Knusper und busper

Frühstücksmarkt Die Obwaldner Bio-Familia hat die Marketing-Trophy 2004 in der Kategorie 50 bis 299 Mitarbeiter gewonnen. Den Erfolg verdankt der Müesliproduzent steter Innovation und kluger Kommunikation.

Frühstücksmarkt Die Obwaldner Bio-Familia hat die Marketing-Trophy 2004 in der Kategorie 50 bis 299 Mitarbeiter gewonnen. Den Erfolg verdankt der Müesliproduzent steter Innovation und kluger Kommunikation.Vor 100 Jahren wurde er ausgelacht und mit dem Ausschluss aus der Ärztekammer bestraft. Und seither hundertfach kopiert. Maximilian Bircher-Benner hat mit einigen wenigen Zutaten eine Erfolgsgeschichte gemixt, die ihresgleichen sucht. Und dies nur, weil er – gegen den damaligen Trend der weich gekochten Nahrung – seinen Patienten Rohkost vorsetzte: gewalzter Hafer, geriebene Äpfel, Nüsse, Zitronensaft und Kondensmilch. «D’Spys», wie Bircher-Benner seine Erfindung nannte, überzeugte mit der Zeit nicht nur sämtliche Schweizer Mütter, sondern verleitete auch Millionen von Deutschen zu ungewohnter Mundgymnastik: «Müesli» dürfte nach «Tschüss» wohl zu einem der meist gebrauchten Schweizer Wörter in Deutschland gehören. Pech für Bircher-Benner, dass Branding zu seiner Zeit noch unbekannt war: Sein Heilbrei kommt heute weltweit täglich tonnenweise auf die Frühstückstische.
Laut «Marktradar Frühstücksgewohnheiten» von Demoscope greifen vier Prozent der Schweizer täglich zu Frühstücksflocken, für Müeslimischungen begeistern sich fünf und für Cornflakes vier Prozent. Allein in der Schweiz wurden laut einer Studie des Marktforschungsunternehmens ACNielsen zwischen Dezember 2002 und November 2003 Flocken im Gesamtwert
von 145,2 Millionen Franken verdrückt.
Wobei Müesli heute kaum mehr Birchermüesli ist. Beschränkung auf das Nötigste mag für Genesende angebracht sein. Raffeln, Reiben und Mischen sind jedenfalls passé: Das klassische Birchermüesli trägt nur noch 14 Prozent zum Gesamtmüesli-Umsatz bei. 60 Prozent gehen an so genannte Ready-to-eat Cereals (RETC). Diese und die ebenso beliebten Knuspermüesli haben jedoch einen gewichtigen Nachteil: Mit ihren hohen Zucker- und Fettanteilen schlagen sie kalorienmässig happig zu Buche. Wie leider so oft in der Küche gilt auch bei Cerealien: Wenns schmeckt, setzts wahrscheinlich an.
Erfolg dank Pionierprodukten Fettarm, reduziert im Zucker und trotzdem knusprig? Das schafft das mit der Trophy ausgezeichnete Familia Fit Crisp. Bio-Familia entwickelte ein neues Backverfahren, das die Herstellung von Knuspermüesli mit wesentlich geringerem Fett- und Zuckeranteil erlaubt. Und damit folgt die Familien-AG konsequent ihrer Strategie, sich mit Pionierprodukten in einer Nischenstellung zu behaupten. Gegründet wurde sie vor fünfzig Jahren von Ann und Georg Hipp – vom gleichnamigen deutschen Babynahrungsproduzenten – in der Absicht, als erstes Unternehmen Birchermüesli industriell herzustellen. Wiederum Pionierin war Bio-Familia 1997, als sie als erste Schweizer Herstellerin ein Müesli auf den Markt brachte, das dem im Milchbereich lancierten Trend Functional Food folgte: Familia c.m. Plus, angereichert mit Kalzium, Magnesium und Vitamin D, zielt darauf, die Knochenmasse zu stärken. Zwei Jahre später kam Familia a.c.e. Balance, das durch die Antioxidantien A, C und E die Abwehrkräfte steigern soll. Dass ihr Nutzen für die Gesundheit schwer zu beweisen ist, ist eine Schwierigkeit, die alle Functional-Food-Produkte teilen. Familia Fit Crisp jedoch hat dieses Problem nicht. In einer Zeit, in der Ärzte weltweit Alarm schlagen und vor den fatalen Folgen zunehmender Fettsucht warnen, sind niedrige
Anteile an Fett und Zucker bei einem ansonsten wohl schmeckenden Convenience-Produkt als Kaufargument kaum schlagbar.
Nicht erstaunlich also, dass dem Erfolg von Familia Fit Crisp keine besondere Überzeugungsarbeit vorangehen musste. «Das Konzept besticht durch seine Praxisnähe», urteilte denn auch die Jury der Marketing-Trophy 2004. Bei der angepeilten Käuferschaft – gesundheitsbewusste Frauen zwischen 20 und 35 – kommt «knusperleicht» gut an. Laut Auskunft von Marketingleiterin Daniela Reichlin hat das dritte Produkt in der Functional-Food-Linie die Verkaufserwartungen im ersten Jahr bereits übertroffen.
«Als Nischenplayer sehen wir auch in der Zukunft eine Chance – dank gut durchdachten Konzepten und Innovation mit Qualität», gibt sich die Marketingverantwortliche überzeugt. Obwohl der Cerealien-Markt stark im Umbruch ist und die Grenzen zwischen den Produktgruppen immer mehr verschwimmen, steht die Marke Familia gegenwärtig gut da: Im Detailhandel (Migros und Coop ausgenommen) ist sie führend im Knuspermüesli- wie auch im Birchermüesli-Markt. Mit 95 Mitarbeitern produziert die Firma jährlich 9100 Tonnen Müesli, wovon zwei Drittel in der Schweiz bleiben. Exportiert wird mittlerweile in 43 Länder. Der Umsatz beträgt 44 Millionen Franken.
Wenig Aufwand für viel Wissen
Vergleichsweise klein sei das Marketingbudget: Rund 600 000 Franken fliessen in klassische Werbeinstrumente. Getreu ihrem Leitbild «marktnah und innovativ» führt Bio-Familia Marktforschung eigenhändig durch. «Dies verspricht Nähe zum Konsumenten und seinen Bedürfnissen», erklärt Marketingassistentin Petra Feierabend. «Im IHA-Studio befragen wir die Leute selber. Wir sind überzeugt: Bei unserer Methode können 20 bis 40 qualifizierte Befragungen bereits richtungsweisend sein.»
Überdies setzt das Unternehmen auf breit gestreute Produktsamplings im Zusammenhang mit dem Sponsoring von Sportanlässen, auf die Zusammenarbeit mit Presenter Service und gezielte Verteilung, etwa in Schwimmbädern. Bei Anzeigenkampagnen wird vor allem auf Pull-Strategien gesetzt. In Zusammenarbeit mit der Luzerner Hochschule für Wirtschaft wurden auch schon Studien in Fitness-Zentren, Gruppendiskussionen und Befragungen in Schulklassen durchgeführt.
Bei der Verpackung setzt Bio-Familia offenbar auf Bewährtes: Die in Konturen angedeutete Tänzerin vor weiss-grün-blauem Hintergrund ziert auch Nestlés Fitness-Müesli. Die Figur des Multis wirkt jedoch bezeichnenderweise erheblich steifer als die übermütige Tänzerin des wendigen, kleinen Konkurrenten.
Familien-Jubiläum1954, damals noch unter dem Namen Somalon AG und auf den Vertrieb von Babynahrung spezialisiert, wurde die Bio-Familia AG gegründet. Bereits vier Jahre später setzte das Jungunternehmen seine Idee, Birchermüesli industriell herzustellen, in die Praxis um. Den Trend zur vegetabilen Ernährung erkannte die Firma mit Sitz in Sachseln schon Anfang der Siebzigerjahre. Laufend erweiterte Bio-Familia das Sortiment und konnte die Produkte – von der Vollwertnahrung für Sportler bis zum Knabber-Müeslisnack «Pickers» – auch in verschiedenen anderen Ländern erfolgreich etablieren, womit sie dem Mundartbegriff «Müesli» zu Weltruhm verhalf. (la)
Ganz schön fit: Mit trendigen Produkten und einem frischen Auftritt behauptet sich Bio-Familia gegen Nahrungsmittelmultis.
Katrin Piazza

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