Zweitprogramme in der Krise

Privatradios verschieben reihum die Starttermine ihrer kabelverbreiteten Zweitprogramme

Privatradios verschieben reihum die Starttermine ihrer kabelverbreiteten ZweitprogrammeVon Daniel Schifferle Von den in den späten Neunzigerjahren eifrig geplanten Zweitprogrammen für das Kabel wird kaum eines in nächster Zukunft realisiert. Die Starttermine werden reihum hinausgeschoben. Erst recht ist die Lust verflogen, nachdem der Pionier – 24 Plus – Anfang November bereits wieder dicht gemacht hat. Mit substanziellen Werbeeinnahmen rechnen die Zweitprogramme nicht.
In der zweiten Hälfte der Neunzigerjahre wurden Lokalradios von einem regelrechten Gründerfieber gepackt. Zweitprogramme für die ältere Hörerklientel wurden auf Teufel komm raus projektiert. Dabei ging es vor allem auch darum, mit Blick auf die neue Übertragungstechnik Digital Audio Broadcasting (DAB) den Markt zu besetzen. Heute sind von den sieben konzessionierten Zweitprogrammen gerade zwei auf Sendung: Top Two seit dem 2. Oktober 2000 und 32 Goldies seit dem 24. Oktober 2001. Fünf Projekte, und damit die Mehrheit der konzessionierten Plus-Programme, stehen weiter in Warteposition. Dazu gehören Aktuell 2, Sunshine Gold, die beiden Argovia-Projekte Hit Radio und SwissClassicRock, aber auch 105 Classic ist um mindestens ein halbes Jahr im Verzug.
Gemeinsam ist den noch nicht gestarteten Zweitsendern, dass sie alle viel zu spät dran sind und die in den Konzessionen gesetzten Fristen bis zum Sendestart nicht einhalten können. Verschiedene unter ihnen haben vom Bakom bereits Fristerstreckung erhalten oder entsprechende Gesuche hängig.
Der Paukenschlag kam Anfang November, als der Pionier der Zweitprogramme – 24 Plus – seinen Betrieb nach nur anderthalb Jahren bereits wieder einstellte. Tamedia hatte dem Sender keine Chance gegeben und ihn deshalb bei der Übernahme der Belcom gleich ausgeklammert. Der Tamedia-Entscheid ist ein schlechtes Omen für alle, die noch nicht auf Sendung sind. Sie sind sich ihrer Sache jetzt nicht mehr so sicher wie auch schon. «Wenn man Radio 24 Plus überhastet einstellt, ist das schon alarmierend», sagt Sunshine-Chef Markus Ruoss. Er hat für sein Projekt Sunshine Gold beim Bakom ein ganzes Jahr Fristerstreckung beantragt. «Nicht nur wir, auch alle anderen projektierten Zweitprogramme haben gemerkt, dass man die Vorabklärungen und Marktanalysen seriöser machen muss», erklärt Ruoss den zusätzlichen Zeitbedarf.
Volle Kabelnetze und zu hohe Übertragungsgebühren
Diverse Gründe werden von den Senderchefs für die verflogene Euphorie verantwortlich gemacht. Nach unten korrigierte Markteinschätzungen sind dabei nur die eine Seite. Als schwierigstes Hindernis wird übereinstimmend der Weg in die voll belegten Kabelnetze angeführt. Zwar bauen diese ihre Kapazitäten laufend aus, doch die zusätzlichen Kanäle sind schneller wieder weg, als sie entstehen. Eine weitere Folge der knappen Kabelplätze: Die Kabelnetzbetreiber verlangen jetzt von den Sendern Geld für die Verbreitung. Angesichts der niedrigen Budgets, welche die Zweitprogramme auszeichnet, entscheidet die Höhe der Vertriebskosten schnell über Sein oder Nichtsein.
«Wir wollen die Kabelverbreitung zum Nulltarif. Oder zumindest ohne Bargeld, das heisst, wir offerieren dem Kabelanbieter Werbung als Gegenleistung», sagt Ruoss. «So wie das viele ausländische Programme auch tun.» Ob die Netzbetreiber darauf eintreten, ist fraglich, hat doch das am 24. Oktober gestartete Radio 32 Goldies gerade erst ein Präjudiz in die andere Richtung geschaffen. Das Solothurner Zweitprogramm zahlt nämlich pro Jahr rund 100000 Franken für die Distribution. Und dies lediglich für die Aufschaltung in der Nordwestschweiz. Ruoss: «Würde man dies auf die gesamte Deutschschweiz umrechnen, kämen wir für Sunshine Gold auf einen Betrag zwischen 300000 und 500000 Franken.» Eine Grössenordnung, der er niemals zustimmen könnte. «Wir warten nun auf das von der Cablecom per Ende November versprochene konkrete Angebot, dann sehen wir, was Sache ist», ergänzt Ruoss.
Marschhalt: Analyse der Hörerbedürfnisse im Kabel
Das Problem der vollen Kabelnetze ist nicht neu. Bereits vor zwei Jahren hatte Ruoss eine Studie initiiert, welche die Situation von rund 80 Radios im Kabel umfassend analysiert. Die Untersuchung, an der sich Swisscable, SRG und einige Privatradios beteiligen, soll abklären, welche Sender beim Publikum gefragt sind und welche nicht. Der demnächst erwartete Bericht hat Brisanz. Denn er dient dem Verband Swisscable als Entscheidungsgrundlage für die Aufschaltempfehlungen zuhanden seiner Mitglieder. Damit werden die Weichen gestellt, welche Radioprogramme künftig zu welchen Bedingungen im Kabel vertrieben werden. Mit höchster Spannung wird das entsprechende Papier deshalb auch von den Verantwortlichen der projektierten Zweitprogramme erwartet.
Doch auch wenn diese Empfehlungen für die Zweitprogramme optimal ausfallen, das heisst kostenneutral sind, ist das noch nicht genügend Grund für Optimismus. «Alles muss stimmen», sagt Sunshine-Chef Ruoss. Gespannt ist er unter anderem auf die Resultate der Nutzungsanalyse in obiger Studie, die grobe Hinweise darauf geben wird, mit welchen Hörerzahlen die über Kabel verbreiteten Zweitprogramme rechnen können. Um alle noch offenen Fragen abzuklären, sei der in der Konzession festgelegte spätestmögliche Start um ein Jahr hinausgeschoben worden. Ob Sunshine Gold seine Geburt überhaupt erleben wird, steht im Moment noch völlig auf der Kippe. So jedenfalls tönt die Antwort von Sender-Chef Ruoss auf die Frage, wie hoch die Wahrscheinlichkeit sei, dass sein Zweitprogramm starte. «Zu 51 Prozent – oder etwas mehr.» Die Antwort spiegelt die auf absolute Sparflamme reduzierte Begeisterung für den neuen Sender.
Auf der Suche nach kostengünstigen Lösungen für die Kabelverbreitung werden derzeit alle Register gezogen. Um die Verbreitungskosten zu umgehen, wollen sich einige Senderchefs auf die Aufschaltpflicht gemäss Artikel 47 des RTVG berufen. 105 Classic hat ein entsprechendes Gesuch beim Bakom eingereicht. Die Antwort steht noch aus. So oder so kann sich aber auch 105 Classic, das die Konzession bereits seit einem Jahr im Sack hat, nicht an den ursprünglichen Fahrplan halten. Es hat beim Bakom ebenfalls Fristverlängerung eingegeben. «Im nächsten Frühjahr wird 105 Classic aber starten», gibt sich 105-Chef Giuseppe Scaglione optimistisch.
Noch mehr Zeit will sich Argovia lassen, das gleich zwei Kabelradios in der Pipeline hat: Hit Radio und SwissClassicRock. Laut Konzession müssten die beiden bis spätestens Dezember 2001 gestartet sein. Doch auch Argovia-Geschäftsleiter Roland Baumgartner will den Start um ein Jahr hinausschieben. Sein Hauptargument für die Verzögerung: «Die Kosten für die Kabelverbreitung müssen geklärt sein, erst dann kann man richtig kalkulieren.»
Bezüglich Einnahmen macht sich niemand Illusionen
Der Grund, warum neue Radioprogramme schon an den Distributionskosten zu scheitern drohen: Man kann mit ihnen kein Geld verdienen, deshalb darf man auch möglichst keins ausgeben. In den ersten zwei bis drei Jahren könne man mit keinen substanziellen Einnahmen rechnen, darüber sind sich die Senderchefs einig. «Mit Spots läuft praktisch nichts», sagt Top-Chef Günter Heuberger, der mit Top Two bereits seit etwas mehr als einem Jahr auf Sendung ist. Lediglich für Sponsoring sieht er einen Markt. Dass er aber damit die 600000 Franken jährlichen Betriebskosten für Top Two nicht wird einspielen können, ist auch ihm klar.
Überhaupt siehts für die Zweitprogramme in Sachen Werbung düster aus. Schon lange abgewinkt hat die Vermarkterin Radiotele AG. Man habe noch keine einzige Werbesekunde für ein Zweitprogramm verkauft, sagt Felix Kilchsperger, Verkaufsleiter der Radio-Unit. Da hilft auch das Drängeln der Sender nichts, die von der Radiotele AG ernster genommen werden möchten. Kilchsperger hat dafür klare Worte: «Die Programme bringen nationalen Werbekunden weder Leistung noch Extensivhörer, noch erschliessen sie neue Hörerschichten. Also was solls?» Seine Einschätzung der Zweitprogramme lässt keinen Interpretationsspielraum zu. «Wer hört schon Kabelradio. Schade um das Geld, das Sender in diese Programme verlochen», schimpft er und meint: «Ich würde den Privatradios raten, dieses Geld in ihre ersten Programme zu investieren, dort gibt es noch einiges zu verbessern.» Chancen im Werbemarkt sieht Kilchsperger «beim besten Willen» keine. «Wenn die Angebote bei uns bereits in der Offertphase durchfallen, sehe ich für diese Sender auch sonst keine Möglichkeit, bei den Werbeauftraggebern einzusteigen», ist er überzeugt.
Hörerzahlen sind ein heisses Eisen
Das Wichtigste, was den neuen Sendern fehlt, sind Hörerzahlen. Eigentlich wären solche Forschungsergebnisse ja da, denn die Programme werden von der Publica Data automatisch miterhoben. Die Resultate werden allerdings nur auf Auftrag und Bezahlung durch die Sender bekannt gegeben. Und genau da klemmts. Top-Chef Günter Heuberger versichert, er habe bei der Publica Data noch nie Hörerzahlen von Top Two angefordert oder eingesehen. «Vielleicht aus einer Art Selbstschutz heraus», gesteht er, «vielleicht will ich es gar nicht wirklich wissen.» Deshalb könne er keine Angaben machen. Und dies, obschon der Sender bereits seit über einem Jahr im Kabel ist.
Von solch wenig erfreulichen Perspektiven, was Hörerzahlen betrifft, lassen sich die anderen aber kaum beirren. Ihre Ziele bleiben mehr als ehrgeizig. André Moesch glaubt, dass sein Aktuell 2 «ein Viertel bis ein Drittel» der Hörerschaft des ersten Programms erreichen kann. Peter Scheurer ist nicht weniger optimistisch. Der Senderchef rechnet für sein 32 Goldies nach dem ersten Jahr bereits mit 20000 Hörern, längerfristig sogar mit 40000. «Damit hätten wir die Musigwälle 531, das heute stärkste Kabelradio in unserem Verbreitungsgebiet, knapp überholt. Das ist unser Ziel.»
Die fehlenden Hörerzahlen sind nur ein Grund für die Auftraggeber, nicht zu buchen. Auch das Altersspektrum der angesprochenen Zielgruppen entspricht nicht den aktuellen Wünschen der Werbewirtschaft. Denn die Plus- oder Oldies-Programme sind per definitionem auf ein älteres Publikum ausgerichtet.
Trotzdem sind die beiden bereits in Betrieb stehenden Sender nicht werbefrei. Das ist aber nur so, weil die Spots vom ersten Programm gratis auch noch im zweiten gesendet werden. So machens Top Two und 32 Goldies. Peter Scheurer, Senderchef von 32 Goldies, möchte aber versuchen, «nach einem Jahr einen kleinen zusätzlichen Betrag in der Grössenordnung von zwei Franken pro Sekunde» zu verrechnen.
Dank billiger Produktion auch ohne Einnahmen verkraftbar
Solch mickrige Einkommensperspektiven sind nur akzeptabel, weil die Zweitprogramme spottbillig produziert werden. Möglich machts die digitale Studiotechnik, die Programme theoretisch gleich im Dutzend zusammenstellen kann. Für Handling und Ansagen reicht eine Person – oder weniger: Argovia plant sogar für beide Sender, also für Hit Radio und SwissClassicRock, nur einen Mitarbeiter ein. Eigenproduktionen sind deshalb von den Zweitprogrammen kaum zu erwarten. Neben dem Musikteppich sind sie weitestgehend reine Zweit- und Drittverwertungskanäle ihrer ersten Programme.
Mit so wenig Aufwand lassen sich Kosten tief halten. Zwei Beispiele: 32 Goldies setzt gerade mal 300000 Franken Betriebskosten pro Jahr ein. Am anderen Ende steht Top Two, das 600000 Franken aufwendet. Trotzdem ist auch dies viel, wenn kein Geld zurückfliesst. Sind Zweitprogramme also nur preisgünstige Spielwiesen im Blick auf das zeitlich weit entfernte DAB? Aktuell-Chef Moesch denkt in die Richtung: «Zweitprogramme bieten eine Möglichkeit zum Experimentieren, man lernt viel übers Handling.»
Andere Veranstalter streichen die Potenziale der Zweitprogramme angesichts der sich rasch wandelnden Musikrichtungen hervor. Sie eigneten sich deshalb vorzüglich als bequeme und kostengünstige Plattformen für das Abzügeln von nicht mehr zum Mainstream passenden Elementen. Man könne auf diesen Sendern spezielle Hörerbedürfnisse weiter pflegen, sagen sie.
Zweitprogramme der Privatradios

Sprachregionale Plus-Varianten gestartet am
24 Plus am 1. 11. 01 eingestellt
Radio 105 Classic Start verschoben
Radio Sunshine Gold Start verschoben
Hit Radio Start verschoben
SwissClassicRock Start verschoben
Lokale/regionale Plus-Varianten
Top Two  2. Okt. 2000
Radio 32 Goldies 24. Okt. 2001
Aktuell 2 Start verschoben

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