Gender Compensation: Männer kosten extra

Mit der Gender Compensation will der ADC Switzerland mehr Frauen in kreativen Führungspositionen erreichen. Wie das gehen soll, wann die angepeilte Realität erreicht wird, welche Hürden es zu nehmen gilt und was die Oscar-Verleihung damit zu tun hat. Die ADC-Vorstände Stefanie Huber und Inken Rohweder von Trotha klären auf.

Bild: Unsplash.com / Virginia Marinova / ADC
(Bild: Unsplash.com / Virginia Marinova)

Einer guten Idee ist egal, von wem sie kommt. Den Konsumierenden von Werbung, die auf guten Ideen basiert, eigentlich auch. Aber … Der ADC Switzerland verbessert die kreative Kommunikation, indem er sie juriert und überdurchschnittliche, herausragende und wegweisende Arbeiten auszeichnet, die Auszeichnungen publiziert und auch damit zum öffentlichen Thema macht. Als Vereinigung der führenden Kreativen der Kommunikationswirtschaft hat der ADC Switzerland jedoch heute nicht einmal 20 Prozent weibliche Mitglieder. Das ist schade, und das will man ändern. Mit sanftem Druck wird in Richtung einer 50:50-Realität gestrebt. Die soll mit der weltweit exklusiven Initiative Gender Compensation erreicht werden. Die gute Idee dazu erläutern Stefanie Huber und Inken Rohweder von Trotha.

«Die Anzahl an Frauen im Club entspricht der Unterrepräsentation von weiblichen Kreativen in Führungspositionen. Ein Problem, das sich in den letzten Jahren leicht gebessert hat, aber eine zusätzliche Fokussierung benötigt. Selbstredend wollen wir nicht wahllos Frauen aufnehmen, sondern solche, die unsere Kriterien erfüllen. Auf der Basis entstand die Initiative Gender Compensation und das zugehörige ADFforward-Programm», erinnert sich Stefanie. «Wir wollten etwas entwickeln, das es so noch nicht gab. Eine Gegenleistung für fehlende Frauen in Teams erschien uns sinnvoll», ergänzt Inken. Die Gender Compensation sei zudem einfach und leicht verständlich. Vergleichbar ist sie mit der CO2-Kompensation beim Fliegen, wo für jede geflogene Meile ein gewisser Betrag – freiwillig – zum Ticketpreis addiert werden kann.

So funktioniert’s

Jede Agentur, die eine Arbeit für die ADC Awards einreicht, führt in dem Einreichformular – wie eh und je – die Personen auf, die an der Arbeit beteiligt sind. Neu ist, dass das Tool Gender Compensation die beteiligten Personen nach männlich/weiblich sortiert und eine allfällige Geschlechterunausgeglichenheit auf kreativer Führungsebene in Prozentsätzen am Bildschirm angezeigt wird. Unübersehbar wird die Lage klar. Doch sogar wenn alle Alarmglocken schrillen, weil im Team weit und breit keine Frau in Sicht ist, kann die Agentur noch etwas tun. Man kann die Unausgeglichenheit nämlich kompensieren und so zumindest etwas zur allgemeinen Balance beitragen. Eine Gender Compensation ist freiwillig. Wer sich dafür entscheidet, hat drei Möglichkeiten mit verschieden hohen Kompensationsbeträgen.

«Um die weiblichen High Potentials und diverse Talente in der Branche zu halten, benötigt es Vernetzung, Austausch, Role Models, Tools und Coaching für einen reibungsloseren Umgang.»

«Wir möchten mit der Initiative Awarness erzeugen. Oft haben die CCOs und CEOs in den Agenturen den Eindruck, ihre Teams seien divers zusammengestellt. Doch fragt man nach, fehlen in der Kreation Frauen ab CD-Level», erläutert Stefanie. «Darum wäre es wertvoll, würden sie die Gender Compensation zum Anlass nehmen, die Ungleichheit zu erkennen und künftig etwas zu ändern.»

Geld zum Vorwärtsmachen

Die eingenommenen Mittel sind – nach dem Punkt Awareness – für die Thematik ebenfalls relevant. Sie fliessen in ADCforward. Dieses massgeschneiderte Leadership-Programm richtet sich einerseits an weibliche High Potentials, die durch verschiedene Massnahmen gefördert werden (z.B. Weiterbildungen für den nächsten Karriereschritt). Andererseits wendet es sich an alle Führungskräfte der Werbe- und Kommunikationsbranche, die ihren Teil zur Gleichstellung beitragen können. «Führungskräfte, welche für die Teams verantwortlich sind, sehen sich durch den gesellschaftlichen Wandel immer häufiger mit Forderungen von Mitarbeiterinnen konfrontiert. Wir hören von Männern oft: ‚Jetzt reicht’s aber!‘ Das tut es jedoch nicht. Es braucht noch viel und besonders viel Verständnis füreinander», erläutert Inken. Im besten Fall stellt ADCforward für beide Gruppen praktisch anwendbare Tools zur Verfügung, um eine messbare Entwicklung anzukurbeln.

Inken Rohweder von Trotha (links) und Stefanie Huber, beide im ADC-Vorstand.Bilder: Virginia Marinova
Inken Rohweder von Trotha (links) und Stefanie Huber, beide im ADC-Vorstand. (Bild: Virginia Marinova)

«Um die weiblichen High Potentials und diverse Talente in der Branche zu halten, benötigt es Vernetzung, Austausch, Role Models, Tools und Coaching für einen reibungsloseren Umgang. Wir können es uns nicht leisten, dass sich Talente umorientieren, weil sie aufgrund von Vorurteilen und oft unbewussten sozialen Barrieren daran gehindert werden, Spitzenpositionen zu erreichen», präzisiert Stefanie. Bereits nach der Premiere des Programms im letzten Jahr hat sie vielversprechendes Feedback erhalten. «Viele Teilnehmerinnen haben sich bedankt, dass wir so etwas Vorbildliches machen.» Für sie sind solch persönliche Erfahrungen mit ein Zeichen dafür, dass die 50:50-Realität keine Utopie bleibt. Es geht langsam. Aber es geht. «Passende Partner könnten den Prozess beschleunigen. «Sponsoren, die mit uns an einem Strang ziehen wollen», geht Inken gedanklich schon den nächsten Schritt.

Vom Goldwürfel zum Goldjungen

Mit Kompensation wird in der Psychologie eine Strategie bezeichnet, mit der (bewusst oder unbewusst) jemand versucht, ein Ungleichgewicht auszugleichen. Der ADC Switzerland will mit seiner Initiative ein Gefälle beseitigen, das gleichsam in anderen Metiers besteht. Darum liesse sich Gender Compensation wunderbar auf jegliche Kreativwettbewerbe anwenden, etwa Architekturpreise, Musikauszeichnungen oder die Academy Awards. «Wir fänden Kollaborationen spannend. Vielleicht wären die Oscars 2025 mit Gender Compensation weniger tendenziös», sagt Inken lächelnd.

Dem ADC Switzerland stehen – ganz ohne die barbierosa Brille aufzusetzen – gleichberechtigte Zeiten bevor, zu denen exzellente Creative Direktor:innen, Art Direktor:innen, Texter:innen, Designer:innen, Regisseur:innen gehören. Vielleicht nicht gleich morgen, aber die Würfel dafür sind gefallen.

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