«Es herrscht eine Ratlosigkeit, wo man beginnen soll»

DIGITALISIERUNG Im Rahmen des Worldwebforums 2015 hatte Christoph Oggenfuss* die Gelegenheit mit dem Keynote-Speaker Erich Joachimsthaler von Vivaldi Partners über einige zentrale Fragen der Digitalisierung zu sprechen. Erich Joachimsthaler stellt fest, dass Unternehmen oft nicht wissen, welche digitale Lösung für sie die richtige ist. Am 10. März trafen sich über 550 Digital-Interessierte zur dritten Durchführung […]

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Erich Joachimsthaler stellt fest, dass Unternehmen oft nicht wissen, welche digitale Lösung für sie die richtige ist. Am 10. März trafen sich über 550 Digital-Interessierte zur dritten Durchführung dieses hochkarätigen Anlasses. Natürlich war der Auftritt von Apple-Mitgründer Steve Wozniak die ganz grosse Attraktion, aber auch weitere Speaker hatten spannende Geschichten zu erzählen. So zum Beispiel Billie Whitehouse zur Zukunft von Wearables oder Prof. Adrian Perrig der ETH über die längst fällige technische Erneuerung des Internets.Erich Joachimsthaler, Gründer und Geschäftsführer der internationalen Beratungsfirma Vivaldi Partners, sprach mit MK über die Auswirkung der Digitalisierung für Unternehmen.MK Digitalisierung kann ein Hebel für Wachstum sein – warum wird diese Möglichkeit so wenig benutzt?ERICH JOACHIMSTHALER Ja in der Tat eröffnet die Digitalisierung enorme Chancen für Wachstums-Initiativen von Unternehmen. Dies nicht zuletzt darum, weil mit den digitalen Möglichkeiten wie Cloud, Mobile oder Social die finanziellen Eintrittsschwellen ganz massiv gesenkt wurden. Warum nutzen nun aber etablierte Unternehmen diese Chancen zu selten? Einerseits, glaube ich, ist es eine gewisse Ratlosigkeit wo man beginnen soll und andererseits werden Firmen von Anbietern mit digitalen Lösungen bombardiert, was einem klaren Vorgehenspfad auch nicht zuträglich ist.MK Welches sind für Sie die aktuell überzeugendsten Beispiele für disruptive Innovationen?JOACHIMSTHALER Ich beschränke mich auf ein Beispiel, das gleichzeitig – wegen seiner Anschaulichkeit – auch mein Lieblingsbeispiel ist: „UBER“. Mit UBER wurde nicht ein „besseres Taxi“ lanciert, sondern ein neues Mobilitätserlebnis geschaffen. Und es ist eben nicht nur eine bessere Alternative zum Taxi sondern noch viel mehr. Es ist ein auf Convenience ausgerichteter Kaufprozess, den es in dieser Form bisher nicht gab. Zudem bekomme ich in diesem Prozess die Wahlmöglichkeit, ob ich mit UBER black ein Statement abgeben will, oder ob ich lieber mit UBER pop lowprofile-mässig unterwegs sein will.MK Warum tut sich der C-Level mit dem Thema Digitalisierung so schwer?JOACHIMSTHALER Viele C-Level Executives sind zu ihrem aktuellen Job gekommen, indem sie erfolgreich die Fehlerhäufigkeit minimiert haben. In der digitalen Geschäftswelt, wo Agilität, Prototyping-Denken und Fail-fast-Mentalität gefragt sind fühlen sich jene Executives verständlicherweise nicht zu Hause. Für die Zukunft von Unternehmen kann das fatal sein. Wen in der Schweiz bisher eine gewisse Beständigkeit oder Behäbigkeit eine Qualität darstellte, kann das in der digitalen Welt zum Pferdefuss werden.MK In Zeiten wo Kapital nicht mehr knapp ist messen wir Erfolg immer noch mit Finanzkennzahlen. Was braucht es in der digitalen Welt um Erfolg zu messen?JOACHIMSTHALER Finanzkennzahlen haben heute definitiv ein zu hohes Gewicht in der Beurteilung des Unternehmenserfolges. Geld erklärt die Story nur ungenügend. Aus meiner Sicht braucht es ergänzend „Kunden-KPI“ die helfen, die Performance besser abzubilden und relevantere Rückschlüsse für die Unternehmensführung zu ziehen. Kunden-KPI müssen zeigen wie tief das Unternehmen mit seinen Leistungen bei seinen Kunden verankert ist. Ein Beispiel aus der Getränkebranche würde etwa wie folgt aussehen:i. Penetration (Marktdurchdringung)ii. Incident (wie oft konsumiert)iii. Transaction (Füllmenge)iv. Price realized.MK Wo stehen die europäischen Retailbanken bezüglicher digitaler Transformation?JOACHIMSTHALER Am Ende ihres Lebens! Über die Berührungsängste des C-Levels gegenüber dem Thema Digitalisierung habe ich mich ja schon ausgedrückt – das gilt natürlich auch für Retailbanken. CEO’s von Retailbanken sollten zusammen mit ihren Management-Teams den Case „Blockbuster vs. Netflix“ bearbeiten. Spätestens dann wird deutlich, was dieser Branche in den kommenden Jahren wiederfahren kann. „Blockbuster“ lieferte in den ersten Jahren ein sehr überzeugendes Kundenerlebnis – das war aber keine ultimative Lizenz für Erfolg. Netflix hat die Veränderungen am Markt und die sich wandelnden Kundenbedürfnisse besser erfasst und umgesetzt. Der Konkurs von Blockbuster war nicht mehr abzuwenden.MK Was ist aus Ihrer Sicht das meistverbreitete Missverständnis zum Thema „Digitalisierung“?JOACHIMSTHALER Der reflexartige Bezug zum Thema Technologie ist aus meiner Sicht der grösste Irrtum – es geht um verändertes Kundenverhalten mit digitalen Enablern und die Unternehmen müssen die entsprechenden Lösungen finden. Dieses Hinterherhinken der Unternehmen wird als digitaler Darwinismus bezeichnet. Die eigentliche Begrenzung in diesem Thema ist nicht die Technologie sondern vielmehr die limitierte Vorstellungskraft von Executives.

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