«So eine Webcam will ich auch»

Internetwerbung Je stärker das Internet als Publikationsmedium genutzt wird, desto grösser wird die potenzielle Werbe- und Anzeigenfläche.

Internetwerbung Je stärker das Internet als Publikationsmedium genutzt wird, desto grösser wird die potenzielle Werbe- und Anzeigenfläche. Die grösste Wirkung erzielt Werbung, wenn
sie im redaktionellen Teil eingebettet ist, das gilt auch im Netz.
Selbst wenn die Absicht eine andere war, handelt es sich hier um
Onlinewerbung – avant la lettre sozusagen.

Die Episode hat sich Mitte März im US-Bundesstaat Oregon zugetragen:
Eine 17-Jährige, nur bekannt unter Melody, ihrem Vornamen,  und
dem Pseudonym «Bowiechick», trennt sich von ihrem Freund. 75 Sekunden
lang berichtet sie davon freimütig der Weltöffentlichkeit. Dafür nutzt
sie eine Webcam und ihren Computer. Das aufgezeichnete Video lädt
Melody auf die Videoplattform
youtube.com.

Bis heute haben von der Trennung knapp eine Million Menschen Kenntnis
genommen. Die meisten davon interessieren sich jedoch weniger für das
zwischenmenschliche Drama als für die Gerätschaft, mit der Frau
Bowiechick die Botschaft aufgezeichnet hat. Mit der Logitech QuickCam
Orbit MP lassen sich nämlich lustige Effekte generieren. Und davon hat
die junge Frau während ihres 75-Sekunden-Trennungsberichts exzessiv
Gebrauch gemacht. Mal erscheint sie mit Gasmaske bewehrt am Bildschirm,
mal mit Katzenschnauze und verfremdeter Stimme.

Kein Krypto-Spot im Auftrag
Da
youtube.com anders als etwa die Videospeicherangebote von Google
oder Yahoo mittels Kommentarfunktion die  Kommunikation zwischen
Hobbyfilmern und Zuschauern ermöglicht, konnten bis heute mehrere
hundert Personen ihren Senf zum Trennungsvideo zugeben. Der Tenor: «So
eine coole Webcam will ich auch!» Eine Logitech-Sprecherin liess sich
zwar mit der Aussage zitieren, dass nach der Veröffentlichung die
Verkaufszahlen nicht in die Höhe schnellten, doch der eine oder die
andere dürfte sich die lustige Kamera angeschafft haben, wie zahlreiche
andere Videos auf youtube.com zeigen.

Als Unwahrheit taxierte die Unternehmenssprecherin das Gerücht, wonach
Logitech die junge Frau dazu animiert habe, mit ihrer neuen Webcam ein
Filmchen zu drehen. Kontakt hat es zwischen der Firma und Frau
Bowiechick nach Veröffentlichung des populären Dokuments jedoch
gegeben. Wann immer sie etwas von Logitech wolle, könne sie sich beim
Schweizer Unternehmen melden, schreibt die inzwischen zu
Internetberühmtheit gelangte Webcamfilmerin in ihrem Weblog. «Dann habe
ich mir überlegt: So würde ich denen nur helfen, einen Haufen Geld zu
machen.» Und dafür würden Leute normalerweise bezahlt, schliesst die
17-Jährige. Doch sie will sich nicht vor den Logitech-Karren spannen
lassen.

Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft
Anders als Logitech haben der Kamerahersteller Kodak und der finnische
Handygigant Nokia auserwählten Bloggern im letzten halben Jahr ein paar
ihrer neusten Geräte zum Testen überlassen – ohne weitere Auflagen.
Während sich ein Teil der Kamera- und Handytester in ihren
Blogbeiträgen  rechtfertigt und der Leserschaft umständlich
erklärt, weshalb nun ausgerechnet an dieser Stelle ein Testbericht
veröffentlicht wird, finden andere wiederum: «Wenn man schon ein so
tolles Spielzeug geschenkt erhält, muss man doch die Werbetrommel
rühren, nicht?» Und die Werbung für das neueste Supervideokamerahandy
erscheint im redaktionellen Teil des Weblogs. Das sehen die
PR-Abteilungen gerne. Schliesslich ist die Beachtung eines Blogartikels
wesentlich grösser, als jene einer beliebigen Textanzeige oder eines
Werbebanners am Rande des Bildschirms.

Weil sich viele Blogger nicht als Journalisten verstehen, haben sie
auch keine Mühe damit, ein bisschen Werbung zu machen. Und wenn es
sich  um ein Gerät handelt, das sie toll finden und ihnen den
digitalen Alltag zu meistern hilft, erscheint es ihnen geradezu
selbstverständlich, darüber zu berichten. Natürlich auch dann, wenn
etwas nicht funktioniert. Doch auch ein gnadenloser Verriss kann eine
wertvolle Information sein. Etwa dafür, dass das Produkt verbessert
werden muss, um bei den Bloggern, die wiederum als Multiplikatoren für
die Link-zu-Link-Propaganda fungieren, auf Anklang zu stossen.

Nick Lüthi

Bild: In 75 Sekunden zur Berühmtheit: «Bowiechick» auf youtube.com.

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