Wider staatliche Sterbehilfe

Aufgefallen Um darbende Zeitungshäuser vor der Intensivstation zu bewahren, bedarf es wohl dosierter und platzierter Infusionen. Und wenn dabei Steuergelder fliessen sollen, dann in die Aus- und Weiterbildung von Redaktionen und Verlagen.

Kolumne Um darbende Zeitungshäuser vor der Intensivstation zu bewahren, bedarf es wohl dosierter und platzierter Infusionen. Und wenn dabei Steuergelder fliessen sollen, dann in die Aus- und Weiterbildung von Redaktionen und Verlagen.
Im wunderbaren Konjunkturhoch anno 2000 nahmen die Zeitungen in Deutschland allein durch Stellenanzeigen rund 1,7 Milliarden Euro ein. In einem durchschnittlichen Jahr lag dieser Wert früher bei etwa 1,3 Milliarden Euro. Die neuesten Forschungen zeigen: Diese Einnahmen dürften sich bei einem durchschnittlichen Arbeitsmarkt um jährlich 600 bis 700 Millionen Euro reduzieren. Dies entspricht rund 10 bis 15 Prozent der Anzeigenerlöse.Doch damit nicht genug. Eine Delphi-Umfrage unseres Instituts prognostiziert, dass die Tageszeitungen – gemessen am heutigen Stand – in den nächsten vier Jahren 5 Prozent und in den nächsten acht Jahren gar 10 Prozent ihrer Auflage verlieren werden. Parallel dazu wird die Zeit, die Leser ihrem Blatt widmen, bis 2007 um 10 und bis 2011 um 15 Prozent schrumpfen. Besonders junge Leute halten es nicht mehr für zwingend, jeden Tag in eine Zeitung zu schauen.
Die aktuelle Krise bewirkt, dass die Fixkostenanteile gerade bei Regionalzeitungen immer grösser werden. Man muss sich ernsthaft fragen, ob Verleger, die nur eine einzige Zeitung herausgeben, unter den gegenwärtigen Bedingungen wirtschaftlich bestehen können. Mit dem Rotstift alleine wird man dieser Misere nicht mehr Herr. Viele Blätter sind nämlich längst in einer Lage, in der Massnahmen wie die Entlassung von fünf Journalisten, die Streichung von Reisekosten oder die Abbestellung von Konkurrenzblättern nicht mehr das Geringste helfen. Die Läden sind ausgepresst; eine leere Zitrone ist eine leere Zitrone. So bleibt vielen Verlegern gar nichts anderes übrig, als auf Kooperation mit dem nächstgrösseren Konkurrenten zu setzen, sei diese nun technischer, administrativer oder finanzieller Natur.
Als Gegenmassnahme diskutiert die Schweizer Politik derzeit Pressesubventionen des Staates. Eine Untergruppe der Staatspolitischen Kommission des Nationalrats unter Andreas Gross (SP) schlug kürzlich vor, die rund 100 Millionen Franken, die jährlich zur Verbilligung der Posttaxen beim Versand der Zeitungen ausgegeben werden, zur Stützung von Zweitzeitungen einzusetzen. Ist das ein sinnvoller Weg?
Die Gründung von Konkurrenzzeitungen in Monopolbezirken ist mit diesen Mitteln nicht zu stemmen. Das zeigt das Beispiel St.Gallen, wo die Ostschweiz vor einigen Jahren verschwand. Seitdem hat das zur NZZ-Gruppe gehörige St.Galler Tagblatt eine Alleinstellung. Eine Wiederbelebung der Ostschweiz, für die man ja erst mal risikofreudige Verleger bräuchte, ist kaum realistisch. Das übrigens auch deswegen, weil die heutige Platzhalterin ein offenes, keineswegs einseitiges Blatt macht. Jede Gegengründung wäre kostspielig und vom Scheitern bedroht.
Realistischer mutet da schon die Stützung existierender, aber kränkelnder Zweitblätter an. So oder so aber wäre ein politischer Eingriff in den Markt nötig, der sich – bei so begrenzten Mitteln – natürlich rasch dem Vorwurf der Willkür aussetzen würde. Angesichts der politischen Kultur der Schweiz würde man zwar nicht gleich «Zensur» schreien; schrille Debatten wären aber auch hier programmiert.Ordnungspolitisch unbedenklicher wären da Fördermassnahmen, die keine komplizierten Selektionsentscheidungen staatlicher oder quasistaatlicher Agenturen verlangen, zum Beispiel die grosszügige Unterstützung verlegerischer Aus- und Weiterbildungsmassnahmen. Selbst die Idee, Monopolblättern bestimmte Auflagen wie Redaktionsstatute oder Stiftungskonstruktionen zu machen, wäre wohl weniger problematisch als die staatlich gelenkte Kreation künstlicher Konkurrenz. Dennoch: Die Gross-Kommission hat ein heisses Eisen angepackt. Dafür sollte man dankbar sein. Wie das Eisen zu schmieden wäre, bedarf indes weiterer Diskussion.
Peter Glotz über den Aderlass der Presse und Alternativen zur Subventionitis.
> Peter Glotz ist Buchautor und Professor für Medien- und Kommunikationsmanagement an der Universität St.Gallen.

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