Reifegrad der Marketing Analytics bei Schweizer Unternehmen

Schweizer Unternehmen stehen vor der Herausforderung, sich in einem zunehmend kompetitiven Umfeld zu behaupten. Christian Kleiner, Geschäftsführer von Marketinghub, hat eine Masterthesis verfasst, in welcher er den Reifegrad von Marketing Analytics in Organisationen beleuchtet.

Christian Kleiner, Geschäftsführer von Marketinghub. (Bild: zVg.)

Schweizer Unternehmen bewegen sich überwiegend in einem kompetitiven Wettbewerbsumfeld. Mehrere Studien belegen empirisch, dass datengetriebene Unternehmen mit einem hohen analytischen Reifegrad im Schnitt 5% produktiver und 6% profitabler sind als nicht datengetriebene Organisationen. Deshalb ist es angezeigt sich in diesem  Wettbewerbsumfeld mit der intelligenten Nutzung der Marketing Analytics zu beschäftigen. Die Verantwortlichen in Marketing und Kommunikation müssen sich aber nicht nur aufgrund des externen Umfelds sondern auch auf Grundlage der steigenden unternehmensinternen Ansprüche in Bezug auf Messbarkeit und Transparenz in der Marketing Analytics Thematik zukunftsfähig(er) aufstellen.

Das jährliche Investitionsvolumen der werbetreibenden Unternehmen in der Schweiz beläuft sich in einer Gesamtmarkt-betrachtung per 2021 auf stattliche CHF 6,5 Milliarden. Insofern hat es hohe Relevanz zu untersuchen, inwiefern und wie professionell dieses beträchtliche Investment in Bekanntheitsgrad, Kundenbeziehungen, Kundenwissen, Markenwerte und letzten Endes in Verkäufe, von den Unternehmen geplant, umgesetzt und vor allem ausgewertet wird.

Die hier dargestellten Ergebnisse und Erkenntnisse basieren auf 106 Antworten von werbetreibenden Unternehmen in der Schweiz. Dabei handelt es sich zu 75% um grosse Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitenden. Sie repräsentieren 10 Prozent des vorstehend angeführten Marktvolumens.

Vier Zieldimensionen

Innerhalb der Top 5 Marketing- und Kommunikationsziele der Unternehmen in der Schweiz ergeben sich 4 Zieldimensionen mit unmittelbarem Bezug gegenüber der Marketing Analytics Thematik. Bereits an zweiter Stelle rangiert die Zielsetzung zur Verbesserung der Customer Experience durch Multi-/Omnichannel Orchestrierung entlang der Customer Journey. Insofern haben die Umfrageteilnehmer den internen und externen Handlungsdruck erkannt und wollen im Themenfeld der Marketing Analytics Schwerpunkte setzen.

Die befragten Unternehmen verteilen ihr Gesamtbudget mehr oder weniger zu gleichen Teilen auf On- und Offline-Medien. Daraus erwächst der Anspruch, dass entsprechende Planungen, Auswertungen und Ressourcenallokationen mittels der Marketing Analytics über digitale UND analoge Kanäle, entlang der Customer Journey, angesetzt werden müssen.

 

Budgetverteilung auf On-/Offline-Massnahmen (Grafik: Masterthesis Christian Kleiner)

An dieser Stelle zeigt sich eine ernstzunehmende Problematik, da nur eine geringe Mehrheit der Umfrageteilnehmer innerhalb des digitalen Ökosystems zur kanalübergreifenden Auswertung im Rahmen der jeweiligen Customer Journeys tendiert. In noch geringerem Umfang werten die Unternehmen die Wechselwirkungen zwischen den analogen und digitalen Kanälen aus. Insofern muss der Abdeckungsgrad an systematischen Auswertungen innerhalb des digitalen- und innerhalb des analogen Ökosystems unbedingt erhöht und integriert, entlang der Customer Journey, betrachtet werden (Cross-digital, Cross-platform, Cross-device, Cross channel).

 

Kanal-spezifische vs. Kanal-übergreifende Auswertung (Grafik: Masterthesis Christian Kleiner)

 

Auswertung analoge/digitale Wechselwirkung (Grafik: Masterthesis Christian Kleiner)

Ansonsten ist der Wirkungsgrad der Marketing Analytics stark eingeschränkt und auch die vorstehend proklamierte Zielsetzung zur Verbesserung der Customer Experience durch Multi-/Omnichannel Orchestrierung kann in dieser Form nicht erreicht werden.

Fünf Kompetenzfelder

Der analytische Reifegrad der werbetreibenden Unternehmen in der Schweiz wurde entlang von 5 Kompetenzfeldern systematisch untersucht und, entsprechend der Maturität, entweder der Mastering-, der Developing- oder der Starting-Phase zugeordnet.

Der kulturelle Reifegrad ist bereits sehr positiv ausgeprägt und kann der Mastering-Phase zugeordnet werden. Die Bedeutung der Marketing Analytics ist überwiegend erkannt und auch das Top-Management fordert und fördert eine Kultur der daten- und fakten-basierten Entscheidungsfindung. Der kulturelle Reifegrad erzielt insgesamt das beste Ergebnis.

 

Zusammenfassung analytischer Reifegrad (Grafik: Masterthesis Christian Kleiner)

Beim Governance-Reifegrad sind wichtige Regelungen, etwa zum Umgang mit den Datenschutzbestimmungen oder zur Verhinderung von funktionalen Silos, mehrheitlich implementiert. Anderseits sind Verbesserungspotenziale, wie etwa die Schaffung von kanalübergreifend integrierten Kennzahlen-Systemen, klar erkennbar. Der Governance-Reifegrad erzielt insgesamt die zweitbeste Einschätzung, was ebenfalls der Mastering-Phase entspricht.

Der Reifegrad in Bezug auf organisatorische und personelle Voraussetzungen erzielt ein durchschnittliches Ergebnis und wird entsprechend der Developing-Phase zugeteilt. So sind bei der Schaffung von eigenständigen Marketing-Analytics Teams oder bei der Einbindung von externem Knowhow für die Entwicklung und Umsetzung von analytischen Modellen wichtige Optimierungspotenziale zu sehen. Der organisatorische/personelle Reifegrad erzielt insgesamt das drittbeste Ergebnis.

Der Reifegrad bei Technologie und Daten ist ebenfalls durchschnittlich einzuordnen (Developing). In der Bereitstellung von internen und externen Daten in einer hochverfügbaren Customer Data Plattform oder in der automatisierten, kanal- und plattform-übergreifenden Datensammlung liegt noch erhebliches Potenzial brach. Überdies sind in der Bereitstellung von qualitativ hochwertigen und fehlerfreien Daten erhebliche Verbesserungspotenziale auszumachen. Insgesamt erzielt der Reifegrad in Bezug auf Technologie und Daten das viertbeste Ergebnis. Obwohl die Unternehmen in Bezug auf ihren Marketing-Technologie-Stack ansonsten sehr breit und diversifiziert aufgestellt sind zeigt sich in Bezug auf die Marketing Attribution eine Unterdeckung. Der Marketing-Technologie-Stack muss in einem strategischen Kontext und unter Berücksichtigung der zu adressierenden Customer Journeys definiert, orchestriert und implementiert werden. Redundanzen und Silo-Strukturen sind zu vermeiden. Nur so kann das von der Technologie-Ebene ausgehende Leistungs- und Innovationspotenzial effektiv ausgeschöpft werden.

Viele Verbesserungspotenziale

Bei den analytischen Methoden und Modellen ergeben sich viele Verbesserungspotenziale. Es kann festgestellt werden, dass die Unternehmen in geringem Umfang vorausschauende, prädiktive Analysemodelle nutzen. Auch die Marketing-Mix-Modellierung wird in der Praxis der Umfrageteilnehmer bescheiden genutzt. Überdies liegen in der Untersuchung der Wechselwirkungen der Kanäle untereinander noch erhebliche Potenziale brach. Analytische Methoden und Modelle erzielen insgesamt das fünftbeste Ergebnis, was insgesamt noch der Developing-Phase zugeordnet werden kann.

Über alle 5 Kompetenzfelder und Umfrageteilnehmer betrachtet befinden sich die werbetreibenden Unternehmen in der Schweiz am Ende der Developing- bzw. am Übergang zur Mastering-Phase. Knapp 30% der Unternehmen können in allen Kompetenzfeldern der Mastering-Phase zugeordnet werden, 50% sind mit Schwergewicht der Developing-Phase- und 20% der Unternehmen sind der Starting-Phase zuzuordnen. In einem internationalen Vergleich, vornehmlich mit den USA, ist die Schlussfolgerung zulässig, dass Schweizer Unternehmen in Bezug auf den Reifegrad der Marketing Analytics, über alle 5 Kompetenzfelder betrachtet, per 2022 durchaus fortschrittlich und kompetitiv aufgestellt sind.

Mit viel Luft nach oben

Wie vorstehend beschrieben, gibt es aber viel Luft nach oben. Die zentralen Handlungsfelder sind vornehmlich in den Kompetenzfeldern von Technologie und Daten sowie bei den analytischen Methoden und Modellen zu sehen. Da unter diesen 5 Kompetenzfeldern hohe gegenseitige Wechselwirkungen und Abhängigkeiten bestehen, sind sie entsprechend integriert zu betrachten und ganzheitlich zu orchestrieren. Mehrere Studien belegen empirisch, dass datengetriebene Unternehmen mit einem hohen analytischen Reifegrad, im Vergleich zu Unternehmen mit einem geringen analytischen Reifegrad, erfolgreicher sind. Deshalb macht es viel Sinn gezielt in den weiteren Ausbau der Marketing Analytics Kompetenzfelder und in deren Orchestrierung zu investieren.


Christian Kleiner ist Unternehmer, Stratege, Innovator, Business-Accelerator und Enterprise Agile Coach. Mit viel Passion für Kunden-/Nutzen-zentrierte Geschäftsmodelle. Er hat umfassende Erfahrung in der Konzeption und Implementierung von anspruchsvollen Strategien und internationalen Programmen mit signifikanter Auswirkung auf Umsatz/Kosten.

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