses Geld wird man sich nicht nehmen lassen wollen. Abgesehen davon wäre es wahrscheinlich schwer praktikabel, wenn Jurymitglieder selbst Anzeigen vorschlagen. Dann beginnt eine Lobby-Tätigkeit.
 
Müssten Awards Kriterien anpassen, damit eine Anzeige wie jene von Apple von den Agenturen eingereicht würden?
Das ist heikel. Die Awards wollen möglichst wenige Kriterien haben. Die Jurymitglieder sollen ihre Meinung einbringen, was gute Werbung ist. Es hängt also von der Jury ab. Wenn eine Jury den kommerziellen Wert einer Werbung berücksichtigt, würde auch die Apple-Anzeige scoren.
 
Es gibt Awards wie den Effie, die Markterfolg spezifisch gewichten. Wie stehen Sie dazu?
Den Effie finde ich gut. Mir scheint wichtig, dass Arbeiten honoriert werden, die im Markt Spektakuläres, Aussergewöhnliches produziert haben. Es besteht aber eine Deckung zwischen verschiedenen Wettbewerben: Werbung, die bei den grossen Awards ausgezeichnet wird, gewinnt zu einem grossen Teil auch einen Effie.
 
Sie engagieren sich bei diversen Nachwuchswettbewerben. Wie wichtig sind Kreativpreise zur Nachwuchsförderung generell?
Nachwuchspreise sind unglaublich wichtig. Sie treiben Exzellentes vorwärts. Durch die Awards erhalten junge Personen die Beachtung der Leute, die schon Tolles geleistet haben. Es motiviert, gute Arbeit zu leisten. Das ist «Encouragement». In der Werbung ist es gleich wie in der Filmindustrie: Ein Regisseur oder ein Filmschaffender, der nicht die Ambitionen hat, einen Academy Award zu gewinnen, sollte gar nicht in der Branche arbeiten.
 
Sie bezeichnen die Berlin School of Creative Leadership nicht als eine Werbeschule. Was ist sie dann?
Die Schule wurde gegründet, um grossartigen Kreativen, die in Führungsaufgaben hineingesetzt werden oder sich selbst hineinsetzen, in ihren neuen Aufgaben zu unterstützen.
 
Sie meinen, wenn ein AD zum CD oder ein CD zum Geschäftsführer wird …
Genau. Eine Firma zu führen, ist etwas anderes, als Werbung zu kreieren. Insbesondere, weil es sich bei Werbeagenturen nicht um irgendwelche Service- Unternehmen, sondern um kreative Firmen handelt.
 
Was bedeutet dies?
Grossartige Kreative arbeiten neben der Norm. Deshalb müssen auch die Agenturen einen Platz jenseits der Norm finden. TBWA zum Beispiel hat «Disruption » (Anm. d. Red.: Zerrüttung, Umwälzung; stammt von Jean-Marie Dru) als Kriterium gewählt und sich Expertise rund um den Gedanken aufbaut. Sich neben der Norm zu platzieren, macht konkurrenzfähig. Die Aufgabe der Führungspersonen besteht nun darin, ihre Agentur, ihre Kunden und Partner zu einem solchen Platz zu führen. Agenturen sollen nicht das produzieren, was Kunden kaufen würden, sondern das, was Kunden brauchen. Die Berlin School vermittelt den Kreativen die Techniken dafür.
 
Sie plädieren für «verrückte» Werbung. Wie vielen Agenturen gelingt dies?
Das Wort «verrückt» darf nicht falsch interpretiert werden. Es heisst nicht irre, sondern weggerückt von der Norm. Solche Werbung gelingt den meisten Agenturen nicht. Und ganz wenigen sehr gut. Die Werbung von Old Spice zum Beispiel ist absolut brillant. Ebenso jene von Hornbach.
 
Wer ist verantwortlich, wenn Werbung zu wenig «verrückt» ist: Liegt es an den Agenturen, denen der Mut fehlt – oder an den Kunden, die sich nicht trauen, unkonventionelle Werbung zu machen?
Ich würde sagen, es liegt in erster Linie an den Agenturen. Sie müssen im Voraus mit ihren Kunden vereinbaren, an einen Platz zu gehen, der frisch ist, der unkonventionell ist. Verantwortlich sind aber auch die Kunden, weil sie den Agenturen immer weniger bezahlen. Für Agenturen ist es das Schlimmste, wenn sie etwas verkaufen müssen. Werber und Kunden müssen gemeinsam Neues erarbeiten. Die Agenturen müssen Wege finden, mit ihren Kunden aus dem Klischee auszubrechen und etwas Eigenes zu kreieren.
 
Letzte Frage: Was geben Sie jungen Kreativen mit auf den Weg?
Ich gebe Ihnen mit, bedingungslos zu studieren, wie man Klischees vermeiden kann, und sich Ziele festzulegen. Das treibt vorwärts. Während meiner Zeit bei Leo Burnett habe ich eine Qualitätskriterienliste entwickelt, die von vielen Agenturen und auch von ein paar Universitäten übernommen wurde (siehe Randspalte.) Die 10 Kriterien lassen sich in drei Bereiche unterteilen. Die oberen Stufen will man erreichen. Kriterien 4 bis 1 sollten vermieden werden: Klischees, Arbeiten, die nicht konkurrenzfähig sind, destruktive oder erschreckende Werbung. Um solche Werbung zu vermeiden, muss man sich eine innovative Strategie erarbeiten und exzellent im Detail arbeiten. Ich rate jungen Leuten, für sich selbst Kriterien zu definieren und sich alle drei Monate gemäss ihren Kriterien zu beurteilen – und beurteilen zu lassen. Dann kommen sie weiter.

Interview: Isabel Imper

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