«Wir waren zu wenig eigenständig»

Bilanz-Chefredaktor Medard Meier über die Konkurrenz und die Imagekrise der Wirtschaftspresse

Bilanz-Chefredaktor Medard Meier über die Konkurrenz und die Imagekrise der WirtschaftspresseVon Markus Knöpfli Nach Einschätzung von Chefredaktor Medard Meier hat sich die 25-jährige Bilanz recht gut durch die Onlineeuphorie und ein verändertes Konkurrenzumfeld manövriert. Angesichts des sich abzeichnenden Vertrauensverlustes gegenüber der Wirtschaftspresse scheint er hingegen (noch) etwas ratlos.
Herr Meier, wie gehts dem Geburtstagskind?
Medard Meier: (schmunzelt) Das Geburtstagskind ist in einem Segment platziert, das unter Druck steht – nach allem, was in der Wirtschaft vorgefallen ist. Die Bilanz bleibt aber nach wie vor sehr gut positioniert. Die Leserzahlen sind erfreulich. Zwar haben auch wir Leserinnen und Leser verloren, die andern aber doch viel mehr. Nach vier Superjahren befinden wir uns jetzt in einem nicht sehr guten Umfeld, das auch unseren Zustand definiert.
Ihren Zustand würden Sie als nicht sehr gut bezeichnen?
Meier: Er ist besser als der des Segments Wirtschaftspresse. Der Abschluss der Wirtschaftsmedien AG (WM AG) per Ende Juni war schwarz. Ohne Onlinebereich haben wir sogar höchst erfreulich abgeschnitten. Auch das jetzt laufende, verkürzte Geschäftsjahr (Juli bis Dezember 02) wird absolut annehmbar sein.
Bilanz hat mehrere Standbeine: Das Hauptheft, Bücher und Sonderhefte (inklusive Manager-Bilanz), den «Bilanz Business Talk» auf Presse-TV sowie der Onlinebereich. Welche Bereiche werfen Gewinn ab?
Meier: Online ist selbstverständlich rot. Das nehmen wir aber in Kauf, weil wir auf das Internet als Marketing- oder Archiv-Instrument nicht verzichten wollen. Der «Business Talk» wird von unserem Partner Sunrise getragen, wir müssen hier kein Geld verdienen. Er ist aber eine gute Event-Plattform. Die Sonderhefte und das Hauptheft werfen Gewinn ab, während die Manager-Bilanz durch einen Sponsor bezahlt wird – in den letzten fünf Jahren war das Arthur Andersen Schweiz.
Diese Firma gibt es nicht mehr, wer wird neuer Sponsor?
Meier: Wir haben drei bis vier Kandidaten, der Entscheid fällt aber erst etwa in einem Monat.
1997/98 sollen Sie nach einer längeren Rotphase wieder 750000 Franken Gewinn erwirtschaftet haben. Wie schwarz sind die Zahlen tatsächlich?
Meier: Nein, wir hatten im Hauptheft und bei den Sonderheften nur einmal, im Geschäftsjahr 1995/96, rote Zahlen. Damals lösten wir uns von den Senger Annoncen und investierten in eine eigene Anzeigenabteilung. Im Onlinebereich hingegen verloren wir über drei Jahre insgesamt mindestens zwei Millionen Franken, was die Erfolgsrechnung der WM AG jeweils runterzog.
Beim Wirbel um die Jean Frey AG blieb es bei der Bilanz bemerkenswert ruhig.
Meier: Weil wir schon Erfahrung mit Besitzerwechseln hatten, empfahl ich, dass wir uns eher still verhalten sollen, um nicht schon zum vornherein Geschirr zu zerschlagen. Jetzt läuft es gut, ich fühle mich sehr wohl. Zwar hat Filippo Leutenegger seine Aufgabe unkonventionell angepackt, der Erfolg kann sich aber bereits sehen lassen.
In den letzten zwei Jahren war es ruhig geworden um die Bilanz. Es gab kaum Innovationen.
Meier: Unsere Ratings – von den 300 Reichsten bis zu den besten Hotels – finden immer grössere Verbreitung. Unser Swissair-Buch wurde ein Bestseller. Wir haben die Special-Palette mit jährlich zwölf Sonderheften aufgegleist, zudem erscheinen die Manager- und seit zwei Jahren auch die Fonds-Bilanz je viermal pro Jahr. Das leisten wir mit einem 14-köpfigen Redaktionsteam.
Dennoch wurde es auch um einige Bilanz-Angebote ruhig: Vom Aktienführer hört man nichts mehr.
Meier: Richtig, der wurde zurückgefahren auf einen reinen Service. Der Führer war wohl eine Superidee, die aber schlicht nicht zu finanzieren war.
Die New Market-Bilanz…
Meier: …hat sich in Luft aufgelöst. An ihrer Stelle machen wir aber andere Dinge, demnächst ein Wein-Special.
Vor knapp zehn Jahren fusionierte die Bilanz mit dem Magazin Politik & Wirtschaft, Mitte der Neunzigerjahre lancierte man die Sonderhefte. Doch es gab auch verpasste Chancen: Statt neben dem Flaggschiff selbst eine wöchentliche Wirtschaftspublikation zu lancieren, liessen Sie Cash den Vortritt. Dann konkurrierten Borsalino und Moneycab den Aktienführer, schliesslich wurden Sie noch von Stocks überholt. Warum haben Sie diese Felder nicht oder nur halbherzig besetzt?
Meier: Cash konnten wir nicht kontern. Wir hatten zwar auch Ideen für eine Wochenpublikation, aber nie einen Verleger mit genügend Geld. Im Onlinebereich wollten wir auch etwas wie Borsalino machen, was sich aber im Nachhinein, sogar ohne Konkurrenten, als kaum finanzierbar herausstellte. Ich bin deshalb froh, dass rechtzeitig ein Stopp kam. Als hingegen Stocks erschien, war ich zuerst enttäuscht, weil es uns zuvorgekommen ist. Wir hatten mit einem deutschen Verlag als Lizenzgeber und einem anderen Schweizer Verlag ebenfalls ein pfannenfertiges Projekt. Aber heute bin ich heilfroh, dass wir nicht zum Zug kamen, denn das Heft des deutschen Verlages wurde mittlerweile eingestellt. Und es ist eine offene Frage, ob Stocks mit seinen derzeit 59000 Lesern in der heutigen Inserateflaute durchkommt. Kurz: Was Sie als verpasste Chancen bezeichnen, wären also lauter Umwege gewesen, die uns finanzielle Probleme gebracht hätten.
Sehen Sie das auch bei Annabelle Business und Cash Enterprise so, die Ihnen neuerdings bei den Frauen beziehungsweise bei den KMU das Wasser abgraben wollen – Cash notabene mit einem Ex-Bilanz-Mann.
Meier: Cash Enterprise wird wohl vorläufig kein Geschäft sein, sondern dank geschätzter 500000 Sponsorenfranken pro Jahr eine Breakeven-Veranstaltung, allein für den Lesernutzen. Und Annabelle Business ist ebenfalls keine verpasste Chance. Ich will die Bilanzleser nicht segmentieren. Ich will eine einzige Bilanz, die ja mit einem Leserinnen-Anteil von 32 Prozent sehr gut dasteht.
Sie befürchten also keinen Leserinnenverlust?
Meier: Nein, denn die Business-Frauen wollen nicht auf eine spezielle Weise bedient, sondern in der Bilanz voll mitgenommen werden. Natürlich könnte, ja, müsste man etwas mehr machen zum Thema Frau und Wirtschaft. Artikel, die sich aber krampfhaft um das Thema Frau drehen, finde ich schlecht.
Ist die Bilanz nun eher ein Flugzeugträger, an dem alle Angriffe praktisch schadlos abprallen, oder doch eher ein Gärtchen, bei dem andere immer frecher über den Zaun fressen.
Meier: Eher ein Flugzeugträger. Allerdings fürchteten wir damals, als Cash kam, dass wir wegen der unterschiedlichen Erscheinungsrhythmen ins Hintertreffen geraten könnten. Stattdessen wurde aber das Segment Wirtschaftspresse erst richtig interessant. Die Finanz&Wirtschaft und die HandelsZeitung verbesserten sich. Und alle wuchsen. Deshalb legten auch die Tageszeitungen im Bereich Wirtschaft zu. Heute haben wir sogar zwei Sonntagszeitungen mit einem starken Fokus auf die Wirtschaft. Weil nun diese starke Ausweitung der Wirtschaftsberichterstattung in den Deutschschweizer Medien erfolgt ist, kann ich mir nicht vorstellen, dass alle ungeschoren davon kommen.
Kommt hingegen die Bilanz unbeschädigt davon?
Meier: Ich denke schon, denn als Monatsmagazin steht sie in der Schweiz allein da, und die Auflagezahlen der Konkurrenz aus dem Ausland sind marginal. Wir müssen die Bilanz aber im Kern stets aktuell halten, innovativ sein und sie bezüglich Qualität nach der Spitze ausrichten. Nach den letzten drei Jahren muss man den Lesern eine Art neuen Kompass geben, denn sie sind frustriert darüber, was vor allem an den Börsen mit ihnen passiert ist und wie sie von Banken, Vermögensverwaltern und Analysten angelogen wurden. Das hat zu einem massiven Vertrauensverlust geführt. Für die Wirtschaftspresse wird es deshalb eine grosse Aufgabe sein, diese Leute als Leser bei der Stange zu halten.
Sie denken ans Swissair-Debakel, an die Interneteuphorie…
Meier: …an CS, Versicherungen, Ebner – lauter Katastrophen…
…die Diskussion um die Managerlöhne, und jetzt auch die überraschend hartnäckige Rezession – das alles hat ja nicht nur die Manager, sondern auch die Wirtschaftsjournalisten in den Senkel gestellt. Welche Konsequenzen haben Sie für die Bilanz gezogen?
Meier: Sie haben Recht, wir müssen über die Bücher. In gewissen Verlagshäusern war man bezüglich Ausbildung offensichtlich zu wenig vorbereitet. Auch wir waren zu wenig bei den Basics und achteten zu wenig darauf, was wirklich ein nachhaltig erfolgreiches Business auszeichnet. Die jetzige Korrektur fällt nun umso brutaler aus, was uns Wirtschaftsjournalisten künftig eine Lehre sein wird.
Was werden die konkreten Konsequenzen sein?
Meier: Sicher muss die Weiterbildung intensiviert werden. Und bei Neuanstellungen müssen wir genauer in den Rucksack schauen. Bilanz steht aber vergleichsweise nicht schlecht da. Bei uns haben die meisten Mitarbeiter ein Studium abgeschlossen. Die eigentliche Schmach der Analysten und Wirtschaftsjournalisten war aber, dass sie sich zu sehr von «neuen» Werten beeindrucken liessen. Und sie taten das als veraltet ab, was an der Uni gelehrt worden war. Am Schluss kam man auf die einfachen Wahrheiten zurück: Zum Wirtschaften muss man Eigenkapital haben und Gewinn machen. Kurz: Wir sind zu stark mitgeschwommen und waren zu wenig eigenständig.
In den letzten Jahren hat Bilanz 21000 Leser verloren, auflagenmässig steht die Zeitschrift auf dem tiefsten Stand der letzten zehn Jahre. Ist dies eine Folge des Vertrauensverlustes?
Meier: Ein Stück weit kann man das so sehen, wobei unsere Reichweiten im internationalen Vergleich immer noch hoch sind.
Wie packt die Bilanz nun die nächsten fünf Jahre an?
Meier: Im März werden wir die Bilanz einem Relaunch unterziehen und auch dem Rechnung tragen, was wir eben diskutiert haben. Die Details stehen noch nicht fest, aber es wird sichtbare, auch inhaltliche Veränderungen geben.
Wird das publizistische Konzept mit den vier Standbeinen beibehalten?
Meier: Das hat sich bewährt, ja.
Sie sind jetzt 51 Jahre alt. Wie lange bleiben Sie noch am Ruder?
Meier: (zögert, lacht) Ich bin seit 1984 dabei und seit 1990 Chefredaktor, die Aufgabe macht mir Spass. Monat für Monat eine neue Bilanz zu machen, bleibt faszinierend. Letztlich müssen mich aber meine Vorgesetzten beurteilen.
Denken Sie von sich aus ans Aufhören?
Meier: Nein.

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