Tiger im Scheinwerferlicht

Publishing I Mit der Version 10.4 von Mac OS X liefert Apple ein richtungsweisendes, wichtiges Update ab.

Publishing I Mit der Version 10.4 von Mac OS X liefert Apple ein richtungsweisendes, wichtiges Update ab.Von Apple-Konkurrent Microsoft ist zu hören, dass deren Nachfolge-Betriebssystem von Windows XP erst spät im kommenden Jahr fertig sein soll. Longhorn, so der Codename des Updates, wird dann bestimmt zu einer besonders ernst zu nehmenden Herausforderung für Apple. Das in Mac OS X integrierte, auf Unix basierende Sicherheitssystem gilt bis dato als wichtiges USP für das bereits fünfmal erneuerte Betriebssystem. Doch auch Longhorn soll mit einem umfassenden Systemschutz vor Viren und anderen Schädlingen ausgestattet werden. Da ist es vor der Markteinführung von Longhorn für Apple besonders wichtig, noch einmal den Abstand bei der Technologieführerschaft auszubauen, um dann vor oder nach Erscheinen von Longhorn nachlegen zu können. Oren Ziv, Director Product Marketing (verantwortlich für Europa, den Mittleren Osten und Afrika), sprach in Zürich bei der Vorstellung von Mac OS X zu einer in der Schweiz nie da gewesenen grossen Schar von Journalisten. Das Interesse am mit Tiger bezeichneten Betriebssystem-Update ist gross.
Mit Mac OS X v10.4, so der offizielle Name, bringt Apple ein bedeutendes Update auf den Markt. Ziv spricht von über 200 «bahnbrechenden» Neuerungen. Das ist natürlich relativ; bei den Funktionen Spotlight, Automator und vielleicht auch Dashboard trifft dies aber mit Sicherheit zu.
Wer sucht, dem wird gefundenDer Suchscheinwerfer Spotlight ermöglicht eine neue Art des Suchens. Statt wie bisher nur nach Bezeichnungen von Dokumenten, Bildern, Musikstücken oder Videos bzw. in Kontakten oder Terminen zu suchen, ist Spotlight in der Lage, selbst im Inneren von Dokumenten nachzuschauen – ohne das entsprechende Dokument zu öffnen. Wer sich vage an ein PDF-Dokument erinnert, welches das Berner Oberland zeigt, hat vielleicht Glück mit der Suche nach «Schilthorn». Wenn der Name des 2970 Meter hohen Bergs innerhalb eines Dokuments oder als Teil des Dokumentnamens verwendet wurde, dann findet Spotlight diesen – wo immer der Begriff auch vorkommt. Auf Wunsch werden die Treffer in einer Übersicht nach Dokumenttypen geordnet und mit Vorschaubild dargestellt. Ein Klick auf den zum Beispiel zugänglichen und als PDF vorliegenden Ferienprospekt markiert das gesuchte Wort sogar im Dokument. Gleiches gilt für die Suche nach Daten im Finder (auf Betriebssystemebene), in der Applikation Mail (Outlook Express/ Entourage funktioniert auf Anfrage noch nicht) oder in anderen Applikationen.
Damit ist Spotlight fast schon ein kleines Assetmanagementsystem – wer nach ordentlich mit Schlagworten (Metadaten) versehenen Bildern sucht, wird auf Spotlight nicht mehr verzichten wollen. Auch lassen sich so genannte intelligente Ordner erstellen und damit verschiedenste Dateien (Mails, Bilder, Adressen, Word-Dokumente etc.) projektorientiert und dynamisch/automatisch verwalten. Auf diese Art können zum Beispiel auch Backups von Daten erstellt werden.
Konfigurierbares DashboardEine «aufgesetzte» Angelegenheit sind die Mini-Applikationen innerhalb des weiteren Tiger-Highlights Dashboard (zu deutsch: Armaturenbrett), so genannte Widgets. Als neue Ebene landen die kleinen Helfer per Tastendruck oder «Hot Corner» (wenn man mit der Maus in eine definierte Ecke rutscht) zwischen Mattscheibe und eigentlicher Betriebssystem-Oberfläche. Dort verrichten zuerst einmal einige von Apple mitgelieferte Widgets ihren Dienst und helfen beim Umrechnen von Währungen, zeigen Temperaturen in Los Angeles an oder aktuelle Börsenkurse (für die beiden Letzteren ist eine Internetverbindung erforderlich) oder dienen als Spiele schlicht der Unterhaltung.
Praktische Spielereien? Ja, auf den ersten Blick bestimmt. Aber nicht nur. Interessant an den Widgets ist nämlich, dass diese (relativ) einfach selbst erstellt werden können. Die Mini-Applikationen sind, wenn man es genau nimmt, Miniatur-Websites. Sie können mit gewöhnlichen HTML-Kommandos erstellt, mit Cascading Style Sheets (CSS) formatiert und mit JavaScript programmiert werden. Es ist bestimmt nur eine Frage der Zeit, bis eine ansehnliche Anzahl branchenspezifischer Widgets zur Verfügung steht und der clevere Ansatz aus der Ecke der verspielt wirkenden Tools ins richtige Licht gerückt wird (siehe Kasten Seite 24).
Visuelles AppleScriptDie Script-Sprache AppleScript ist seit langem eines der herausragenden Features des Apple-Betriebssystems – nur wurde es in der Vergangenheit seitens der Anwender viel zu selten benutzt. Wenn auch die Aktionen im neuen Werkzeug Automator nicht unbedingt AppleScripts sind (aber solche enthalten können), so wird der Ansatz des einfachen Automatisierens von Routineaufgaben auf fruchtbareren Boden bei den Anwendern fallen. Der Automator stellt dafür den Rahmen zur Steuerung von Applikationen zur Verfügung. Nach der Wahl des kleinen und besonders einfach zu bedienenden Programms werden die mit Automator zugänglichen und logischen Aktionen/Funktionen sichtbar. Der Rest ist «Drag & Drop» und das Hinterlegen von Parametern. So lassen sich einfach Arbeitsabläufe (direkt) oder Programme (indirekt nachträglich veränderbar) speichern.
Auch der Automator mag auf den ersten Blick nach Spielerei aussehen. Bereits sind aber herunterladbare Aktionen zum Steuern von zum Beispiel Adobe InDesign verfügbar. Richtig eingesetzt, lassen sich damit dann Produktivitätsfortschritte bei sich wiederholenden/wiederkehrenden Abläufen erzielen.
Neuerungen en masseWie erwähnt, sollen mehr als 200 neue Features insgesamt in das grosse Update eingeflossen sein. Zu den wichtigeren zählen hier noch Safari RSS und iChat AV.
Der deutlich schnellere Browser Safari kann die immer beliebter werdenden RSS-Feeds (Really Simple Syndication; auch Rich Site Summary) direkt darstellen, filtern, sortieren etc. Zudem kann man sich mit der Safari-Funktion «Privat Surfen» spurlos im Web bewegen: Die History wird nicht geführt, keine Daten werden heruntergeladen und auch keine Formulare einfach automatisch ausgefüllt.
Die Audio- und Videokonferenz-Software iChat AV ermöglicht, mit mehreren Personen gleichzeitig zu sprechen bzw. sich per Videokonferenz auszutauschen. Nachteilig sind hier die hohen System-/Hardware-Anforderungen und die Tatsache, dass beide Seiten ein .Mac- (von Apple), AIM- (von AOL) oder Jabber-Account (Jabber Inc.) benötigen. Dafür profitieren die Anwender von einem neuen Code (H.264), der auch in der neuen Version QuickTime 7 zu deutlich besseren Ergebnissen bei der Wiedergabe von Bewegtbildern führt.
Apple bekennt sich nach wie vor zu Industriestandards. Zudem wurde auch im Tiger die Kompatibilität mit Windows-Systemen verbessert. Namentlich wurden beim Home Directory, bei SMB, VNP sowie beim Zugriff auf Microsoft Exchange Server Verbesserungen erzielt. Mehrheitlich für den privaten Gebrauch erweitert wurden die Programme .Mac Sync (Synchronisieren zwischen Macintosh-Computer und Daten auf einem iDisk genannten Datenträger im Internet oder Abgleichen zwischen zwei Macs). Damit sind im kleineren Rahmen auch Datensicherungen möglich oder lassen sich Daten dezentral speichern, auf die dann von jedem Webzugang aus zugegriffen werden kann.
An der neuen Mail-Applikation gefällt am besten, dass Bilder vor dem Verschicken noch im Datenvolumen bzw. in ihrer Bildgrösse verändert werden können – das ursprüngliche Bild aber im Originalzustand bleibt. Überhaupt präsentiert sich die neue E-Mail-Software ausgereifter, erwachsener.
Hingegen missfallen die inzwischen sehr verwässerten Oberflächen vieler Apple-Programme: Verläufe, Aluminium-Look und «Quartz»-Buttons driften immer mehr auseinander – die Pro-Applikationen präsentieren sich wiederum anders.
Insgesamt sind es aber nicht die mehr als 200 Features, die Apples neues Betriebssystem 10.4 auszeichnen, sondern vielmehr die neuen Ansätze und Möglichkeiten beim Umgang mit dem Computer (Spotlight, Automator und Dashboard). Dazu zählt auch die Entlastung des Anwenders bei Routinearbeiten, was zu einer verbesserten Produktivität führt.
Geblieben ist ein moderater Preis. Für 189 Franken ist eine Einzelplatz- und für 279 Franken eine 5-Benutzer-Lizenz erhältlich. Das ist nicht viel für so viel Tiger. Und für 699/1399 Franken gibt es den Tiger ebenfalls als rundum erneuerten Server für zehn bzw. eine unlimitierte Anzahl Clients. Zum Schluss ist eine Frage noch offen, die aber unbeantwortet blieb: Wie heisst wohl die nächste Katze – und wann wird sie aus dem Sack gelassen?
Die Software Dashboard ermöglicht das Einblenden von Mini-Applikationen, so genannten Widgets.

Eine weitere zentrale Neuerung in OS X 10.4 ist das neue Suchwerkzeug Spotlight.
Mit dem Automator lassen sich auf einfache Art und Weise Arbeitsabläufe zusammenstellen.
Widgets und Automator-AktionenWidgets sind per Tastendruck zugängliche Miniprogramme. Technisch sind sie eine Zusammenfassung mehrerer Dateien. Neben einer HTML-basierenden Seite für Layout und Struktur sorgt eine CSS-Datei für die Formatierung. Mit JavaScript können Programmierungen vorgenommen werden. Dazu kommen Hintergrundbilder (im .png-Format) sowie ein als .plist bezeichnetes Dokument, womit sich weitere das Widget betreffende Funktionen definieren und Parameter voreinstellen lassen. Diese Dokumente müssen in einen Ordner kopiert, dieser mit .wdgt bezeichnet und im entsprechenden Verzeichnis (…/Library/Widgets) beim User oder auf Systemebene abgelegt werden – fertig ist das Widget. Erste für den Schweizer Markt adaptierte oder neue Widgets hält die Website Macprime unter www.macprime.ch/widgets bereit.
Mit dem Automator können zur Verfügung stehende Funktionen von Programmen zu Aktionen zusammengefasst werden. Neben den mit OS X v10.4 mitgelieferten Apple-Applikationen können auch z. B. InDesign oder Photoshop dirigiert werden. Von Drittanbietern sind bereits vorgefertigte, kaufpflichtige Aktionen zum Download erhältlich. (jf)
Jürgen Franck

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