Herzblut ist rot

Gastkommentar zur Streitsache Gratiszeitungen: Bernhard Weissberg antwortet auf den in der Werbewoche erhobenen Vorwurf, Ringier diffamiere das Pendlerblatt 20 Minuten.

Gastkommentar zur Streitsache Gratiszeitungen: Bernhard Weissberg antwortet auf den in der Werbewoche erhobenen Vorwurf, Ringier diffamiere das Pendlerblatt 20 Minuten.
Ich habe nichts gegen Gratiszeitungen. Schliesslich sind es auch Zeitungen. Jede Zeitung hilft anderen Zeitungen, weil sie die Menschen zum Lesen bringt statt etwa fern zu sehen. Aber Gratiszeitungen gaukeln etwas vor, das sie nicht bieten können: kompletten Journalismus.Verstehen Sie mich richtig, liebe Kollegen in den Redaktionen der Gratiszeitungen: Ich unterschätze nicht Einsatz und Wille der dort tätigen Journalisten. Aber das Geschäftsmodell «Gratis» lässt keine Zeit für ausgebaute Recherche, Reflektion und Redaktion zu. Das ist eine Feststellung, keine Wertung.
Spielt doch alles keine Rolle, höre ich einige Werbewoche-Leser raunen. Die Leute wollen gar nicht mehr News. Eigenartig: Seit 20 Minuten auf dem Markt ist, hat Blick keine Leser verloren. Keine Lust auf News? Im Gegenteil. Das tägliche Update erhalten die Pendler durch 20 Minuten. Den täglichen Aufreger mit dem Blick.
Werden wir konkret: Wer lieferte dem Bürger diesen Frühling die Übersicht über Gewinner und Verlierer bei Annahme des bundesrätlichen Steuerpakets? Der Blick. Weil die Redaktion Kapazitäten hat für solche Berechnungen. Hätte eine Gratiszeitung das leisten können? Nein. Wo lancierte Arbeitgeber-Direktor Peter Hasler seinen Appell gegen die Hetzkampagne? Im Blick. Weil die Redaktion seit Jahren mit Peter Hasler diskutiert und streitet. Weil sie die Kompetenz dazu hat.
Trotzdem, nörgeln Sie nun, Leser sind Leser. Und die Gratiszeitung hat jetzt nun mal mehr als der Blick. Sie, liebe Leserinnen und Leser, sind (so nehme ich an) nahe mit der Werbewirtschaft verbunden. Sie brauchen Fakten, die Sie in Ihrer Mediawahl bestätigen. Und da sind die Mach-Zahlen unbestechlich. Glauben Sie?
Natürlich geben die Zahlen wider, wer welches Blatt in die Hände genommen hat. Sie erzählen von Stadt, Agglomerationen und Land, von Jungen und Alten, Familien und Kommunen, Einkommen und Konsumgewohnheiten. Erzählen sie aber auch von Wärme?
Ja, Wärme. Forscher fragen nicht nach der Lesetemperatur, argumentieren Sie. Genau da aber liegt das Problem. Von Emotionalität und Bindung sprechen Sie nur, wenn es um Ihr Produkt geht. Wenn es um Medien geht, entscheiden Sie mit kalten Zahlen.
Kleines Experiment: Im Arzt-wartezimmer liegen 20 Minuten und der Blick. Welche Zeitung nehmen Sie? Genau. Die rote, nicht die blaue. Denn Rot steht für Wärme, für Emotionen, für Herzblut.
Rot steht genauso für Ärger, Wut, Empörung. Auch bei den Lesern. Glauben Sie, 20 Minuten-Leser legen die Telefonzentrale lahm, wenn sie einen Fehler entdecken? Beim Blick passiert das. Weil die Leser eine Bindung zu ihrer Zeitung haben. Weil sie den Blick lieben oder hassen. Und auch weil der Blick etwas kostet. Wenn ich bezahle, erwarte ich einen Gegenwert. Ist der nicht erfüllt, reklamiere ich.
Wärme mag für Sie kein Kriterium sein. Die Leser sehen dies
anders. Ich auch. Mein Herzblut fliesst rot.
> Bernhard Weissberg ist Bereichsleiter Zeitungen bei Ringier.

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