Wir, Bildschirmverliebte

KOLUMNE Ist das iPhone eine Verlängerung unseres Körpers? Ellen Girod*, Forscherin an der HWZ, über das Phänomen der Bildschirmverliebtheit. Das neuste Werk «Mobile Lovers» des britischen Streetart-Künstlers Banksy zeigt ein Liebespaar mit Smartphones in der Hand.Der neuste Banksy tauchte letzte Woche in der englischen Stadt Bristol auf. Er zeigt zwei Liebende, eng umschlungen in der […]

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Das neuste Werk «Mobile Lovers» des britischen Streetart-Künstlers Banksy zeigt ein Liebespaar mit Smartphones in der Hand.Der neuste Banksy tauchte letzte Woche in der englischen Stadt Bristol auf. Er zeigt zwei Liebende, eng umschlungen in der Dunkelheit, die Gesichter nur von den Bildschirmen ihrer Smartphones beleuchtet, die sie anstarren. «Mobile Lovers» nannte der anonyme Künstler sein Werk. Ich frage mich, was will Banksy uns sagen? Will er uns einen Spiegel beziehungsweise unser Smartphone-Bildschirm vors Gesicht halten? Will er sagen, dass Google endlich mit Glass vorwärts machen soll, weil dann einiges einfacher wäre? Will er uns dazu ermuntern, uns wieder mehr in die Augen zu schauen? Oder will er uns zeigen, dass wir gar nicht so schön verbunden sind, wie wir es eigentlich dank den neuen uns vernetzenden Technologien sein müssten? Kennen Sie den Moment beim Mittagessen, wenn der erste sein Smartphone zückt und ein paar Sekunden später es ihm alle nachtun und plötzlich wird’s ganz still am Tisch, weil alle auf ihre Geräte gucken? Oder wenn Pendler am Bahnhof einen anrempeln, die ganze Aufmerksamkeit auf die Bildschirme ihrer Smartphones gelenkt? Wieso sind wir so? Ist es, weil das echte Leben da draussen einfach zu langweilig ist? Ist es, weil wir informations- und newssüchtig sind? Ist es, weil wir ständig den neuen Dopamin-Kick aus den sozialen Netzwerken suchen? Ist es, weil uns die Digitalisierung überfordert und wir uns selbst in unseren Geräten wieder erkennen wollen? Marshall McLuhan, kanadischer Literaturwissenschaftler und einflussreichster Medientheoretiker aller Zeiten, beschreibt in seinem Essay «Verliebt in seine Apparate» wie der Mensch verschiedene Teile seines Körpers durch neue Apparate «in einer Art Selbstamputation» ausweitet. Dabei verfalle er in einen Zustand der Betäubung und verliebe sich in seine Apparate. Aufs iPhone angewendet hiesse das, wir amputieren uns selbst, indem wir unser Ich in die digitale Welt hinausweiten. Und verlieben uns dabei in unsere Apparate mit den sorgfältig bearbeiteten Selfies drauf. Das iPhone als Verlängerung meines Körpers? Zwar geht es mir glücklicherweise nicht wie jedem 10. Amerikaner der beim Sex auf sein Smartphone schaut und auch nicht wie dem Protagonisten des schaurigen Kurzfilms «Valibation», dessen Nägel sich langsam lösen, weil aus seiner Hand ein Smartphone herauswächst. Doch manchmal bin auch ich in meinen Bildschirm verliebt. Letzte Woche zum Beispiel. Mein Mann und ich sassen draussen in einem Café, ein lauer Abend, das Licht fiel gerade richtig und ich schoss mit dem iPhone ein Foto. Ein paar Stunden später auf dem Sofa fing ich an sein Portrait zu bearbeiten. Sein Bild war mir wirklich gelungen, ich konnte die Augen kaum davon abwenden, konnte mich schwer für einen der vielen VSCO4-Filter entscheiden. Da sah ich rüber zu meinem Mann, neben mir auf dem Sofa sitzend, tief in den Laptop versunken. Schon seltsam, dachte ich, statt meinen Mann anzusehen und sein Gesicht zu streicheln, wische ich lieber über den kleinen Touchscreen meines iPhones. Da fragte ich mich, was wenn Banksy uns jetzt sähe?

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