Die Gratisleser des Blick

Gastkommentar 20-Minuten-Chef Rolf Bollmann läutet die nächste Runde im Schlagabtausch zwischen seinem Pendlerblatt und den Kaufzeitungen von Ringier ein.

Gastkommentar 20-Minuten-Chef Rolf Bollmann läutet die nächste Runde im Schlagabtausch zwischen seinem Pendlerblatt und den Kaufzeitungen von Ringier ein. Statt nur im eigenen Blatt erklärt der Ringier-Zeitungschef der Welt nun auch via Werbewoche, dass der Blick Qualität hat und 20 Minuten nicht. Aber natürlich ist es verständlich, dass man nach Erklärungen sucht, wenn man von der leserstärksten Tageszeitung zur Nummer zwei degradiert wird.Doch ich kann Sie beruhigen, Herr Weissberg. Wir würden uns nie erlauben, 20 Minuten mit dem Blick zu vergleichen. Denn Ihr Qualitätsblatt muss man ja bekanntlich kaufen. Was immerhin 250000 Leute noch tun.
Weitere 480000 Personen lesen den Blick allerdings jeden Tag gratis! Was mich erstaunt. Schliesslich schreiben Sie, Qualität müsse etwas kosten. Was im Umkehrschluss ja bedeutet, dass knapp zwei Drittel der Blick-Leser kein Qualitätsbewusstsein haben, weil sie nichts bezahlen. Die Blick-Leserschaft ist also eine Zweiklassengesellschaft.
Zur unteren Schicht gehören gemäss Ihrem Modell auch die 782000 Leser von 20 Minuten. Diese erhalten ihre Zeitung ja gratis. Seit Ihrem Werbewoche-Beitrag weiss ich auch endlich, was Sie unter Qualität verstehen. Mit Ihrem redaktionellen Background sehen Sie den hoch stehenden Journalismus des Blick als stärkstes Argument für Werbeauftraggeber. Und als grösste Differenzierung zum Billigjournalismus von 20 Minuten. Ihr Boulevardblatt steht für Wärme, Emotionen, für Herzblut. 20 Minuten dagegen für nichts.
Mir kommen die Tränen, Herr Weissberg! Wie soll ich meinen bald 100 Mitarbeitern nur erklären, dass sie eine kalte, herzlose und folglich wertlose Zeitung produzieren? Und wie den Werbekunden? Als Marketingmann weiss ich aber, die Leserqualität ist für Letztere von zentraler Bedeutung. Und dass die Wemf-Zahlen dafür die Orientierung bieten.
Sie aber bringen eine völlig neue Dimension ins Spiel. Das würde ich an Ihrer Stelle vermutlich auch tun. Denn die harten Facts sprechen immer weniger für den Blick. Zumindest, wenn man die Qualitätsmerkmale der Mach-Studie akzeptiert. Doch die gelten für Sie nicht mehr, seit 20 Minuten auf der Überholspur ist.
Dass der Bildungsgrad ein unbestrittenes Qualitätsmerkmal der Leserschaft ist, können aber selbst Sie nicht leugnen. Bleibt die Frage, warum 20 Minuten dann mehr als doppelt so viele Leser mit hoher Ausbildung aufweist wie der Blick. Und warum unsere Leser eine viel höhere Kaufkraft haben als jene des Blicks. Ihre Formel Qualitätsjournalismus = Qualitätsleser geht also nicht auf. Mit anderen Worten: Der Preis ist kein Qualitätsmerkmal. Das wird Ihnen auch «der grösste Schweizer Kolumnist» (SonntagsBlick) aus Ihrer Konzernzentrale bestätigen.
Oh, fast hätte ich es vergessen! Der Blick hat dafür doppelt so viele Leser wie 20 Minuten, die 65 und älter sind. Das ist doch auch ein Qualitätsindikator – für Leserbindung bis ins hohe Rentneralter.
> Rolf Bollmann ist Geschäftsführer der 20 Minuten (Schweiz) AG.

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