Ottfried Jarren: Innere Pressefreiheit muss hochgehalten werden

Die Reorganisation bei der Mediengruppe Tamedia ist für den Publizistikwissenschaftler Otfried Jarren ein «weiterer Konsolidierungsschritt im schwierigen Markt» des tagesaktuellen Journalismus. Er plädiert dafür, dass auch in der neuen Organisationsstruktur die innere Pressefreiheit hochgehalten werden muss.

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«Jeder Verlust ist problematisch», sagte der Professor am Institut für Publizistikwissenschaft und Medienforschung an der Universität Zürich am Mittwoch im Gespräch mit der Nachrichtenagentur SDA. Es sei die Aufgabe von Journalistinnen und Journalisten, die Gesellschaft zu beobachten und die Welt zu erklären. «Unterschiedliche Redaktionen sind verschieden geprägt und rapportieren und kommentieren unterschiedlich.»

Je weniger eigenständige Redaktionen es gebe, umso mehr schränke sich das Spektrum der Reflexion des demokratischen Prozesses ein, sagte Jarren. Nun müsse es darum gehen, auch in den neuen Strukturen Vielfalt zu sichern und die innere Pressefreiheit zu wahren. Dies erfordere gutes Management. «Wir brauchen unabhängige Journalisten, die autonom arbeiten können.»

Qualität sichern

Erleichtert zeigte sich Jarren darüber, dass vorerst keine Stellen abgebaut werden sollen. Gespart werde vermutlich erst einmal über den sinkenden Verwaltungsaufwand.

Es sei auch erfreulich, dass Tamedia mit den Mantelredaktionen auf Kompetenz setze und schlagkräftigere Recherche in Aussicht stelle. «Es wird sich zeigen, ob sie leisten können, was sie versprechen.» Von Tamedia als bedeutendem Verlagshaus könne man aber erwarten, dass die «leitenden Persönlichkeiten alles tun werden, um die hohe Qualität zu sichern oder auszubauen».

Der Trend zu engerer Zusammenarbeit ist aus Sicht des Wissenschaftlers nicht böser Wille der Verlage. Im Gegenteil sei dies nötig, um im Pressemarkt mit seinen strukturellen Problemen überleben zu können. Viele Konsumenten seien nicht mehr bereit, für Medieninhalte zu bezahlen. Zudem sind die Werbeerträge rückläufig.

Tamedia will daher vermehrt «digitale Wachstumschancen nutzen» und mehr Digitalabonnemente generieren, wie das Unternehmen mitteilte. Mithelfen sollen dabei unter anderem personalisierte News, eine Video-App und Audio-Artikel. Die Erfolgsaussichten beurteilt Jarren gemischt. Die Frage sei, was das Publikum wolle und was die Werbung finanzieren könne. «Es gibt wohl keinen Königsweg. Auf jeden Fall braucht man guten Inhalt.»

Eine Paywall für allegemeine Inhalte durchzusetzen sei schwierig, weil es immer gratis Konkurrenzangebote geben wird, wenn auch vielleicht von schlechterer Qualität.

Die Strategie, sich im Lokalen zu profilieren, sei gut. «Dort erreicht man Leute, kann Märkte gut bearbeiten», sagt Jarren. Aber es bestehe auch die Gefahr, dass Regionalteile zu grossflächig geraten, so Jarren. «Die Frage ist, ob man diesen Spagat hinbekommt.»

Markt regelt nicht alles

Langfristige Prognosen über die Schweizer Medienlandschaft sind laut dem Publizistiker schwierig. Ein Negativszenario sei, dass es immer mehr Einschränkungen geben werde. In der Romandie stehe es um die publizistische Vielfalt schon jetzt «kritisch». «Der Markt wird das wohl nicht von alleine regeln», so Jarren, der auch als Präsident der vom Bundesrat eingesetzten Eidgenössischen Medienkommission (EMEK) amtet.

Um die journalistische Versorgung sicherzustellen seien auch öffentlich finanzierte Medien wie die SRG und privat konzessionierte gefragt. Hier müsse man sich überlegen, wie der Leistungsauftrag der SRG etwa auch im Bezug auf die Regionen aussehen könne. Auch die Frage der Medienförderung werde sich stellen. (SDA/lif)

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