Schrittchen um Schrittchen

Verlage Angesichts der verschiedenen Tamedia-Offensiven blieb die NZZ auffällig still. Dennoch köchelt es an der Falkenstrasse.

Verlage Angesichts der verschiedenen Tamedia-Offensiven blieb die NZZ auffällig still. Dennoch köchelt es an der Falkenstrasse.Am 27. Januar kommunizierten die
NZZ-Strategen ihren letzten offensiven Entscheid: die Übernahme des
spekulativen Aktienpaketes von 37 Prozent am Zürcher Oberländer durch
die NZZ-Tochter Freie Presse Holding – dies sechs Tage nach
Bekanntwerden der Kooperation von Tamedia mit dem Landboten in
Winterthur, bei einer Beteiligung von 20 Prozent. Seither ist es still
um die strategischen Pläne der NZZ im Grossraum Zürich und der
angrenzenden Nordostschweiz. Auch als Tamedia die Thurgauer Zeitung
schluckte und klar wurde, dass die Werdsträssler sich im Alleingang und
ohne Edipresse mit ihrem Pendlerblatt in die Romandie wagen, übte man
sich an der Falkenstrasse in Gelassenheit. Tamedia-Verleger Hans
Heinrich Coninx legte kürzlich im Interview in der eigenen Finanz und
Wirtschaft noch zu. Die Verlegerfamilie halte Wertpapiere zwecks
Kooperationen mit und Übernahmen von weiteren Printmedien bereit. Im
Übrigen zerstreuen die jüngsten Personalentscheide bei Tamedia mit der
Wahl von Rolf Bollmann (Noch-Verlagsleiter 20 Minuten) in die
Unternehmensleitung allerletzte Bedenken, die am linken Seeufer mit
einer eigenen Redaktion begonnene Regionalisierung des Tages-Anzeigers
sei ein blosser Versuchsballon.
Im Lichte dieser Offensive von Tamedia scheint die NZZ zusehends ins
Hintertreffen zu geraten. Die Rechnung will nicht aufgehen, dass das
Weltblatt auch ohne Beteiligungen und Zukäufe von Titeln sich die
publizistische Führerschaft innerhalb der Schweizer Regionalpresse
sichern kann. Auf das Pressenetz, das von der Freien Presse Holding als brancheninternes Zusammenarbeitsmodell für journalistische
Inhalte lancierte Instrument, sprechen die Redaktionen der Schweizer
Regionaltitel bis jetzt kaum an. Es ist deshalb auch von der
Prioritätenliste verschwunden. Beat Lauber, Pressenetz-Erfinder und ab
Januar offiziell für die kommerziell-verlegerischen Aufgaben auf Ebene
NZZ-Gruppe zuständig, hält jedoch nach wie vor an der Idee fest (WW Nr.
37/05). Stoff für Spekulationen um die weiteren Schritte der NZZ
liefern die Gerüchte rund um den vorsitzenden Leiter der 
NZZ-Gruppe Hugo Bütler, der als Chefredaktor der Neuen Zürcher
Zeitung  seinen Stuhl räumen will. Namen wie Martin Breitenstein,
Chef NZZ-online, oder jener des Deutschlandkorrespondenten Eric Gujer
machen die Runde. Offen ist zudem die Verlagsleitung von NZZ und NZZ am
Sonntag, die interimistisch bis Ende Jahr vom zurücktretenden Marco de
Stoppani geleistet wird. Doch an der Falkenstrasse spricht man von
normalen Vorgängen. «Da es bei der NZZ nicht oft vorkommt, dass die
Führung wechselt, erscheint das Thema von aussen betrachtet etwas
hochgekocht», sagt Marketingleiter Christoph Bauer. Der «Laden»
funktioniere genau gleich wie vorher auch.
Obwohl die NZZ-Gruppe im April für das Geschäftsjahr 2004 einen
Reingewinn von 21,8 Millionen Franken auswies, ist das Weltblatt NZZ
jedoch nicht aus den roten Zahlen. Zwar hat die Unternehmensleitung
einen leichten Umsatzanstieg um knapp drei Prozent von NZZ und NZZ am
Sonntag auf 187,5 Millionen Franken vermeldet, doch die «klaren
Fortschritte» genügten für eine nachhaltige Entwicklung nicht, hiess
es. Liegen die Strategien des Unternehmens von ferne beobachtet noch im
Dunkeln, so ist man an der Falkenstrasse dennoch in kleinem Rahmen
aktiv. Vieles scheint sich an mehreren Orten gleichzeitig zu bewegen.
«Wir haben im vergangenen Jahr viele Projekte aufgegleist und werden im
ersten Halbjahr 2006 mit weiteren Neuerungen kommen», sagt Bauer.
Begonnen hat die Aktivitis mit der Lancierung von Farbbildern als Work
in Progress vor einem Jahr. Das Feuilleton scheint sich unterdessen
ganz vom Schwarzweissbild verabschiedet zu haben. Weiter lancierte die
NZZ das Abspecktool e-Balancing auf dem Internet, gemäss Bauer eine
Innovation auf dem Schweizer Markt.  
Im Status eines vorläufigen Experimentes wurde kürzlich erstmals die
Edelbeilage Uhren und Schmuck lanciert, weitere sollen folgen. Und vor
einer Woche stellten die Macher ihr Online-Schulprojekt vor. Geplant
sind weitere Projekte im Bereich Stellenangebote sowohl printseitig als
auch im Internet. Internet erachtet man bei der NZZ als wichtiges
Mittel, um sich zu positionieren und seine Kompetenz zu unterstützen.
Crossmediale Werbekampagnen wertet Bauer dagegen eher bescheiden und
nicht als Bereich, wo viel Geld zu verdienen sei.  In 95 Prozent
der Fälle, so schätzt er, gehe es um Rabatte und nicht um einen
Crossmedia Case. Im Rubrikanzeigenbereich sei der komplementäre Einsatz
von Zeitung und Internet hingegen entscheidend. Im kommenden Jahr steht
weiter die Umstellung auf ein neues Content Management System an.
Seit längerem ist zudem die Überarbeitung des Zeitungslayouts des
Weltblattes am Kochen. NZZ-Koordinator Beat Brenner will dazu jedoch
keine Angaben machen. Erwartungsgemäss steht kein Totalumbau an,
sondern es soll mit gewohnheitsmässigen Besonderheiten aufgeräumt
werden. Ein Artikel wird demnach auf derselben Seite aufhören, wo er
begonnen hat. Die Verbesserung der Leserführung dürfte weniger ein
Problem sein als vielmehr, was sich die Redaktion inhaltlich an
Neuerungen einfallen lässt. Denn im Hause gibt es so viele Ansichten
zum Thema Layout wie Redaktorinnen und Redaktoren.     

René Worni

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