Cross-Channel oder wie der Online-Handel den stationären Handel stützt

CROSS-CHANNEL Es ist offenkundig, dass der Einzelhandel unter einem Frequenz-Einbruch leidet. Cross-Channel-Ansätze können hier entgegenwirken, wie die Entwicklung in den USA zeigt. Online-Shops dienen auch als «gigantisches Schaufenster» für das stationäre Sortiment.VON NICOLE RÜDLIN*, Leiterin Internet WorldIn den USA hat der Einzelhandel in den vergangenen drei Jahren über die Hälfte der Frequenz verloren. Tendenziell haben […]

Beautiful young girl shopping online, e-commerce concept
Online-Shops dienen auch als «gigantisches Schaufenster» für das stationäre Sortiment.VON NICOLE RÜDLIN*, Leiterin Internet WorldIn den USA hat der Einzelhandel in den vergangenen drei Jahren über die Hälfte der Frequenz verloren. Tendenziell haben diejenigen ohne Online-Präsenz klar stärker verloren als diejenigen, die den Umsatz immerhin in den E-Commerce retten konnten. Die Frage der Zukunft wird also nicht mehr sein, ob ein Online-Shop sich rechnet, sondern ob man es sich als Händler noch leisten kann, keinen zu haben.«Unser Online-Shop ist wie eine unserer Filialen» – diese Äußerung wird oft gehört bei Cross-Channel Händlern. Doch diese Interpretation greift zu kurz, vor allem, wenn man die Wirtschaftlichkeit des Online-Shops ganzheitlich betrachten will.Der Online-Shop funktioniert nicht nur konzeptionell nach anderen Metriken, sondern auch prozessual und organisatorisch. Wer ihn als Filiale bezeichnet, sagt auch, dass seine Organisation noch nicht soweit ist. Man versucht damit, eine neue Art von Touchpoint in eine traditionelle Organisationsstruktur zu pressen, was in den wenigsten Fällen gut geht. Vom Untergang von Katalogversendern wie Quelle und Neckermann kann man diesbezüglich gut lernen. Genauso überholt sind Ansätze, den Onlinekanal nach reinen Umsatzzahlen zu messen. Denn kostenseitig gesteht man ihm in der Regel deutlich weniger Budget zu als bei der Neueröffnung einer Filiale. Von der personellen Ausstattung ganz zu schweigen.Aus den (Online-)Augen – aus dem SinnVielmehr sollte E- inklusive M-Commerce als eine Art Meta-Ebene betrachtet werden: als der Touchpoint, der dem Händler 24 Stunden am Tag Präsenz garantiert, zum Dialog einlädt oder auch nur Kompetenz vermittelt und den Vergleich zum Wettbewerber für den potentiellen Kunden zulässt. Heutzutage ist die Wahrnehmung bei den Kunden so: Was nicht online verfügbar ist, existiert nicht. Was ich nicht bei Google finden kann, gibt es nicht. Und in diesem Kontext gilt es auch, den Wert des Online-Shops zu sehen. Im Zeitalter von äußert knappen Freizeitbudgets wird in der Regel oft erst online recherchiert, welche stationären Händler bei einer Neuanschaffung besucht werden. Und dies nachdem bereits die Evaluation nach den begehrtesten Produkten stattgefunden hat.Der stationäre Händler, der in diesem Prozess mit seinem kompletten Sortiment nicht online ist, hat schon verloren. Er fällt sowohl durch das Evaluationsraster nach Produkt als auch nach Standort. Und dies im großen Stil: Bereits heute geht generell bei über 50 Prozent aller stationären Käufe eine Online-Recherche voraus. Der Online-Shop ist daher auch als gigantisches Schaufenster zu verstehen, der das stationäre Sortiment in den virtuellen Raum bringt. Effizienzwerte wie Besucherzahlen, Conversionsraten, Netto-Umsatz, Deckungsbeiträge und mehr sind durchaus wichtig, greifen aber zu kurz.Online-Shops haben positive Effekte auf ihren stationären LadenNicht minder relevant ist der Online-Shop als Frequenzbringer in den stationären Handel. Und hierbei handelt es sich nicht nur um reguläre Laufkundschaft, sondern bisweilen auch um hochqualifizierte Frequenz. Der stationäre Kunde kommt vorbereitet in die Fläche. Er weiß bestens Bescheid über das Produkt oder hat bereits eine Idee entwickelt, in welche Richtung die Anschaffung gehen soll. Zudem kennt er die Wettbewerbssituation im Einzelhandel, was auch neue Anforderungen an das Verkaufspersonal stellt.Eine Untersuchung des ECC Köln zum Cross-Channel Verhalten belegt, dass Kunden, die sich vorab in einem anderen Kanal des gleichen Anbieters informiert haben, höhere Umsätze aufweisen als wenn dies nicht der Fall war. Und zwar gilt dies ausnahmslos in alle Richtungen. So geht mehr als einem Fünftel aller stationären Transaktionen eine Online-Recherche im eigenen Online-Shop voraus, welche jedoch mehr als einen Viertel des Filial-Umsatzes bringen (27,5 Prozent der stationären Umsätze geht eine Online-Recherche im Online-Shop desselben Händlers voraus). Bei der umgekehrten Wirkung beim selben Händler ist für 6,6 Prozent der Online-Shop-Transaktionen eine Vorbereitung im stationären Geschäft verantwortlich. Dies entspricht jedoch mit 13,8 Prozent des Onlineumsatzes einem mehr als doppelt so hohen Transaktionsvolumen.Am Ende zählt nur das GesamtergebnisOft geistert das Wort Kannibalismus durch die Gänge gestandener Händler. Doch das Zitat «Kannibalisiere dich selbst, bevor es jemand anderes tut» hat durchaus seine Berechtigung und wird Steve Jobs zugeschrieben. Und es ist in der Tat so: Ein Online-Shop in Deutschland nimmt dem stationären Geschäft gerade mal 15 Prozent an Umsatz weg, die andern 85 Prozent sind Mehrumsatz, der ohne Online-Shop nicht generiert worden wäre. Diese Zahl wird von verschiedenen Studien gestützt, die aktuellste stammt einmal mehr vom ECC in Köln.
ecc-grafik-angepasst
Cross-Channel Kunden sind wertvoller. Informationssuche in einem Vertriebskanal vor dem Kauf in einem andern Kanal.Lesebeispiel: 21,6% der stationären Verkäufe geht eine Onlinerecherche voraus. Dies entspricht 25,6% der stationären Umsätze (Quelle: ECC Köln)Frequenz heißt das ZauberwortDas Bewerten des Online-Shops rein nach Umsatz-Kennzahlen gehört in das vergangene Zeitalter des Multi-Channel Handels, wo jeder Kanal isoliert betrachtet wurde. Der Kunde ist heute jedoch deutlich weiter und erwartet, ein durchgängiges und vernetztes Einkaufserlebnis über alle Touchpoints. Und diesem sogenannten Cross-Channel Erlebnis ist auch auf Seiten der Mess-Instrumente Rechnung zu tragen.Denn der Wert von Online- und Mobileshop für Cross-Channel Händler ist nicht nur der direkte Umsatz, sondern vielmehr noch die Onlinepräsenz der eigenen Marktleistung. Diese wiederum sichert die Frequenz in der Fläche. E-Commerce ist eine wichtige Quelle für anhaltende Besucherströme in die stationären Verkaufsstellen. Und daran soll er auch gemessen werden.Fazit: Aus Multi- wurde Cross- und wird Omni-ChannelGerade Cross-Channel Händler tun sich oft schwer, den Wert ihres Online-Shops zu bestimmen. Wer nur Kosten und Umsatz in Relation bringt, denkt allerdings zu kurz, denn diese Rechnung geht in den wenigsten Fällen auf. Eine umfassendere Betrachtungsweise ist gefragt, um bei der Bezifferung des effektiven Unternehmenswertes des Online-Shops reale Werte zu erhalten.
wsj-shopper-traffic
Mehr als 50% weniger Frequenz im US-Einzelhandel während der Haupteinkaufszeit im November und Dezember 2013.Wer als Online-Händler wissen möchte, welchen Effekt der Online-Kanal auf das stationäre Ladengeschäft hat und wie dieser bemessen werden kann, sollte folgende Werte aus dem eigenen Tracking-Tool im Blick haben bzw. abrufen:1. Wie sehen die Interaktionen zwischen Produkt und Filialinformationen aus (Abruf von Bestandsinformationen)?2. Wie häufig wurden Filialinformationen wie Adresse und Öffnungszeiten abgerufen?3. Wie häufig wurde der Routenplaner zur nächsten Filiale auf Ihrer Website genutzt?4. Wie oft wurde ein Produkt zur Merkliste hinzugefügt und dann ausgedruckt?5. Wie oft wurden Reservierungen von Produkten in der Filiale online oder per Telefon getätigt?6. Wie häufig wurden Onlinekäufe in der Filiale abgeholt?7. Wie oft wurden Onlinegutscheine stationär eingelöst?8. Wurden stationäre Zusatzverkäufe von Onlinekäufen und -reservierungen getätigt?9. Gab es stationäre Käufe, die über die Onlinelogistik geliefert wurden?10. Gab es Online-Shop-Retouren, die in der Filiale abgegeben wurden?
Nicole-Rüdlin-Leiterin-Internet-World-Messe_Copyright-Marrion-Vogel
*Nicole Rüdlin verfügt über ein exzellentes Netzwerk in die E-Commerce Branche. In ihrer Funktion als Leiterin der Internet World, der führenden E-Commerce-Messe in Europa, ist die 35-Jährige im ständigen Austausch mit Branchenexperten und kundschaftet nach Trendthemen in den Bereichen Online-Marketing, E-Commerce, Mobile Business und Social Media. Seit 2007 ist die Diplom-Betriebswirtin (FH) als Themenscout für die Veranstaltungen der Neuen Mediengesellschaft Ulm mbH tätig, seit 2011 leitet sie den Bereich. Zuvor war sie mehrere Jahre im Weiterbildungssektor beschäftigt.

Weitere Artikel zum Thema