«Weniger Slogans, mehr harte Facts»

Corporate Publishing wird «Werbekönig», weil es mehr Nutzen bietet als Gags und Emotionen

Corporate Publishing wird «Werbekönig», weil es mehr Nutzen bietet als Gags und EmotionenVon Roger BoulleViele Markenartikler und Markenmacher in Deutschland sehen die Zukunft von Werbung und Kommunikation immer mehr in der Vermittlung von Inhalten. Corporate Publishing (CP) soll den Kunden bei der Lösung ihrer grossen und kleinen Probleme helfen. In der Schweiz wird dieser Trend noch mit Vorbehalten beobachtet.
«Um sich im Wettbewerb zu differenzieren, braucht man heute richtig guten Content», ist Volker Lindemann überzeugt. Der Marketingdirektor der Beratungsfirma PricewaterhouseCoopers in Deutschland hat den Markt lange genug studiert und entdeckt: «Belanglose Informationen gibt es im Überfluss, und an der Oberfläche arbeiten alle mit den gleichen Schlagworten.»
Mit konkretem Inhalt, so Lindemanns Credo, lassen sich deshalb in der Kommunikation deutlich bessere Ergebnisse erzielen als mit herkömmlichen Kampagnen: «Slogans sind zu wenig, die Kunden wollen genau erfahren, wo der Vorteil für sie liegt.»
Mit der Forderung nach mehr nützlichem Inhalt in Werbung und Kommunikation sind Lindemann und die Branche der Unternehmensberater in Deutschland nicht mehr allein. Möglichst intelligenter Content und die Vernetzung der Inhalte über alle Medien sollen die neuen Konzepte sein im Kampf um der Kunden Geld und Treue.
Das klingt bekannt. Ist es diesmal wirklich so weit? Schwingt das Pendel nach Jahren der emotionalen Kommunikationsform als Trumpf jeder Werbung wieder in die andere Richtung der eher nüchternen Information zurück?
«Das ist mit Sicherheit der grosse Trend in der Werbung der kommenden Jahre», sagt Peter Mentner, Partner in der Kommunikationsagentur Ahrens & Behrent, Mentner in Hamburg. Der Kunde sei mit Emotionen nicht mehr zu packen, deshalb wird für den Kunden «relevanter Content in der Kommunikation der Zukunft den Ausschlag geben». Der Konsument der Internetgesellschaft verlange «immer mehr nach Information und immer weniger nach Schmus».
Emotion und Content können sich auch ergänzen
Noch nicht ganz so überzeugt von einem baldigen Niedergang der emotionalen Werbung äussern sich CP-Spezialisten in der Schweiz zu diesem Trend in Deutschland. «Corporate Communications, welche strategisch die integrierte Unternehmenskommunikation zum Ziel hat, setzt klassische Werbung als ein Instrument im koordinierten, aufeinander abgestimmten Gesamtkommunikationsmix ein», differenziert Maja Amrein, Leiterin Corporate Communications beim Migros-Genossenschafts-Bund.
Viviane Egli von der Frontpage AG kommentiert: «Emotion versus Content: Da bin ich nicht ganz einverstanden.» Als Gegenbegriffe «und sich ergänzende Massnahmen» sieht sie eher «Content und Fokusaussage». Zwar sei es eine Tatsache, dass wir in der legendären und realen Informationsüberflutung alle, welcher Zielgruppe wir gerade auch angehören, nach Übersicht, nach Guides, nach klärender Erläuterung und nach dialogischem Austausch dürsten. «Hier hilft Corporate Publishing, egal, ob eher in nüchterner oder eher in emtional aufbereiteter Form», meint Viviane Egli. Corporate Publishing wird deshalb «nochmals an Stellenwert gewinnen».
Doch welcher Content kann Kunden binden? «Die ungezählte Neuauflage alter Printinhalte kann es nicht sein, wenn Konsumenten gewonnen werden sollen», analysiert Manfred Hasenbeck, Chef der Contentfirma Yukom in München und Präsident des Branchenverbandes Forum Corporate Publishing (FCP). Er fordert zielgruppenspezifische Inhalte, medienspezifisch aufbereitet und, wann immer es geht, mit individuell abrufbaren Zusatzinfos: «Wir bauen ein Buffet auf, an dem die Zielgruppe sich lustvoll bedienen kann.»
Der Trend nach mehr Information fordert von den Unternehmen fast aller Branchen ein massives Umdenken. «Die zusätzliche Herausforderung», erklärt der Sprecher der Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerke AG in Essen, Dieter Schweer, «liegt darin, dass Unternehmen ein ganzes Universum von Zielgruppen bedienen müssen: Kunden, Mitarbeiter, Zulieferer, aber auch Aktionäre und Investoren.»
Content ersetzt Werbung bei der Kundenbindung
Im Windschatten der informationstechnischen Kundenbindung segeln somit zwei altbekannte Schlagworte mit: One-to-one-Marketing und integrierte Kommunikation.
In der neuen Welt der Kundenorientierung kann ein integriertes Konzept tatsächlich die besten Ergebnisse bringen: Über den Inhalt wird der Kunde gewonnen. Über einen kontinuierlichen Strom von Informationen aus vielen Quellen wird er gebunden. Über Querverweise wird er vom Ladengeschäft an das Magazin, vom Print ins Internet und von da zum Bestellformular durchgereicht. Am Ende steht das Konzept einer lebenslangen Kooperation des Verkäufers mit «seinen» Kunden – und auf allen Kanälen.
Der Trend heisst also: Die Umsetzung der integrierten Kommunikation könnte schon bald zur nackten Notwendigkeit im Konkurrenzkampf der Marken auf mit Waren überschwemmten und mit Werbung voll gepumpten Märkten werden. Der bequeme Weg – 50 Millionen Mark Werbeinvestition, eine Kampagne, und schon hat man zehn Prozent Marktanteil – ist längst umstritten. In der Zukunft wird er ins Abseits führen.
«In einer an Service orientierten Ökonomie», bestätigt BWL-Professor Horst Wildemann von der Technischen Universität München, «werden die Winner direkt mit ihren Kunden kommunizieren. Sie werden denen die besten Inhalte und die attraktivsten Lösungen für ihre individuellen Probleme anbieten.»
Entscheidend wird sein, dass der Kunde mit klaren Informationen überzeugt und dauerhaft gepflegt wird. «Die Kundenbeziehung soll eine Lebensbeziehung werden», so Wildemann, «für den Anbieter wird sie ein Investitionsprojekt, bei dem hohe Aufwendungen für den Content durch eine entsprechend hohe Kundentreue im Lauf der Zeit amortisiert werden.»
In einem solchen Konzept der integrierten Kundenpflege wird Corporate Publishing eine wichtige Rolle übernehmen. Viviane Egli meint dazu: «Corporate Publishing ist prädestiniert, als strategisches Nervenzentrum eines integrierten Kommunikationskonzeptes zu funktionieren.» Je nach Situation oder Zielgruppenbeschaffenheit könne aber auch eine andere Kommunikationsdisziplin wie klassische Public Relations im Mittelpunkt stehen. «Ein weiter Horizont, eine offene Haltung der Kommunikationsspezialisten ist diesbezüglich gefragt.»
Mit grossem Erfolg darf jeweils nur der Erste rechnen
Die Unternehmen können sich künftig immer weniger auf die Zugkraft der Kreationen ihrer Werbeagenturen verlassen. Tatsächlich wird auch unter Werbern, Unternehmensberatern und Markenmachern bereits heute die Multichannelkommunikation von Informationen hoch eingeschätzt.
Diese Konzentration auf Kundenorientierung und Service wird zu einem Wettlauf um die besten Inhalte führen. Die Unternehmen müssen Themenfelder besetzen, auf denen ihnen der Konsument Kompetenz zutraut. Durch ständige Pflege der Inhalte wächst die Firma in eine neue Glaubwürdigkeit.
Dies zeigt sich in der Praxis am Beispiel von Mercedes. Schon heute konkurriert die Nobelmarke über ein Kundenmagazin mit den Tourismusunternehmen um die Gunst der Mercedes-Fahrer beim Ferienshopping. Der Kaffeeröster Tchibo beglückt seine Kunden mit einem TV-Programmheft, das kostenlos im Kundenmagazin eingeheftet ist. VW will mit der mobilen Notrufsäule, die per Handy in jedes Auto eingebaut wird, den ADAC aus dem Geschäft mit den «gelben Engeln» verdrängen. Überall ist nützlicher Content der Köder für den Kunden.
Findige Unternehmer haben die strategische Bedeutung von zusätzlichem Content für ihr Geschäft längst erkannt. Sie wissen, dass auf jedem Gebiet immer nur der Erste den grössten Erfolg haben kann. Denn ein Content kann nicht von beliebig vielen Anbietern gleichzeitig zur Mehrung der eigenen Glaubwürdigkeit genutzt werden.
Die Unternehmen müssen umdenken. Sie brauchen Inhalte, die zu ihrem Image passen und für den Kunden wertvoll sind. Nur guter Content lockt Kunden an.
Richtig vermittelte Information ist nicht Massenwerbung im TV
Branchen wie Unternehmensberater, Versicherer oder Autohersteller sind in den Wettbewerb um den besten Content längst eingestiegen. Bei Waschmitteln und Schokoriegeln wird es dagegen emotionale Massenwerbung auch noch in hundert Jahren geben. Doch das ändert nichts daran, dass der Servicetrend inzwischen mächtige Verbündete hat:
• Das Internet wird sich als Infomedium für genau definierte Inhalte durchsetzen. Es verändert das Informations- und Kommunikationsverhalten der Menschen stärker in Richtung Information und weniger Richtung emotionale Ansprache.
• Das Interesse der Öffentlichkeit an Unternehmen und ihrem Wirken wird grösser. Sei es durch die BSE-Krise, durch Genforschung oder Genmanipulation: Die Konsumenten wollen Klarheit über Vorgänge, die bisher niemanden interessiert hatten.
• Die private Altersvorsorge, die ein Massenpublikum dazu zwingt, sich an der Börse nach geeigneten Investitionsobjekten umzusehen, lässt das Interesse an den Unternehmen rapide ansteigen.
Alle drei Tendenzen bestärken die Forderung nach besseren Inhalten. Das Unternehmen stösst am Markt auf eine Nachfrage nach Informationen, die, richtig vermittelt, das eigene Image und Geschäft fördern können. Sicher besser als Massenwerbung im TV.
Daraus lässt sich folgern, dass das Internet ein anderes Informationsverhalten prägt. Die Konsumenten lernen durch das neue Medium, sich an Inhalten und Informationen zu orientieren. «Mit Werbung alter Emotionsschule kann in der Onlinewelt nicht mehr viel erreicht werden», sagen die deutschen CP-Spezialisten. Hier ergänzt Viviane Egli: «Welche Träger für das Corporate Publishing künftig die wichtigsten sind – das gedruckte Magazin, das Internet oder die audiovisuelle Form – ist eine Frage des Mixes, der Zielgruppenbedürfnisse, der Zielgruppengewohnheiten und der Budgets.» Hauptsache sei aber in jedem Fall, dass diese Inhalte mit journalistischen Mitteln erzählt werden.
Eine solche informative Kommunikation hat auch bei der Selbstdarstellung der Unternehmen einen hohen Stellenwert. Die Konsumenten wollen von den Unternehmen Informationen über ihre Produktionsmethoden, über den Wert des Unternehmens in der Zukunft und immer mehr auch über die Fairness der Firma als Brötchengeber, denn: Das Image des Unternehmens wird in Zukunft die Akzeptanz der Produkte und Marken mitprägen.
Reine Imagekampagnen bringen zu wenig Aufmerksamkeit
Aufgeschreckt wurde das Marketing in letzter Zeit zusätzlich durch das Aktienfieber von immer mehr Anlegern. Was bedeutet das Börseninteresse breiter Bevölkerungskreise für den Wert der Marke und das Unternehmensimage? Wie kann die Börsenkommunikation in das Marketing integriert werden? Hat das Aktienimage Auswirkungen auf die Akzeptanz der Produkte? Urplötzlich sind Fragen über Fragen aufgetaucht, die sich nur noch mit intensiver Kommunikation befriedigen lassen.
Der Werbemanager Johannes C. Röhr will das Marketing auf eine neue Basis stellen. «Die Unternehmen sollten den Shift von der traditionellen Unternehmenskommunikation zur Börsenkommunikation machen», fordert der Geschäftsführer Kundenberatung von KNSK Slagman Werbeagentur GmbH in Hamburg. Für ihn wird damit «die traditionelle Imagewerbung einfach ersetzt».
Für Röhr ist offenkundig, dass heute das Interesse des breiten Publikums an Finanzinformationen andere Themen erdrückt. Mit reinen Imagekampagnen und deren eher unverbindlichen Inhalten wie zum Beispiel Umwelt oder Arbeitsplätze könne keine grosse Aufmerksamkeit mehr gewonnen werden. «Aktien- und Börseninformationen wecken heute bei den Konsumenten die stärkeren Emotionen», glaubt Röhr.
Nach den Kampagnen von Telekom, Infineon und Aktie Gelb sowie nach der dramatischen Entwicklung der Technologieindexe sind Finanzthemen zu echten Publikumsthemen geworden. Dieser Wertewandel bei den Konsumenten wurde in Deutschland durch die Rentenreform noch verstärkt. In Zukunft müssen die Verbraucher nach dem Willen der Politiker eine eigene Altersvorsorge als zusätzliche Rente aufbauen. Die Beteiligung am Produktivvermögen über Aktien gilt dabei derzeit als die beste Empfehlung.
Unternehmen müssen am öffentlichen Diskurs teilnehmen
Beflügelt wurde die neue Thematik wohl am stärksten durch die Popularisierung der schnellen Reichtümer, die mit Aktien von Hightechfirmen von Siemens bis Yahoo gemacht werden konnten. Die Börse wurde zum Stammtischthema. Neue Printmagazine und TV-Formate verstärken den Trend. Inzwischen haben die Börseninformationen auch die wichtigsten Nachrichtensendungen infiziert. ZDF und ARD bringen jeden Abend «volkstümelnde Börsenberichte». In der Schweiz bedient uns neben der «Tagesschau» demnächst sogar ein eigener Börsenkanal, Money 24, mit solchen kursrelevanten «Image-Werbungen».
Dass mit der Kommunikation um die Geldanlage herum Kunden geködert werden, anerkennen auch die Macher einschlägiger Spezialtitel. «Immer mehr Aktiengesellschaften wissen: Wenn sie richtig erfolgreich sein wollen, müssen sie nicht nur um Kunde König, sondern auch um Kaiser Aktionär kämpfen», erklärt Hans Linder, Herausgeber von Börse Online. «So mancher Kunde wird dann zum Aktionär, und Aktionäre werden gleichzeitig zu Kunden.»
Für solche Kunden ist
die Lieferung wertvoller Informationen ein Kernstück des Konzepts «service to success», bei dem sich der Anbieter an den Wünschen der Kunden stärker orientiert als an den eigenen Kernkompetenzen: «Der Kunde darf nicht mit Informationen bombardiert werden, aber
wir brauchen eine interessante und für den Verbraucher jederzeit abrufbare Mischung aus Unterhaltung und Information», sagt Horst Wildemann von
der Technischen Universität München.
Ob das dann über ein Printobjekt, eine TV-Sendung oder eine Site im Internet geschehe, sei unwichtig. Entscheidend sei allein die interessante Darbietung eines relevanten Stoffes.
Kommunikationsberater Peter Mentner empfiehlt Unternehmen die Orientierung an den grossen Themen der Öffentlichkeit. «Das gesellschaftliche Umfeld liefert die Themen, die Firmen müssen sie sich zu Eigen machen.»
Im Idealfall überstrahlt dann das Unternehmensimage dasjenige der einzelnen Produkte: Das Unternehmen präsentiert sich als Partner des Kunden. Bei der Versorgung mit Produkten, bei der Geldanlage mit Aktien und bei der Suche nach einem Job – und immer mit einem Platz in den eigenen Reihen. Bearbeitung: Andreas Panzeri

Weitere Artikel zum Thema