Supermarkt der Sinnangebote

Gastkommentar Wenn Privatradios und -TVs für Frei- und Landeskirchen werben, würde bald auch die SRG Spots mit religiösem Inhalt senden dürfen. Folge eines solchen Dammbruchs wäre eine aggressive (Sinn-)Flut.

Gastkommentar Wenn Privatradios und -TVs für Frei- und Landeskirchen werben, würde bald auch die SRG Spots mit religiösem Inhalt senden dürfen. Folge eines solchen Dammbruchs wäre eine aggressive (Sinn-)Flut.Ab Mitte 2005 werden Tom Cruise und John Travolta in TV-Spots bei TeleZüri und ProSieben für Scientology werben dürfen. Das laut missionierende Lifestyle-Unternehmen ICF (International Christian Fellowship) wird über Privatradios von Aktuell bis Zürisee zu seinen Party-Gottesdiensten einladen und sich über die uncoolen Angebote der Kirchen mokieren. Und andere religiöse Gruppen und Organisationen, die genügend Geld und den nötigen Pfiff haben, werden mitziehen. Kurzum, die Lautesten auf dem Markt der Glaubensüberzeugungen und Weltanschauungen werden den Ton angeben.So ähnlich dürfte es wohl kommen nach der Behandlung des neuen Radio- und Fernsehgesetzes (RTVG) durch den Nationalrat. Nach dessen Willen soll das Verbot der religiösen Werbung – zusammen mit den Restriktionen für Alkohol- und Politwerbung – bei den Privatsendern aufgehoben werden. In der Debatte wurde die Frage der Alkoholreklame ausführlich, die der politischen Werbung knapp und die der religiösen gar nicht diskutiert. Offenbar hielt man sie für unbedeutend. Da dürften sich die Ratsmitglieder noch wundern.
Um zu sehen, wie aggressiv Religion sein kann, braucht man sich bloss auf der Welt umschauen oder einen Blick in die eigene Geschichte zu tun. Staatsordnung und Alltagskultur der Schweiz haben dieses Gefahrenpotenzial in den vergangenen anderthalb Jahrhunderten gezähmt. Die Mainstream-Kirchen sind demokratisch strukturiert und öffentlich-rechtlich kontrolliert, die Konfessionen arbeiten meist problemlos zusammen und auch nichtchristliche Gemeinschaften werden einbezogen.
Das ist inzwischen so normal, dass es kaum mehr bemerkt wird. Doch selbstverständlich ist es nicht. Vielmehr stecken kontinuierliche Bemühungen an vielen Fronten dahinter. Diese wurden gestützt durch das Verbot religiöser Werbung in den elektronischen Medien. Nun kommt sie aber. Man darf hoffen, dass destruktiv-aggressive Auftritte sich von selbst erledigen, weil sie beim Publikum schlecht ankommen. Aber ein Risiko bleibt, vor allem, wenn religiöse Identitäten sich mit politischen oder ethnischen Spannungen aufladen sollten.
Jetzt werden also die Kirchen in eine neue Freiheit bugsiert, die sie nicht gesucht haben. Sie werden sich anfangs wundern, wie rasch und mit wie viel Power kleine Gruppierungen in die Öffentlichkeit vorstossen. Freikirchen und ähnliche Gemeinschaften sind expansiv; Werbung ist ihnen nicht fremd. Früher oder später werden jedoch auch die Landeskirchen die Chancen von Radio- und Fernsehwerbung zu nutzen lernen. Leicht fallen wird ihnen das nicht. Die dezentrale Organisation erschwert den gemeinsamen Auftritt. Es droht die Gefahr, dass kleinräumige Jekami-Werbung Energien und Ressourcen verpufft.
Aber vielleicht setzt der Ständerat ja andere Akzente. Nachbesserungsbedarf besteht insbesondere bei den Werberegelungen. Warum die asymmetrische Ordnung zur Förderung einheimischer Privatsender mit solchen Mitteln anstreben? Der erwünschte Effekt wird ausbleiben, da der Löwenanteil der Mediagelder den Schweizer Werbefenstern ausländischer TV-Stationen zufliessen dürfte. Deren Ausschluss von der Privilegierung wird sich nämlich nicht durchsetzen lassen. Hinzu kommt, dass die SRG eine Korrektur des RTVG zu ihren Gunsten anstreben (und auch erreichen) wird. Und zwar mit dem Argument, es sei unsinnig, die Restriktionen einzig für sie aufrechtzu- erhalten und vor allem ausländische Veranstalter zu bevorzugen.
So wird der Schweizer Markt für religiöse Werbung schliesslich völlig liberalisiert. Spätestens dann werden auch die grossen Kirchen Kampagnen fahren. Das Religiöse wird so in der Gesellschaft zwar präsenter, aber auch aggressiver werden. Der Supermarkt der Sinnangebote wird keine harmlose Metapher mehr sein, sondern handgreifliche Realität.
Im besten Fall wird Religion dadurch interessanter, rückt sie näher an die heutigen Menschen. Im schlechtesten stolpern die Kirchen in eine neue Intoleranz.
> Urs Meier ist Geschäftsführer der Reformierten Medien, des Kommunikationsunternehmens der evangelisch-reformierten Kirchen der Deutschschweiz.

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