Aufgefallen: Letztes Wochenende war die Eröffnung der 49. Biennale von Venedig das Feuilletonthema der Presse.

Letztes Wochenende war die Eröffnung der 49. Biennale von Venedig das Feuilletonthema der Presse. Auch die Schweizer Presse berichtete ausführlich und prominent über die alle zwei Jahre stattfindende Leistungsschau der Gegenwartskunst. Wer jedoch in

Letztes Wochenende war die Eröffnung der 49. Biennale von Venedig das Feuilletonthema der Presse. Auch die Schweizer Presse berichtete ausführlich und prominent über die alle zwei Jahre stattfindende Leistungsschau der Gegenwartskunst. Wer jedoch in der um ihre Kulturberichterstattung nicht verlegene italienische Tageszeitung La Repubblica darüber lesen wollte, guckte zumindest während der 3-tägigen Vernissagezeit ins Leere. Nicht einmal am Sonntag konnte man sich über die Eröffnungsfeier vom Samstag informieren, obschon am Anlass auch zahlreiche italienische Regierungsmitglieder zu Wort gekommen sind. Aber eben solche, die nichts mehr zu sagen haben … Wie dem auch sei, die Organisatoren der Biennale sorgten mit einem geschickten Schachzug dafür, dass am Sonntag trotzdem auf der Frontseite für die internationale Kunstausstellung geworben wurde. Wie? Indem sie frech ein Inserat darauf platzierten, das alle nötigen Infos inklusive Internetadresse enthielt. Und bekanntlich können manche Leser nicht zwischen Anzeigen- und Redaktionsteil unterscheiden. Chandra Kurt
Kolumne

Kopflinienrichter
von Martin Lanz
80 Prozent der Leute lesen von einem Inserat nur die Headline. Wird sie nicht verstanden, sind von einer Million Franken achthunderttausend veruntreut worden. Texten ist also eine sehr verantwortungsvolle Aufgabe. Mein Freund Markus Ruf zitiert in seiner letzten Kolumne diese Schlagzeile: «Viele Unternehmen sammeln die Erfahrung, die sie gebraucht hätten, um den richtigen Computer zu kaufen, am falschen Computer, den sie gekauft haben.» Capito? Kurz? Schnell zu verstehen? Was solls! Wir Texter sind uns einig: mega.
Oder wie finden Sie diese hier von WHS? Sie gehört zur brillanten Reihe der Tages-Anzeigen, und ist noch ziemlich jung: «Bleibt Maradona jetzt nur noch eine Karriere als Linienrichter?» Ich nehme an, dass der Witz in diesem Text von weniger als einem Prozent verstanden worden ist. Sicher aber von Christoph Daum. (Aber wer ist denn das?) Man muss nämlich etwas von Fussball verstehen und viel von Kokain.
Was ist von Texten zu halten, die eine kleine Minderheit brillant findet und eine grosse Mehrheit nicht versteht? Die Frage muss beantworten, wer diese Arbeiten bezahlt. Offensichtlich finden sich immer wieder Sprachsponsoren, die uns Schreibern den Spass am Job finanzieren. Man könnte also künftig Headlines verfassen, die nichts mehr mit dem Produkt zu tun haben. Zum Beispiel: «Katzen würden Whisky kaufen.» Als Fussnote dürfte der Auftraggeber anmerken. *Dieses Inserat für Red Label wurde von Whiskas gepowert.
Ziemlich besoffen, wie? Vielleicht haben Sie inzwischen den Titel dieser Kolumne verstanden. Sie gehören dann zur ganz grossen Mehrheit. Doch wer will dort schon dazugehören! Und darum finde ich meine Kopflinie so giga schlank, dass ich sie am liebsten der Unilever verkaufen würde. Für Linea. Statt der knauserigen WerbeWoche. Für hundert Franken.
malanz@bluewin.ch
Martin Lanz ist freier Texter und
Leiter der Kreativ-Akademie Zürich.
Sprachbeobachter

Du oder Sie (I): You can say you to me
Am Anfang waren alle per Grunz. Erst im Laufe der Geschichte schlugen sich gesellschaftliche Unterschiede auch in der Anrede nieder. Es soll Cäsar gewesen sein, der den Menschen die Höflichkeit beigebracht hat. Nach seinem Sieg über Pompeius wollte er mit Ihr angesprochen werden: im Plural. Der Grund war einleuchtend. Er vereinte die Macht, die zuvor auf mehrere verteilt gewesen war, auf sich allein.
Der früheste deutsche Beleg für das Ihrzen stammt aus dem Jahr 865, als Otfried von Weissenburg den Bischof Salomo von Konstanz mit diesem so genannten Pluralis reverentiae ansprach. Die Höflichkeitsform setzte sich in der Folge so klar durch, dass der Sprachforscher Johann Christoph Adelung um 1800 schrieb: «Du wird nur noch 1. gegen Gott, 2. in der Dichtkunst, 3. in der Sprache der engen Vertraulichkeit und 4. in dem Tone der hochgebiethenden Herrschaft und der tiefen Verachtung gebraucht.»
Selbst das Ihr war bald nicht mehr vornehm genug. An seine Stelle trat zunehmend das Sie. 1799 stiess sich ein Deutscher im Bündnerland daran, dass «die Fremden von Adel zwar in grosser Gastfreundschaft aufgenommen werden, es sich aber gefallen lassen müssen, mit Ihr angeredet zu werden». Das passierte bei einem Besuch 1814 auch Kaiser Alexander von Russland am Rheinfall, dem der Schiffer, als er im schwankenden Kahn aufstehen wollte, zurief: «Hocked abe, Majeschtät!»
Noch 1830 redeten die Kinder ihre Eltern mit Sie an. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts übernahmen die Gewerkschaften das Du als Ausdruck der Brüderlichkeit. Ab 1968 breitete es sich von den studentenbeunruhigten Universitäten aus wie ein Lauffeuer und etablierte sich als Standard im privaten Umgang. Es riss die Barrieren zwischen den Menschen nieder – und richtete neue auf: Wer gesiezt wurde, galt nun als Aussenseiter. Während das Sie früher als höfliche Ehrbezeugung gegolten hatte, markierte es nun soziale Distanz: Sie – das war der Klassenfeind, während das Du für Solidarität und Zusammenhalt stand.
Das nutzten einige Unternehmen und verankerten das Du bindend in der Corporate Language. Nicht alle Angestellten waren damit einverstanden: Erst kürzlich hat ein Abteilungsleiter vor Gericht geklagt, weil er sich nach der Übernahme seiner Firma durch ein «unkonventionelles Unternehmen mit Stammsitz in Schweden» (Gerichtsprotokoll) nicht zwangsduzen lassen wollte. Doch das Gericht befand, das Duzen stelle «keine Demütigung oder Erniedrigung der Person dar», da sich «alle Mitarbeiter einschliesslich der Chefs» duzen würden. (Handelsblatt vom 29. 7. 1998)
Anders im öffentlichen Verkehr: Wer in Deutschland einen Polizisten duzt, muss mit einer Busse bis 1200 Mark rechnen. In der Schweiz sieht man das nicht so eng. Polizeisprecher Bruno Kistler: «Wer im Kreis 4 auf Patrouille geht, wird fast ausschliesslich geduzt. Das darf man nicht persönlich nehmen.» Immerhin verwenden mittlerweile auch sechzig Prozent aller Fernsehspots am Schweizer Fernsehen die Du-Form.
Beat Gloor, www.textcontrol.ch

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