Hinz&Kunz statt Schiffer&Fässler

Viele Werbeagenturen verzichten auf teure Profimodels und setzen auf Amateure

Viele Werbeagenturen verzichten auf teure Profimodels und setzen auf AmateureVon Annelies Friedli Vorbei sind die Zeiten, als für eine Kampagne nur die schönsten und besten Models gut genug waren: In der schlechten Wirtschaftslage setzen Agenturen auf preiswertere Amateurmodels. Nicht immer zahlt sich der Griff zum Rotstift aus.
Ihre Gesichter sind nicht perfekt, ihre Figuren nicht ideal. Dennoch spielen immer mehr Amateurmodels in der Werbung die Hauptrolle. Beim SBB-Plakat von Jung von Matt/Limmat zieren zwei Rocker die Wände. Beim TV-Spot der Schweizer Familie räkelt sich eine Brünette im Bett.
«Der Anteil der Amateurmodels ist in den vergangenen Wochen stark gestiegen», sagt Lilo Killer, freischaffende Art Buyer. Mehr als 50 Prozent der Models, schätzt die Werbeszene, sind heute Laien. «Die Rezession zwingt die Agenturen, preisgünstigere Laienmodels zu engagieren», weiss Yves Spink, Art Buyer und Agenturproduzent von Euro RSCG Zürich. 350 bis 900 Franken pro Tag kostet ein Laienmodel in der Schweiz. 2000 bis 14000 Franken ein Profimodel. «Zudem», ergänzt Killer, «gibts bei den Laienmodels keine Copyrights und Verwendungsrechte zu beachten, und das macht die ganze Sache einfacher.» Copyright, Verwendungsrechte und hohe Tagespauschalen: Die Zeiten, in denen aus Bequemlichkeit ein Profimodel für eine Kampagne gebucht wurde, ohne nach einer günstigeren Amateurvariante zu suchen, sind vorbei.
Laienmodels kommen in den eigenen Kleidern zum Casting
Hinz und Kunz statt Schiffer und Fässler heisst das neue Motto. Das Nachsehen haben die Profimodelagenturen. Sie werden von den Werbern derzeit deutlich weniger berücksichtigt. «Die Nachfrage aus der Branche ist rückläufig», bestätigt Ursula Knecht, Inhaberin der Zürcher Profimodelagentur Option. Wie gross der Einbruch genau ist, will sie nicht verraten. Christine Brenner, Booking-Woman-Verantwortliche der Zürcher Profi-modelagency Fotogen, erklärt: «Bei uns werden selten Models für Werbung gebucht.»
«Viele Agenturen überlegen sich heute sehr gut, ob es auch wirklich ein Profimodel sein muss, bevor sie es buchen», erklärt Hans Siegwart, CD und Geschäftsführer von By Heart. Das war auch bei der Butterkampagne so, für die er verantwortlich zeichnet: Sieben Models hätten er und sein Team gecastet. Drei davon waren Laien-, vier Profimodels. Doch nur Topmodel Sarina Arnold hatte, was alle Beteiligten wollten: Natürlichkeit und die passende Ausstrahlung plus Dialekt. «Sarina passte am besten zur Kampagne. Und das war es uns wert, sie zu verpflichten», sagt Siegwart.
Doch Sarina Arnold bleibt eine Ausnahme, das beweisen nicht nur die Fakten, sondern auch eine Umfrage der WerbeWoche: Viele Werber buchen häufiger Laienmodels nicht allein aus Kostengründen. «Sie sind echter, glaubwürdiger und kommen einfach besser rüber», erklärt Spink. Ähnlich klingt es bei Barbara Brandmaier, Mitverantwortliche von Sheriff Enterprises, der Produktionsfirma für Locationscouting, Castings und Produktionsplanungen für TV-Spots und Kampagnen: «Ein Model muss einfach glaubwürdig und authentisch wirken. Und bei Laienmodels ist dies gewährleistet.»
Um die Echtheit der Models zu unterstreichen, haben sich Laienmodelagenturen etwas Besonderes einfallen lassen: Sie lassen ihre Models nur in eigenen Kleidern zum Casting kommen. Christa Stutz, Inhaberin der Amateurmodelagentur Special: «Bei uns ist jeder so, wie er auch im richtigen Leben ist.»
Anders präsentiert sich die Realität bei Profimodels: Diese tragen oft Schmuck oder Kleider, die sie in Wahrheit nie trügen – wie etwa Claudia Schiffer, die dieses Jahr zum zehnten Mal für das deutsche Versandhaus Otto wirbt. Für Markus Ruf, Creative Director und Mitinhaber von Ruf Lanz, steht fest: «Profimodels haben viel an Glaubwürdigkeit verloren. Die Leute wissen doch inzwischen, dass die Miss Schweiz nur deshalb Vögele-Mode trägt, weil es Bestandteil ihres gut honorierten Vertrags ist. Und dass sie privat eher bei Mango, Big oder Kookai einkauft.»
Er setzt in seinen Kampagnen nur selten auf den Einsatz von Models und sagt: «Gute Ideen brauchen oft gar keine Models für die Umsetzung. Er nennt als Beispiel die Versicherungswerbung: «Die Mobiliar-Schadenskizzen wirken doch viel ehrlicher als all die Kampagnen mit glücklich lächelnden Modelfamilien, die uns versichern, wie gut versichert sie sind.»
Und wenn er doch ein Model wählt, dann eines mit einem frischen, unbekannten Gesicht – wie sein derzeitiges Lieblingsmodel. Es ist 78 Jahre alt, heisst Alice Kislig, ist blind – und hat es sich nicht nehmen lassen, in den TV-Spots fürs Blindenwohnheim Mühlehalde die Hauptrolle inklusive Stunt gleich selber zu spielen (siehe auch Seite 10). Entdeckt hat sie Ruf im Blindenwohnheim. «Die Heimleitung hat die Bewohner nach Vorliegen des Konzepts angefragt, ob jemand Lust habe, im Spot mitzumachen.» Alice Kislig hatte. Und das erst noch gratis.
Die meisten Laienmodels suchen und finden Agenturen aber bei Specialagencys. Beispiels weise bei Mad, einer der führenden Agenturen der Schweiz. 2500 Laien models hat die Agentur in der Kartei. «Unsere Spannbreite ist sehr gross», sagt Agenturinhaberin Zaruhi Takfor. Neben dem Preis – «730 Franken pro Tag, 260 Franken für die erste Stunde, 70 Franken pro weitere Stunde» – sei das für die wachsende Nachfrage von Werbeagenturen entscheidend.
Immer mehr Werbeagenturen setzen auf der Suche nach dem passenden Model aber auch aufs Strassencasting. «Das kommt billiger und bringt erst noch neue, unverbrauchte Gesichter, die noch nie für irgendein Produkt Werbung gemacht haben», sagt Spink. Für Christian Grund, Fotograf der Zürcher Agentur Grundflum, steht aber fest: «Strassencastings haben auch Nachteile. Die Leute, die man auf der Strasse findet, sind weniger zuverlässig und erscheinen schon mal nicht zum Termin.» Und Takfor ergänzt: «Wenn eine Agentur meint, Streetcasting komme billiger, als ein Laienmodel über eine Agentur zu buchen, täuscht sie sich: Bis man das richtige Model findet, vergehen oft Stunden.» Bei ihr hingegen müsse man «nur» 170 Franken pro Tag hinblättern, um das richtige Model zu erhalten.
Um nicht mehr Aufträge zu verlieren, hat die Profimodelszene mit einem Preisdumping reagiert: «Die Preise für ein Model sind in den vergangenen Monaten bis zu 20 Prozent gesunken», sagt Siegwart. Selbst in Paris, Mailand, New York oder London finde man Profimodels, die günstiger arbeiten als noch vor einigen Monaten. «Zum Glück», wie er sagt. Für ihn und eine Mehrzahl von Kollegen steht nämlich fest: «Bei einigen Aufträgen kommt man nicht ums Profimodel herum. Man kann nicht mit einem Laienmodel für Gucci, Prada oder Dior werben. Wenn von diesen Plakaten irgendein Amateurmodel herunterschaut, nimmt einem das niemand mehr ab», sagt Siegwart.

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