Besser, schneller, günstiger oder: alles Aldi

Marktpsychologie David Bosshart analysiert das «Wal-Mart-Prinzip» und die kulturellen Folgen der immer weitere Kreise ziehenden Schnäppchenmentalität.

Marktpsychologie David Bosshart analysiert das «Wal-Mart-Prinzip» und die kulturellen Folgen der immer weitere Kreise ziehenden Schnäppchenmentalität.Wer gehofft hat, das mit dem «geilen Geiz» sei ein deutschlandspezifisches und konjunkturell bedingtes, also kurzlebiges Phänomen, dürfte enttäuscht sein. Spätestens wenn er «Billig» von David Bosshart gelesen hat. Für den Direktor des Gottlieb-Duttweiler-Instituts ist der Discount-Trend nicht einfach eine modische Unsitte, sondern die Weiterführung der Demokratie mit konsumistischen Mitteln nach dem Motto: Vor den Kaufregalen und Registrierkassen sind alle gleich. «Wir leben auf einem Wohlstandsniveau, das sich Marx nie hätte träumen lassen. Mental ist sein Ideal der klassenlosen Gesellschaft längst vollzogen.»In unserer Überflusswelt der austauschbaren Produkte wird der Preis zum letzten Differenzierungsmerkmal. Dies umso mehr, weil traditionelle Werte an Bedeutung verlieren. «Ehre ist lächerlich, bestenfalls leeres Ritual geworden. Pietät taucht allenfalls in Momenten existenzieller Krisen noch auf. Es bleibt nur das Geld», glaubt Bosshart.
Egal, ob es sich um Mode, Computer, Reisen oder Wissen handelt: Die Konsumenten wollen alles besser, schneller und günstiger, was sich auch im Wandel unserer Urbankultur widerspiegelt. Bosshart verweist hier auf die Zürcher Bahnhofstrasse: Luxusgeschäfte sind verschwunden, Billigshops wie Mango, H&M und The Body Shop prägen das Strassenbild. Derselbe Pappbecher-Konsumeinheitsbrei also wie in jeder anderen westlichen Stadt auch.
Dann kommt Bosshart auf Wal-Mart zu sprechen, eine Ausnahmeerscheinung, die dank ihrer geballten Marktmacht – an Spitzentagen eröffnet Wal-Mart bis zu 47 Filialen – den ökonomischen Weltfrieden bedrohe. Wal-Mart ist ein Bulldozer, der lokale Handelsstrukturen zermalmt und Zulieferer mit dem Charme eines Dirty Harry unter Druck setzt. Denn wer nicht nach der Wal-Mart-Pfeife tanzt, fliegt raus aus den Regalen. So wurden in den USA die CDs von Sheryl Crow entfernt, als die Popmusikerin es sich erlaubte, Wal-Mart für seinen Waffenverkauf zu kritisieren.
Bleibt die Frage, was das alles mit uns, mit der Schweiz zu tun hat. Zumal man hier zu Lande schon Zähneklappern (oder auch Glücksgefühle) kriegt, wenn der vergleichsweise harmlose Aldi in der Ostschweizer Provinz einen Laden eröffnen will. Die Antwort: Wal-Mart ist für Bosshart eine Metapher für eine zunehmend rücksichtslose, sich selbst stetig weiter radikalisierende Rationalisierung.
Diese in unseren Breiten erst langsam einsetzende Dynamik, welche an Eliteuniversitäten als das Erfolgsmodell gehandelt wird, zieht einen gesellschaftlichen Wertewandel nach sich. Ein Blick ins trendsettende Medienbusiness mit seinem Hang zu Gratisinformationen (Internet, 20 Minuten …) lässt da nichts Gutes für andere Industrien ahnen.
> Billig. Wie die Lust am Discount Wirtschaft und Gesellschaft verändert von David Bosshart. Ueberreuther Verlag, Wien 2004. 179 Seiten, Fr. 28.50

Francis Müller

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