Fach-Chinesisch: KPI und anekdotische Evidenz

KPI, Substantiv, maskulinEr ist so gefährlich und wirkungsvoll wie er klingt, der KPI. Geistert wie ein Gespenst durch die Präsentationen des Managements, runter in die Marketingabteilungen und rüber in die Agenturen. Er verbreitet Angst und Schrecken wie der KGB, das Komittee für Staatssicherheit in Russland. Das K steht beim KPI jedoch nicht für Komitee, sondern […]

KPI, Substantiv, maskulinEr ist so gefährlich und wirkungsvoll wie er klingt, der KPI. Geistert wie ein Gespenst durch die Präsentationen des Managements, runter in die Marketingabteilungen und rüber in die Agenturen. Er verbreitet Angst und Schrecken wie der KGB, das Komittee für Staatssicherheit in Russland. Das K steht beim KPI jedoch nicht für Komitee, sondern für Key, das P für Performance und das I für Indicator. Zu Deutsch: Leistungskennzahl. Wir leben in einem Zeitalter der Quantifizierbarkeit, unsere Ideologie ist die Vergleichbarkeit und Datenerhebungen sind die Kirchen, in die sich sogar Atheisten reinknien. Kein Wunder also, gibt es nicht nur betriebswirtschaftliche Kennzahlen für Unternehmen, sondern auch eine Kennziffer für Projekte, Prozesse oder Entwicklungen. Der Key Performance Indicator dient der Planungssicherheit. Wer sie einfordert, will sich absichern, wer sie einhalten muss, zittert. Egal, ob bei Produktivitätssteigerungs-projekten, geschäftsrelevanten Strategiewechseln oder Kampagnen-Performance-Messungen: Erst der KPI beweist den Erfolg! Und da jede Abteilung, jede Agentur, jeder Sachbearbeiter seinen eigenen KPI hat, kann’s schon mal geschehen, dass ein Divisionsleiter Projekt-KPIs zu Lasten anderer Unternehmensziele optimiert und dadurch dem Unternehmen schadet. Das wiederum kann zum Knieschuss oder Denunziantentum führen, was uns zurück zum Geheimdienst bringt. Im Gegensatz zum KGB aber, der meist verdeckt arbeitet, steht der KPI zur Zeit überall im Mittelpunkt und räumt gnadenlos auf mit allem, was nicht messbar performt.Anekdotische Evidenz, Adjektiv und Substantiv, femininWem schenken Sie eher Glauben – einer eindeutigen Zahl oder einer guten Geschichte? Vermutlich der Zahl. Aber was hören Sie lieber? Es ist eine der grossen Streitfragen in der Kreativindustrie: Zahlen sind zwingender, aber langweiliger – Geschichten ungenauer, aber unterhaltsamer.Eine Evidenz ist ein empirisch belegbarer Beweis. Eine anekdotische Evidenz ist ein Beweis, der auf Beobachtungen (oder eben: Anekdoten) beruht. Das Problem der Anekdote: Man zieht Schlüsse, die vielleicht auf falschen Annahmen beruhen. Das berühmteste Beispiel hierfür ist der «Schwarze Schwan»: Aufgrund der Tatsache, dass wir an einem See nur weisse Schwäne beobachten, können wir nicht ausschliessen, dass es nicht auch schwarze Schwäne gibt. Anekdoten sind nicht immer beweisbar, und verfügen dennoch (oder genau deshalb?) über grosse Überzeugungskraft. Bei Umfragen macht man heutzutage wieder mehr qualitative Einzelinterviews, die eine Art Summe anekdotischer Evidenzen ergeben, als quantitative Massenabfragen. Bei Präsentationen wird es zunehmend wichtiger, neben Daten auch Geschichten und Fallbeschriebe (Best Cases, Best Practice) zu liefern. Diese bringen glaubwürdig rüber, dass ein Vorhaben oder ein Konzept seine Berechtigung hat, besonders dann, wenn wenig oder gar keine Daten vorliegen, weil es sich eben um eine neue Idee handelt. Es ist ein Paradox, denn Zahlengläubigkeit kann zu Denkstarre führen, und Anekdotengläubigkeit zu Illusionen.Je weiter oben im Management, desto weniger Frauen, aber desto mehr anekdotische Evidenz. Denn je grösser das empirisch beweisbare Vertrauen in eine Person, desto besser funktioniert die anekdotische Evidenz.
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Benno Maggi ist Mitgründer und CEO von Partner & Partner. Er hatte im NZZ FOLIO die Rubrik «Vom Fach» ins Leben gerufen und während Jahren betreut. Er präsentiert und entschlüsselt Worte und Begriffe aus dem Marketingbereich.

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