Wenn der kaputte Fernseher vorschreibt, wo man hinschaut

Werbewoche-Redaktorin Anne-Friederike Heinrich über die (häufigen) Tücken und (seltenen) Freuden des Fernsehschauens.  

Wir gehen auf eine grosse Reise. Also habe ich gestern Abend Hemden geglättet, Kleider und ein paar Shirts. Vor dem TV.

– Was lief? – Na, der Fernseher. –
– Was für ein Film!?!! – Ach so. Keine Ahnung.

Damit liege ich voll im Trend. Denn mehr als die Hälfte der Fernsehzuschauer konzentrieren sich nicht allein auf eine Sendung, sondern betätigen sich vor dem TV anderweitig: 13 Prozent essen vor dem Fernseher, 10 Prozent erledigen vor der Flimmerkiste ihre Hausarbeit, 7 Prozent lesen oder unterhalten sich, 6 Prozent arbeiten am Computer und 1 Prozent kümmert sich während der Fernseher läuft um seine Kinder (sic!). Das ist das Ergebnis einer Befragung, die TNS-Emnid im Auftrag des ARD-Forschungsdienstes «Media-Perspektiven» durchgeführt hat.

Die grosse Anzahl der Personen, die vor dem TV noch etwas anderes machen, als einfach eine Sendung zu schauen, ist nach Ansicht der Forscher auch eine der möglichen Erklärungen für die gestiegene Fernsehnutzungsdauer. Vor allem aber ist sie ein Beleg für die bescheidene Qualität des Fernsehprogramms: Hirntote so genannte Unterhaltung, die durch Werbeblöcke so zerhackt ist, dass man sowieso nicht mehr durchsteigt. Also macht man nebenbei etwas Vernünftiges: putzen, waschen, kochen, Kinder erziehen.

Demenz ist Gefühlssache
Mein Mann und ich sind Mitte 30 und damit zwar nicht mehr blutjung, aber auch noch nicht dement. Wir schauen nur noch SF, ORF oder BR (gut, wir hören zuweilen auch DRS 1, aber das ist eine andere Geschichte). ARD und ZDF sind bei uns strengstens verboten, denn ich stamme aus «unserem nördlichen Nachbarland» und versuche nach Möglichkeit, meine Vergangenheit zu verdrängen. Da helfen auch die clever-diplomatischen Schweizer Argumente meines Mannes nicht: «Aber die Nachrichten sind bei ARD und ZDF doch viel besser.» Tja. Egal.

Bleiben noch RTL 1 und 2, Pro 7, Sat1, Kabel 1, 3 +, Vox, Rai Uno und Rai Due. Aber, a punto: Das geht gar nicht. Meine Anschlussschwierigkeiten zwischen den Werbepausen erinnern mich zu übermächtig an die Alzheimer-Erkrankung meines Grosis. Wie oft haben wir über ihre Frage «Ist das jetzt noch der Film?» gelacht, als eine Werbepause pro Sendung aufkam. Heute schäme ich mich dafür. Vor allem, wenn ich mich nach einem Kurzaufenthalt im Weinkeller oder im Bad frage, was diese neuen Akteure nun mit den bereits eingeführten Figuren und dem Handlungsstrang zu tun haben – nur um fünf Minuten später festzustellen, dass das gerade Werbung war. Zur Erinnerung: Ich bin 35. Fängt das so früh schon an?

Frau allein zu Haus
Wenn es geht, machen mein Mann und ich um Frust einen grossen Bogen. Also bleibt die Flimmerkiste meistens aus. Ausser mein Herzblatt ist mal nicht daheim, und ich glätte seine Hemden. Dann gönne ich mir, quasi zum Ausgleich, einen kleinen Regelverstoss: Ich zappe. Vom Programm gestern Abend erinnere ich mich noch an einen Spielfilm über einen Kometeneinschlag (weisses Hemd), Werbung für Waschpulver (blaues Hemd), Börsennachrichten (rotes Shirt), ein übles Horrorfilmgemetzel (schwarzes Kleid) und Autowerbung (gelbes Shirt) … – Himmel, im Koffer fehlen noch Sonnencreme Schutzfaktor 50, Handwaschmittel, US-Dollars und Pflaster. Und den Führerausweis muss ich auch noch einstecken! Vielleicht ist das Fernsehprogramm doch gar nicht so schlecht.

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