Jetzt kommt das Millionen-Chiasso

Wirtschaftsgebiete Verschmelzen das Tessin und Norditalien auch medial? Klare Antwort: Si!

Wirtschaftsgebiete Verschmelzen das Tessin und Norditalien auch medial? Klare Antwort: Si!Eine neue Tessiner Zeitschrift mit dem betont positiven Titel Si macht ihre ersten Gehversuche auch in Italien: Letzte Woche wurde das Heft, das zehnmal jährlich erscheint, im Stil der Italo-Magazine erstmals gratis an alle 100 000 Tessiner Haushalte durch die Post verteilt sowie in einer Auflage von 30000 Exemplaren in Restaurants und anderen öffentlichen Gebäuden der italienischen Grenzregion Insubrica aufgelegt. Auch inhaltlich ist Si grenzübergreifend: In der ersten Ausgabe bildete ein Interview mit der Tessiner Regierungspräsidentin Marina Masoni und mit Roberto Formigoni, dem Präsidenten der Region Lombardei, den sechsseitigen Auftakt. Dieser Blick über die Landesgrenze mit Themen wie Verkehr, Zoll sowie arbeitsrechtlichen oder steuertechnischen Problemen sei ein wichtiger Bestandteil des neuen Heftes, sagt Alberto Rota, Inhaber der Eventagentur Isicom in Chiasso und Herausgeber von Si. Zielpublikum sei die Tessiner Familie, betont er. Die italienische Leserschaft sei dabei sekundär. Die Distribution jenseits der Grenze habe primär zum Ziel, das Heft den potenziellen italienischen Inserenten zu präsentieren. Letzere sind im ersten Heft noch dünn ge-sät: Eine einzige von 17 Anzeigenseiten kommt von einem Kunden aus Italien.
Die Suche nach Inserenten jenseits der Grenze ist im Tessin gang und gäbe. So hat beispielsweise die Publicitas Lugano in der Region Insubrica einen Mann stationiert, der für die Tessiner Zeitungen Anzeigen akquiriert. Umgekehrt wirbt etwa das Casino Lugano in italienischen Zeitungen um neue Spieler.
Dass sich aber ein Printmagazin im Tessin auch physisch über die Landesgrenzen wagt, ist neu. Andernorts hat man zwar auch schon mit diesem Gedanken gespielt, etwa beim 75-jährigen Si-Hauptkonkurrenten Illustrazione Ticinese (130000 Exemplare). «Ich habe mir auch schon überlegt, unser Magazin in die Haushalte der italienischen Grenzregion zu verteilen, doch bisher scheiterte dies an der mangelnden Zuverlässigkeit der dortigen Distributionsfirmen», sagt Herausgeber Marco Werder.
Dies deutet an, was andernorts längst bestätigt wird: Das Tessin und die Region Insubrica – obwohl von unterschiedlicher Mentalität – wachsen als Märkte allmählich zusammen, die Grenzen verwischen. Seit einiger Zeit sondiert zum Beispiel der Schweizer Plakatanbieter Affichage verstärkt vor den Toren Mailands. Gemäss einer Affichage-Analyse ist diese Region stark mit dem Tessin verbunden und funktioniert punkto Pendlerverkehr, Warenaustausch und Kommunikation als Einheit. «Zusammen mit der Tessiner Bevölkerung wohnen dort rund eine Million Einwohner», sagt Affichage-CEO Christian Kauter. Das bietet dem Plakatierer die Möglichkeit, sein schwaches Plakatgeschäft im Tessin längerfristig zu verstärken. Derzeit führt er Verhandlungen mit einer kleinen Aussenwerbefirma in Como zwecks Übernahme. «Ich gehe davon aus, dass wir diesen ersten Schritt noch in diesem Sommer abschliessen können», sagt Kauter.
Dass nicht nur Schweizer Medien ein Interesse an Grenzüberschreitungen haben, zeigen die elektronischen Medien: Mehrere Radios und TV-Sender strahlen aus Italien in die Schweiz ein. Grosse Werbekunden machen sich dies zu Nutze, weiss Felix Kilchsperger vom Radiovermarkter Radiotele. «Sie buchen meistens den Pool Ticino, dem die zwei Tessiner Sender sowie vier italienische Radios angehören.»
Was ebenfalls auffällt: Die Mailänder Ausgabe der Pendlerzeitung Metro hat Anfang 2005 ihr Verteilgebiet kräftig ausgeweitet, unter anderem auch nach Lecco und Varese, also Richtung Tessin. Möglicherweise ist da der Schritt über die Schweizer Grenze nur noch eine Frage der Zeit. Existieren bei Metro in Rom solche Pläne? Direktor Giampolo Roidi weicht aus, er will sich offensichtlich nicht in die Karten blicken lassen. Seine schriftliche Antwort ist dennoch viel sagend. «Danke für Ihren Vorschlag. Doch die aktuelle Verbreitung von Metro Mailand wurde von uns genau geprüft und lässt sich kaum mehr verbessern.»
Mag sein. Doch das könnte sich ja ändern. Denn auch das Netz des öffentlichen Verkehrs wird ausgebaut: Die SBB und die italienische Gesellschaft Ferrovia Mendrisio-Varese (FMV) sind gemeinsam daran, zwei heute unabhängige Linien zwischen den Zentren Bellinzona, Lugano, Chiasso, Como und Varese bis 2010 miteinander zu verbinden. «Damit sind die Voraussetzungen geschaffen, um den Halbstundentakt im Regionalverkehr sowie den Zweistundentakt im InterRegio-Verkehr anzubieten», heisst es bei den SBB. Das könnte auch für Metro – oder 20 Minuten – attraktiv werden.
Auch in Italien fleissig auf Inserentenfang: Das Magazin Si.

Markus Knöpfli

Weitere Artikel zum Thema