Scharf schiessen und schreiben

Aufgefallen Journalistische Originale, die diesen Namen verdienen, lassen sich nicht kopieren. Hunter S. Thompson war eines davon. Farewell to Gonzo!

Kolumne Journalistische Originale, die diesen Namen verdienen, lassen sich nicht kopieren. Hunter S. Thompson war eines davon. Farewell to Gonzo!Er schrieb so schöne und anschauliche Sätze wie: «Mit Hubert Humphrey auf Wahlkampftour zu gehen war etwa so, wie in einem rumpelnden Lastwagen eingesperrt zu sein – zusammen mit einer hungrigen, rotäugigen 500-Kilo-Ratte.» Und er erfand das Motto des seriösen Journalismus: «Free Food. Free Drinks. Free Press.» Dabei schrieb er, wie er lebte: mit Kokain und einer 44-er Magnum. Nun, mit 67 Jahren, hat sich Hunter S. Thompson erschossen.Es gibt wenig berühmte Tote im Journalismus, Mbwana. Die meisten sterben schon zu Lebzeiten: Woche für Woche im Altpapier. Thompson aber war schwer übersehbar. Er erfand ein völlig neues Genre, den Gonzo-Journalismus, dessen Held er selber war: Ein mit Drogen voll gepumpter, verängstigter, wütender Reporter auf Haifischjagd, bei den Hells Angels oder Nixons auf Wahlkampftour.
Nach seinem Tod erschienen hunderte Anekdoten: Etwa, wie er nachts um drei seinen Freund Jack Nicholson zum Geburtstag überraschte – mit einem 2000-Watt-Scheinwerfer und einem Granatwerfer. (Der überraschte Nicholson versteckte sich mit einem Schürhaken im Keller.) Aber das ist nur der Zuckerguss auf der Torte. Was von ihm nach allen Harmlosigkeiten wie Schiessereien und Drogenräuschen bleiben würde, schrieb Thompson, sei «das Monster, das ich immer war – der Schriftsteller».
Was Thompson einzigartig machte, war, dass er mit dem zentralen Dogma des amerikanischen Journalismus brach: der strikten Objektivität der amerikanischen «He said she said»-Routine. Objektivität klingt wunderbar in der Theorie; nur ist sie weder dasselbe wie Wahrheit, noch erfasst sie automatisch die Wirklichkeit. So setzte sich in den Fünfzigerjahren Senator McCarthy mit seinem Kreuzzug gegen unamerikanische Aktivitäten nicht zuletzt deshalb durch, weil McCarthys Verdächtigungen und der Protest der Gegenseite in der Presse gleich gewichtet wurden.
Thompson expressive Ich-Reportagen als unzuverlässiger Reporter waren der schärfstmögliche Angriff auf den Einerseits-Anderseits-Journalismus. Gonzo brachte in die Presse dieselbe Irritation wie Heisenberg in die Physik: Der Beobachter verändert das Beobachtete. Oft bringt nur Verzerrung Kenntlichkeit: Etwa, als Thompson von Nixon als «Betrüger», «Schwein von einem Mann» und «Man sollte ihn in einer Mülltonne begraben» schrieb. Ein unvergessliches Porträt, in dem Thompson gelassen bemerkte: «Manche sagen, dass Worte wie Abschaum oder verrottet nicht zu seriösem Journalismus passen – aber das ist nicht das Thema. Es waren gerade die eingebauten blinden Flecken des seriösen Journalismus, die Nixon erlaubten, sich ins Weisse Haus zu schleimen.»
Kein Wunder, liebten und kopierten ihn Generationen von jungen Journalisten – die meisten aber dadurch, dass sie mit Chemie gefüllten Köpfen auf Reportage gingen und Leute beleidigten. Sie übersahen, dass Thompson perfekt vorbereitet gewesen war: Er hatte über Jahre die besten der Klassiker – die Bibel, Hemingway und Fitzgerald – zur Übung abgetippt, zwei Romane geschrieben, also das Handwerk gelernt. Seine Waffe waren nicht Whisky und Kokain, nicht die Flüche, nicht die 44-er Magnum. Gefährlich machte ihn sein Stil, der nur auf einen einzigen Mann passte: ihn selbst. Für den Rest kopierbar bleibt nur das Zentrale: der Entschluss, niemandem zu trauen als den eigenen Augen.
Nach 15 Jahren grossartiger Reportagen erwischte ihn die Tragödie fast aller Erfolgreichen: Er fing an, sein eigenes Image zu verkörpern. Seine Beleidigungen wurden Formel, sein Stil Bombast, er selber ein Exzentriker. Thompson bemerkte als Fazit: «Schreiben ist eine hassenswerte Arbeit. Schreiben ist ein wenig wie Sex: nur lustig für Amateure. Alte Huren lachen nicht mehr dabei.»
Erfolg vergiftet, Misserfolg vergiftet und die Routine wird uns alle töten. Doch das, Mbwana, ist ein Problem für später.
Constantin Seibt verabschiedet sich von seinem (un)heimlichen Vorbild.

> Constantin Seibt ist Redaktor bei der Wochenzeitung.

Weitere Artikel zum Thema